Person mit Papieren
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Privatkonkurse

Zahlen bei Jungen alarmierend

Plötzlicher Einkommensverlust, Teuerung, Überschätzung der eigenen finanziellen Möglichkeiten: Ursachen für Überschuldung gibt es viele. Die Zahl der Privatkonkurse steigt, zeigen aktuelle Zahlen des Kreditschutzverbandes (KSV) 1870 vom Mittwoch. Dasselbe gilt für die Zahl verschuldeter junger Menschen. Nur einen Grund für Verschuldung gebe es selten, heißt es von der Fonds Soziales Wien (FSW) Schuldenberatung, meist auch keinen Tag X, an dem Probleme akut werden.

Die Möglichkeit eines Schuldenregulierungsverfahrens (Privatkonkurs) gibt es in Österreich seit 1995. Es bietet Privatpersonen die Möglichkeit eines gezielten Abbaus ihrer Verbindlichkeiten. Laut Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) wurden zwischen 1995 und 2022 insgesamt 205.000 entsprechende Anträge gestellt. Das WIFO befasst sich aktuell in einer Studie mit dem volkswirtschaftlichen Kontext dieser Entwicklung, Ergebnisse wurden bei einer Veranstaltung am Mittwoch in Wien präsentiert.

Auf der aktuellen Ebene zeigen die Zahlen des KSV im Vorjahr einen Anstieg um 8,2 Prozent auf 8.845 („24 Fälle pro Tag“). Zu mehr als 60 Prozent seien Männer betroffen, in knapp 40 Prozent der Fälle Frauen, hieß es in einer Presseaussendung. Die durchschnittliche Schuldenhöhe ging von 111.000 auf 104.000 Euro zurück. Fazit: Mehr Schuldner hatten individuell etwas niedrigere Verbindlichkeiten. Insgesamt liegen die Zahlen aber noch unter dem Niveau von 2019 (9.456) vor der Coronavirus-Pandemie.

Kredithaftungen für Frauen als „Teufelskreis“

Wenn Frauen in finanzielle Schwierigkeiten geraten, sind der Hintergrund laut KSV häufig Haftungen bzw. gemeinsame Kredite vor dem Hintergrund generell steigender Kosten, „die rasch zu einem wirtschaftlichen Teufelskreis“ führen würden. Betroffene Männer hatten 2023 im Durchschnitt 128.000 Euro Schulden, Frauen 69.000 Euro.

Grafik zu Privatinsolvenzen 2023
Grafik: ORF; Quelle: KSV1870

Bei Männern sei ein Grund für (die höhere) Verschuldung häufig gescheiterte Selbstständigkeit. Die meisten Personen, die in den Privatkonkurs schlittern, sind laut den KSV-Zahlen zwischen 41 und 60 Jahre alt (46 Prozent), nur neun Prozent sind älter als 60 Jahre.

Schwerer „Rucksack“ oft schon in jungen Jahren

Was die Analyse der Zahlen außerdem zeige, sei, „dass private Schulden bereits in jungen Jahren immer häufiger zum Problem“ würden und diese „mit einem finanziellen Rucksack zu kämpfen“ hätten, so der KSV. Der Anteil der unter 25-jährigen Antragsteller sei von 4,7 auf 6,3 Prozent gestiegen, in der Altersgruppe 25 bis 40 Jahre von 37,3 auf 39,1 Prozent. Sowohl was Schuldenhöhe als auch Geschlecht und Alter betrifft, zeigen sich graduell regionale Unterschiede in den Zahlen.

Grafik zu Privatinsolvenzen 2023
Grafik: ORF; Quelle: KSV1870

„Gravierend“ gestiegen sei in beiden Altersgruppen die Höhe der durchschnittlichen Schulden, so der KSV: um 7,0 Prozent auf 74.000 Euro bei den 25- bis 40-Jährigen und um 35 Prozent auf 59.000 Euro bei den unter 25-Jährigen. „Immer mehr junge Menschen verlieren den Überblick über ihre Finanzen und verpassen den Zeitpunkt der Schuldenregulierung – noch vor einem Konkursverfahren“, so der Leiter des Fachbereichs Insolvenz beim KSV1870, Karl-Heinz Götze.

„Persönliches Verschulden?“

Die häufigste Ursache von Privatinsolvenzen (28 Prozent) sei „persönliches Verschulden“, hatte es im Juli 2023 in einer Aussendung des KSV1870 geheißen. Die Folgen der Pandemie und die Teuerungswelle ab 2021 stellten damals „hingegen keinen wesentlichen Insolvenzfaktor dar“. Hier können sich die Effekte aber durchaus auch zeitverzögert zeigen.

