Großbritanniens Premier Rishi Sunak
APA/AFP/Stefan Rousseau
Asyl für Ruander

Britische Regierung in Erklärungsnot

Die britische Regierung gerät wegen des Plans, Asylsuchende künftig ungeachtet ihrer Herkunft nach Ruanda abzuschieben, erneut unter Druck: Wie der „Observer“ nun berichtete, erhielten in den vergangenen Monaten mehrere Oppositionelle aus dem ostafrikanischen Land wegen Verfolgung Asyl in Großbritannien zugesprochen. London will Ruanda derzeit per Gesetz zum sicheren Drittland erklären.

Die Argumentation dafür dürfte der konservativen Regierung von Premier Rishi Sunak nun schwerer fallen. Der „Observer“ bezog sich in dem Bericht auf Dokumente des Innenministeriums. Die geplante Maßnahme soll nach Angaben der britischen Regierung Menschen von der Überfahrt über den Ärmelkanal abschrecken. Irregulär eingereiste Menschen sollen künftig ohne Prüfung ihres Asylantrags nach Ruanda, dem Kritiker Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, gebracht werden können und stattdessen dort um Schutz bitten. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen.

Der Plan wurde vom Obersten Gericht Mitte November für rechtswidrig erklärt. Die Richter des Supreme Court äußerten Bedenken hinsichtlich des Asylverfahrens in Ruanda. Es sei nicht auszuschließen, dass die Schutzsuchenden von dort wieder in ihre Herkunftsländer abgeschoben würden. Die Regierung in London will diese Bedenken per Gesetz für unbegründet erklären. Am Montag soll im Oberhaus in Zweiter Lesung über den Gesetzesentwurf beraten werden.

Rückschlag im Oberhaus

Zuvor hatte das House of Lords Anfang dieser Woche in London für einen Antrag gestimmt, den zugrundeliegenden Vertrag mit Ruanda vorerst nicht zu ratifizieren. Sunak hatte das House of Lords, das aus etwa 800 zumeist ernannten Mitgliedern besteht, mit Nachdruck gemahnt, dem Willen des gewählten Unterhauses nicht im Wege zu stehen. Ein Bericht hatte aber empfohlen, den Ruanda-Vertrag nicht zu ratifizieren, bis alle Sicherheitsvorgaben erfüllt seien. Der zuständige Ausschuss des Oberhauses schloss sich mit den Stimmen von Mitgliedern beider großen Parteien dem Bericht an.

Trotz des Votums wird allgemein erwartet, dass das House of Lords letztlich weder den Vertrag noch das Gesetz blockieren wird. Allerdings könnte das als kritisch bekannte Oberhaus den geplanten Zeitplan verzögern. Eine Umsetzung vor der nächsten Parlamentswahl würde dadurch erschwert. Sunak stand zuletzt unter Druck, weil sein Abschiebegesetz dem rechten Parteiflügel nicht weit genug ging. Sie hatten gefordert, auch Einsprüche vor internationalen Gerichten müssten verhindert werden – es dürfe keine Schlupflöcher geben.

Vorhaben soll der Abschreckung dienen

London zahlte bereits Hunderte Millionen Pfund an Ruanda, ohne dass dort ein Mensch angekommen ist. Das Vorhaben soll vor allem der Abschreckung dienen. Der bergige Binnenstaat ist gerade einmal so groß wie Kärnten und die Steiermark gemeinsam, zählt allerdings rund 13 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.

Seine dunkelste Stunde erlebte das Land 1994, als Angehörige der Hutu-Mehrheit binnen drei Monaten geschätzte 800.000 bis zu einer Million Menschen der Tutsi-Minderheit ermordeten. Die Aufarbeitung dieses Völkermords gelang dem Land vergleichsweise gut, es begann ein Aufschwung und eine Erfolgsgeschichte – allerdings eine mit Makeln.

Seit 2000 ist Paul Kagame Staatspräsident, schon seit 1994 war der frühere Rebellenführer Verteidigungsminister und Vizepräsident. Kagame wird von internationalen Fachleuten zugutegehalten, das Land politisch und vor allem wirtschaftlich stabilisiert zu haben. Ruanda gilt seit zwei Jahrzehnten als eines der afrikanischen Länder mit den höchsten Wirtschaftswachstumsraten.

Der ruandische Präsident Paul Kagame
Reuters/Jean Bizimana
In vielen anderen afrikanischen Staaten gilt Kagame angesichts der Entwicklung Ruandas als Vorbild

Ruanda: Präsident mit autoritärem Stil

Allerdings wird Präsident Kagame auch eine zunehmend autoritäre Führung vorgeworfen. Wesentliche demokratische Grundrechte fehlen in Ruanda, die Opposition wurde mit Druck klein gehalten, die Pressefreiheit ist sehr eingeschränkt. Auch Menschenrechtsverstöße werden regelmäßig dokumentiert.

International unter Druck kam Ruanda vor allem deshalb, weil dem Land vorgeworfen wird, die Rebellengruppe M23 in der Demokratischen Republik Kongo militärisch zu unterstützen. 2012 eskalierte der Konflikt bereits, Ruanda drohten Sanktionen, die Niederlande strichen die Entwicklungshilfe für das Land. Und auch im Vorjahr kochte der Konflikt international wieder auf.

Labour führt in Umfragen

Die sozialdemokratische Labour-Partei, die in allen Umfragen deutlich führt, kündigte indes an, den Ruanda-Plan nicht weiterzuverfolgen. Die Labour-Partei baute in einer Wahlumfrage ihren Vorsprung vor den regierenden Konservativen von Premierminister Rishi Sunak aus. Im Vorfeld der für 2024 erwarteten Parlamentswahlen prognostiziert die Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Opinium, dass Labour 42 Prozent der Stimmen erhalten würde, während auf die Konservativen 27 Prozent der Stimmen entfallen würden.

Damit vergrößert sich der Abstand auf 16 Prozentpunkte von 14 Prozentpunkten bei der Umfrage von vor zwei Wochen. Die jüngste Umfrage ergab, dass zwei Drittel der Wähler das Gesundheitswesen als das wichtigste Thema in Großbritannien ansehen, gefolgt von der Wirtschaft und der Einwanderung.