Die deutsche Politikerin Sahra Wagenknecht
APA/AFP/John Macdougall
Scharfe Attacken

Wagenknechts Buhlen um Enttäuschte

In Deutschland hat Sahra Wagenknecht ihre Partei mit Attacken gegen die „Ampelkoalition“ auf das Wahljahr 2024 eingestimmt. Auf dem ersten Bundesparteitag des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) buhlte sie mit klaren Positionen zum Ukraine-Krieg und einem Plädoyer für soziale Umverteilung um „politisch Heimatlose“. Kommentatoren konstatierten ihr „Hybris“ und warnten vor „antidemokratischen Impulsen“.

Beim ersten Parteitag des Bündnisses Sahra Wagenknecht nannte die Gründerin die Ampel erneut „die dümmste Regierung Europas“ und warf ihr vor, das Land in die Krise und schlimmstenfalls in einen Krieg zu führen. „Unser Land, es braucht unbedingt einen politischen Neubeginn“, sagte die 54-jährige am Samstag in Berlin.

Sie war Ende 2023 aus der Linken ausgetreten und hatte Anfang Jänner die neue Partei mit ihrem Namen gegründet. Sie selbst ist Vorsitzende, gemeinsam mit der früheren Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali. Zum ersten bundesweiten Parteitag versammelten sich etwa 390 Mitglieder im Berliner Kino Kosmos. Sie spendeten Wagenknecht begeisterten Applaus für die Rede.

Wagenknecht: „Politisch Heimatlose“ gewinnen

Sahra Wagenknecht will mit ihrer neuen Partei die von der deutschen Koalition enttäuschten Menschen gewinnen. „Wir machen uns jetzt auf den Weg, die Politik in Deutschland zu verändern“, sagte Wagenknecht auf dem ersten Bundesparteitag der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).

„Wir sind keine Linke 2.0“

Nach innen mahnte Wagenknecht das BSW, an einem Strang zu ziehen. Die Parteimitglieder seien sehr unterschiedlich, darunter seien Gewerkschafter, Unternehmer, Krankenpfleger, Polizisten, Theologen, Großstädter und Dorfbewohner. Diese Unterschiedlichkeit müsse man als Gewinn begreifen. „Wir sind keine Linke 2.0, das muss auch für unseren Umgang miteinander gelten“, sagte Wagenknecht. „Lasst uns pfleglich miteinander umgehen.“

Gegen andere Parteien teilte Wagenknecht aber hart aus, auch gegen Union und AfD. Die AfD stehe für Rekordausgaben für Rüstung, und CDU-Chef Friedrich Merz im Kanzleramt wäre „ganz sicher nicht das kleinere Übel“, sagte sie. Am schärfsten griff sie jedoch die Regierung an und warf ihr Unfähigkeit und Abgehobenheit vor. Wegen der Waffenlieferungen an die Ukraine sprach Wagenknecht von „menschenverachtender Politik“.

Ruf nach „Ende der Hochrüstung“

Als zentrale politische Themen nannte Wagenknecht neben Frieden und Meinungsfreiheit das Streben nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Konkret forderte sie unter anderem: einen höheren Mindestlohn von mindestens 14 Euro pro Stunde, bessere Pensionen auf einem Niveau wie in Österreich, ein Gesundheitssystem ohne Renditedruck, bezahlbare Energie, einen Mietendeckel, eine Abkehr von Wirtschaftssanktionen gegen Russland sowie „ein Ende der Hochrüstung“.

BSW-Generalsekretär Christian Leye betonte die Abgrenzung zur AfD. Diese nähre sich von der Verzweiflung der Menschen, setze sich aber nicht für diese ein. Vom AfD-Programm würden am meisten Menschen mit Einkommen ab 300.000 Euro profitieren, meinte Leye. Der frühere SPD- und Linke-Politiker Oskar Lafontaine – er ist Wagenknechts Ehemann – sagte, die AfD habe „in der Wirtschafts- und Sozialpolitik Positionen, die wir niemals akzeptieren können“.

Wagenknecht, Mohamed Ali, Leye und andere Vorstandsmitglieder waren schon Anfang Jänner gewählt worden. Beim jetzigen Parteitag standen weitere Vorstandsmitglieder zur Wahl. Vizevorsitzende wurden die ehemaligen Linken Friederike Benda und Amid Rabieh. In den erweiterten Vorstand gewählt wurden unter anderen der Publizist Michael Lüders, die Bundestagsabgeordneten Alexander Ulrich und Zaklin Nastic und die ehemalige Abgeordnete Sabine Zimmermann. Das schlechteste Ergebnis hatte mit 66 Prozent der frühere SPD-Politiker Thomas Geisel, der ins Europaparlament einziehen will.

Einstimmiger Beschluss des Europaprogramms

Auf Nummer eins der Europawahlliste soll der frühere Linke Fabio De Masi kandidieren. Der Parteitag stellte sich einstimmig hinter das Programm für die Europawahl mit dem Titel: „Ein unabhängiges Europa souveräner Demokratien – friedlich und gerecht“. Dieses übt fundamentale Kritik: „Die EU in ihrer aktuellen Verfassung schadet der europäischen Idee“, heißt es.

Einer der Kernpunkte ist die Abschaffung des Handels mit CO2-Zertifikaten, bisher zentrales Instrument der Klimaschutzpolitik. Es fordert die unbefristete Nutzung von Verbrennermotoren und die Rückkehr zu Importen von Öl und Gas aus Russland. Stoßrichtung sind weniger EU-Vorgaben. Gegebenenfalls solle sich Deutschland an EU-Regeln nicht halten. Das widerspricht dem Grundsatz, dass EU-Regeln für alle 27 Mitgliedsstaaten verbindlich sind. Sie werden von diesen gemeinsam mit dem EU-Parlament ausgehandelt.

Kommentator: „Das ist gefährlich“

Wagenknecht gehe „voll auf Angriff, verspottet beim umjubelten Gründungsparteitag ihres Bündnisses die Ampel. Und überzieht dabei gehörig“, schrieb „Spiegel“-Kommentator Rasmus Buchsteiner. „Das Bündnis will die Politik verändern, nährt aber auch antidemokratische Impulse“, meinte ARD-Journalist Uwe Jahn.

Mit „Polemik und Populismus“ solle sie nicht übertreiben, schrieb „Spiegel“-Kommentator Buchsteiner in Richtung Wagenknecht. „Es gibt bereits eine Partei, die beim Zuspitzen und Verächtlichmachen der anderen im Zweifel immer ein Stück skrupelloser sein wird als Wagenknechts neue Truppe: Sie heißt AfD“, so Buchsteiner.

„Das ‚Bündnis Sahra Wagenknecht‘ könnte Deutschland verändern“, so ARD-Kommentator Jahn. „In Sachen Sozialpolitik könnte das sogar ein Gewinn sein. Mit ihren Positionen zur Russland-Politik, mit ihrem Opfermythos in der öffentlichen Debatte und mit der Herablassung denen gegenüber, die politisch Verantwortung übernehmen, nährt sie allerdings antidemokratische Impulse. Das ist gefährlich.“