UN-Mitarbeiter bei der Verteilung von Lebensmitteln in Rafah
APA/AFP
„New York Times“

Neue Details zu Vorwürfen gegen UNRWA

Nach den schwerwiegenden Vorwürfen gegen das UNO-Hilfswerk für Palästinenser (UNRWA) sind neue Details bekanntgeworden. Wie die „New York Times“ („NYT“) am Sonntag (Ortszeit) berichtete, soll ein UNRWA-Mitarbeiter an der Entführung einer Frau aus Israel und ein anderer an einem Massaker in einem Kibbuz, bei dem 97 Menschen getötet wurden, beteiligt gewesen sein. Ein Dritter soll Munition ausgeteilt haben. Unterdessen kündigte Österreich am Montag an, seine Zahlungen an das UNRWA auszusetzen.

Der israelische Außenminister Israel Katz forderte Montagnachmittag den Rücktritt des UNRWA-Leiters. „Ich habe soeben die Treffen von UNRWA-Chef Philippe Lazzarini mit Beamten des israelischen Außenministeriums abgesagt“, erklärte er. UNRWA-Mitarbeiter seien an dem Überfall der Hamas auf Israel beteiligt gewesen. „Lazzarini sollte daraus die Konsequenzen ziehen und zurücktreten. Unterstützer des Terrorismus sind hier nicht willkommen.“

Die „New York Times“ berief sich auf ein entsprechendes israelisches Dossier, das der US-Regierung vorliege. Insgesamt soll es darin um Anschuldigungen gegen zwölf UNRWA-Mitarbeiter gehen. Mehr als die Hälfte von ihnen seien am 7. Oktober, am Tag des Überfalls der Terrororganisation Hamas auf Israel, als Lehrer oder in anderen Funktionen an Schulen des UNO-Hilfswerks tätig gewesen.

Von den zwölf Beschuldigten seien zehn Hamas-Mitglieder. Den Mitarbeitern werde vorgeworfen, der Hamas bei den Angriffen am 7. Oktober geholfen oder sie in den Tagen danach unterstützt zu haben. Eine Bestätigung der Vorwürfe durch die US-Regierung gebe es derzeit nicht, schrieb die „NYT“. Washington stufe sie aber als glaubwürdig ein.

ORF-Korrespondent Cupal zu den Vorwürfen gegen UNRWA

ORF-Korrespondent Tim Cupal berichtet aus Tel Aviv über die Vorwürfe gegen das UNO-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) und die Einstellung von Zahlungen einiger Staaten, darunter auch Österreich.

"Bewusst in UNO-Einrichtungen installiert

Der israelische Geheimdienst, von dem das von der „NYT“ ausgewertete Dossier stammen soll, habe unter anderem die Bewegungen von sechs UNRWA-Mitarbeitern am 7. Oktober innerhalb Israels anhand ihrer Telefone nachgezeichnet. Bei anderen wurden Telefongespräche überwacht, in denen sie ihre Beteiligung am Hamas-Angriff besprachen. Einer sei per Textnachricht aufgefordert worden, raketengetriebene Granaten mitzubringen, die in seinem Haus gelagert worden seien.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet nach Einsicht in das Dossier, dass laut israelischem Geheimdienst rund 190 UNRWA-Mitarbeiter der Hamas oder dem Islamischen Dschihad angehören. Die Hamas solle „ihre terroristische Infrastruktur methodisch und bewusst in einer Vielzahl von UNO-Einrichtungen und -Vermögenswerten“, einschließlich Schulen, installiert haben.

Österreich setzt Zahlungen aus

Nachdem zuletzt bereits mehrere Länder wie die USA, Deutschland und Großbritannien ihre Finanzierung des UNRWA gestoppt hatten, setzte am Montag auch Österreich seine Zahlungen an die Organisation aus. „Die Anschuldigungen (…) sind zutiefst schockierend und äußerst beunruhigend“, hieß es vom Außenministerium. Man fordere vom UNRWA und den Vereinten Nationen eine „umfassende, rasche und lückenlose Untersuchung der Vorwürfe“.