Die häufigsten Faktoren sind laut KSV die „über einen längeren Zeitraum anhaltende Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit“. Darauf folgten Schulden aus ehemaliger Selbstständigkeit und eine Reduktion des Haushaltseinkommens, so das Fazit vom Vorjahr aus einer Analyse von 6.000 Privatkonkursen aus dem Jahr 2022.

Stichwort „Verschulden“: Selber schuld, auf zu großem Fuß gelebt, heißt es häufig. Allerdings: „Persönliches Verschulden“ bedeutet nicht unbedingt einen sorglosen Umgang mit den eigenen Finanzen. Das könne auch heißen, dass etwa Kreditnehmer nicht damit gerechnet hatten, dass ihre Raten für Haus oder Wohnung durch steigende Zinsen zu einer nicht mehr bewältigbaren Last würden, so Götze im Gespräch mit ORF.at.

Konsumenten werden vorsichtiger

Die Verschuldung durch Konsum sei sogar zurückgegangen. Generell, so Götze, habe die Zahl der Privatinsolvenzen im Unterschied zu den Unternehmensinsolvenzen noch nicht das Niveau von vor der CoV-Krise erreicht. Was auch zu beobachten sei, sei ein Verzögerungseffekt von zwei bis drei Jahren.

Wenn die Zeiten wirtschaftlich schwieriger werden, stellten Privatpersonen mitunter nicht unbedingt notwendige Ausgaben zurück. Auch beim Jobwechsel werde man vorsichtiger, da auch der mitunter mit einem Risiko verbunden sei. Das Jahr 2024 werde für viele Menschen „zum finanziellen Drahtseilakt“, so Götze in der Aussendung vom Mittwoch.

Meist nicht nur eine Ursache

Die FSW Schuldenberatung bzw. die ASB Schuldenberatungen GmbH als Dachverband der staatlich anerkannten Schuldenberatungen in Österreich erheben jährlich die Ursachen für Überschuldung. Auf Platz eins mit einem Anteil von etwa 30 Prozent liegen laut Gudrun Steinmann, Leiterin des Bereichs Finanzbildung bei der FSW Schuldenberatung, Arbeitslosigkeit bzw. Einkommensverlust. Zweiter wichtiger Faktor sei, so Steinmann im Gespräch mit ORF.at, mangelnde Finanzbildung. Darauf folge gescheiterte Selbstständigkeit.

Grafik zu Insolvenzen in Österreich
Grafik: APA/ORF; Quelle: KSV1870

Kein Tag X

Nicht mehr bewältigbare Schulden hätten meist nicht nur einen Grund, oft seien es mehrere Ursachen wie Arbeitslosigkeit, steigende Kreditraten, Kauf auf Raten, Trennung, Krankheit, Pflege, die einen finanziell „aus der Bahn werfen“. Und: Es gebe keinen Tag X, an dem sich die Schuldenspirale zu drehen beginne.

Bei Verallgemeinerungen („selber schuld“) sei Vorsicht geboten. Die FSW Schuldenberatung ist auch präventiv tätig, sie bemüht sich, Finanzbildung („Finanzführerschein“) zu vermitteln, die Schülern an Berufs- und Polytechnischen Schulen dabei helfen soll, nicht in die Schuldenfalle zu tappen.

WIFO analysiert Einflussfaktoren

Das WIFO befasst sich aktuell in einer Studie mit der Entwicklung der Privatkonkurse seit 1995 mit dem Fokus auf deren makroökonomische und soziopolitische Einflussfaktoren: von der Konjunktur und den Kreditzinsen über das „soziale Stigma“ einer Pleite und der rechtlichen Situation bis hin zu Effekten des Verbots des kleinen Glücksspiels.

Eine weitere Fragestellung ist die zeitliche und räumliche Verteilung. Auf der Zeitachse ist bei den Schuldenregulierungsverfahren ein deutliches Auf und Ab zu beobachten, einen Ausschlag gab es etwa nach der Reform des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes (IRÄG) 2017, bis zur Pandemie gingen die Zahlen wieder zurück. Nach Bundesländern sieht das WIFO einen „überproportionalen“ Anteil Wiens, andere Bundesländer liegen in Relation zu ihrer Bevölkerungszahl teils deutlich zurück.