Grafik zu UNRWA-Zahlungen
Grafik: APA/ORF; Quelle: UNRWA

„Die Vereinten Nationen müssen auch im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit über jede Kritik erhaben sein. Mögliche Beteiligte an der Terrorattacke vom 7. Oktober müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, hieß es weiter. Alle Beiträge an das UNRWA seien suspendiert, „bis all diese Vorwürfe vollständig aufgeklärt sind und Klarheit über die daraus gezogenen Konsequenzen herrscht“.

Abstimmung mit internationalen Partnern

Österreich handle in Abstimmung mit internationalen Partnern. Nach früheren Angaben des Außenministeriums gliedert sich der österreichische Beitrag zum UNRWA in einen jährlichen Beitrag von rund 400.000 Euro sowie in projektbezogene Beiträge von drei Millionen Euro pro Jahr für ein Gesundheitsprojekt.

Wie das Außenministerium festhielt, hilft das offizielle Österreich der notleidenden Zivilbevölkerung im Gazastreifen aber über andere Kanäle weiterhin. Seit dem 7. Oktober habe man insgesamt 13 Millionen Euro an humanitärer Hilfe zu diesem Zweck bereitgestellt.

Guterres kündigte Konsequenzen an

Zuvor hatten u. a. auch Frankreich, Italien, die Schweiz, die Niederlande, Finnland, Kanada und Australien beschlossen, ihre Zahlungen bis auf Weiteres auszusetzen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hatte Konsequenzen und eine Überprüfung angeordnet.

Beim Angriff der radikalislamischen Hamas und anderer militanter Palästinenserorganisationen am 7. Oktober wurden in Israel rund 1.149 Menschen getötet und weiter etwa 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Die Massaker zogen den laufenden Gaza-Krieg nach sich. Noch immer sollen im Gazastreifen mehr als 130 Geiseln in der Gewalt der Hamas ausharren, darunter auch Kinder und Frauen.

EU will Überprüfung durch Experten

Auch die EU schloss nach den Vorwürfen Konsequenzen nicht aus und verlangte zudem umfassende Prüfrechte. Man erwarte, dass das UNRWA einer Überprüfung durch von der EU ernannte unabhängige Expertinnen und Experten zustimme, teilte die zuständige EU-Kommission am Montag in Brüssel mit.

Bevorstehende Finanzierungsentscheidungen für das UNRWA werde man vor dem Hintergrund der sehr schwerwiegenden Vorwürfe treffen. Dafür seien insbesondere die von den Vereinten Nationen angekündigte Untersuchung und daraus folgende Maßnahmen relevant. Die EU ist einer der größten Geldgeber des UNO-Hilfswerks.

13.000 Mitarbeiter in Gaza

Die Vereinten Nationen hatten das UNRWA 1949 gegründet, um palästinensischen Flüchtlingen zu helfen. Anspruch auf ihre Dienste haben die Palästinenser, die 1948 im Zuge der Gründung des Staates Israel flüchteten oder vertrieben wurden, sowie ihre Nachkommen. Mittlerweile sind das nach Angaben der Organisation rund 5,9 Millionen Menschen.

Das UNRWA hat mehr als 30.000 Mitarbeiter, die meisten davon Palästinenser. Allein im Gazastreifen beschäftigt das Hilfswerk rund 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist unter anderem auch in Jordanien und im Libanon tätig. Die Organisation bietet palästinensischen Flüchtlingen grundlegende Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsversorgung.

Seit Beginn des Gaza-Krieges stellt sie auch Unterkünfte für Hunderttausende Binnenflüchtlinge zur Verfügung und leistet humanitäre Hilfe. Sollten westliche Länder die Zahlungen allerdings nicht wiederaufnehmen, müssten mit Ende Februar die Hilfen im Gazastreifen sowie in der gesamten Region eingestellt werden, hieß es.