Mobile Radaranlage des Bundesheeres
APA/Guenter R. Artinger
Neuer Bericht

Bundesheer zeichnet düsteres Risikobild

Bei der Präsentation des Berichts „Risikobild 2024 – Welt aus den Fugen“ haben hochkarätige Vertreter des Bundesheers und Fachleute Ende Jänner ein düsteres Bild gezeichnet. So werde die neue Zeit der militärischen „Unordnung“ die Welt und Österreich noch „mindestens zwei Dekaden“ begleiten, sagte Generalmajor Peter Vorhofer. Die Gefahr einer Konfrontation zwischen der EU und Russland wird als „sehr hoch“ eingeschätzt.

„Das bedeutet, dass wir 2024 mit einer hohen Wahrscheinlichkeit hybride Kriegsführung erleben“, so Vorhofer. In seinem Vortrag zählte er insgesamt acht für Österreich besonders relevante Risiken auf, darunter etwa die Störung von Lieferketten durch Konflikte, die Auswirkungen von Migration, Cyberangriffe und Desinformationskampagnen, deren Ausbleiben im aktuellen Superwahljahr „extrem ungewöhnlich“ wären.

Zeit um EU-Wahl neuralgisch

Schließlich nannte der Experte auch Versuche von externen Akteuren, die europäische Integration „durch gezielte Angriffe und Zwangsausübung“ zu schwächen. Es solle nämlich verhindert werden, dass Europa zu einem wesentlichen sicherheits- und außenpolitischen Akteur werde.

Der verteidigungspolitische Direktor des Ministeriums, Arnold Kammel, wies in diesem Zusammenhang auf die bevorstehende Europawahl hin, die Umstände seien „nicht (zu) unterschätzen“. Schließlich habe die „europäische Handlungsschwäche“ vor der EU-Wahl 2014 den russischen Machthaber Wladimir Putin dazu „eingeladen“, seine ersten Aggressionsschritte gegenüber der Ukraine zu setzen. Entsprechend müsse es das Anliegen sein, die Übergangsphase um die Europawahl „möglichst kurz“ zu halten.

„Europa hätte spätestens 2014 reagieren müssen“

„2014 war spätestens der Zeitpunkt, wo wir in Europa hätten reagieren müssen“, betonte der Militärstratege Günter Hofbauer mit Blick auf Russland. „Wir sollten in der Beurteilung schärfer werden“, forderte er. In Bezug auf Russland habe man sich nämlich „dadurch verführen lassen, keine politischen Absichten zu erkennen“. Doch habe sich gezeigt, dass sich diese Absichten „sehr kurzfristig ändern“ können, plädierte Hofbauer dafür, die einzelnen Akteure nach ihren jeweiligen militärischen und sonstigen Potenzialen zu bewerten.

„Grauzone“ zwischen Frieden und Krieg

Einig sind sich die Heeresfachleute darin, dass die militärischen Konflikte eher zunehmen werden, „weil der Krieg als Dimension der Politik zurück ist“, wie Vorhofer sagte. „Eines ist klar: Es wird schneller und es wird mehr“, sagte auch Hofbauer, der diesbezüglich von einer „Grauzone“ sprach. „Wir sind in einer Phase, wo es noch nicht Krieg, aber auch nicht mehr Frieden ist.“

Bundesheer „wieder kriegsfähig machen“

Dieser Umstand mache es nötig, auch das Bundesheer „wieder kriegsfähig zu machen“. Schließlich brauche es ein Jahrzehnt für den Aufbau einer Luftverteidigung, und in zehn bis 15 Jahren werde Russlands Krieg gegen die Ukraine „nur einer der Konflikte sein“.

Tanner: „Welt aus den Fugen geraten“

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) sprach sich in ihrem Statement dafür aus, „fokussiert“ zu bleiben. „Wenn die Welt aus den Fugen geraten ist, dann sollten wir selber das nicht tun“, brach sie unter anderem eine Lanze für die Beteiligung Österreichs an gemeinsamen europäischen Verteidigungsprojekten. „Ich bin überzeugt, dass diesen Risiken nur durch Zusammenarbeit begegnet werden kann“, sagte sie.

Ausdrücklich erwähnte sie dabei das von der FPÖ heftig als Neutralitätsbruch bekämpfte „Sky Shield“-Luftverteidigungsprojekt. Angesichts der Bilder aus der Ukraine, wo Krieg mit ballistischen Raketen und Drohnen geführt werde, dürfe es hier über Österreich „keine Lücke“ geben. „Ich bin Deutschland sehr dankbar für diese Initiative, an der so viele europäische Staaten beteiligt sind.“

Die Verteidigungsministerin lobte das milliardenschwere Aufrüstungspaket für das Bundesheer. Dieses sei auch durch ein entsprechendes Gesetz abgesichert und werde somit über Legislaturperioden hinauswirken, sagte sie in ihrer Rede in Richtung der Wehrsprecher der Parlamentsparteien.

Tanner zeigte sich auch froh darüber, dass Österreich kein Berufsheer eingeführt habe. Bei der Volksbefragung im Jahr 2013 sei „eine sehr richtige und weitreichende Entscheidung getroffen“ worden. Das sehe man jetzt, „wo andere Staaten daran denken, die Wehrpflicht wieder hervorzuheben“.

Bericht soll an Schulen und Unis gehen

Angesichts der mannigfaltigen Sicherheitsherausforderungen hob Tanner auch die Notwendigkeit hervor, stärker auf „geistige Landesverteidigung“ zu setzen. Sie zeigte sich besorgt, „wie wenig geschätzt insbesondere von der künftigen Generation wird, dass wir in einer Demokratie leben“. Diesbezüglich verwies sie auf die Verankerung des Konzepts der umfassenden Landesverteidigung in den Lehrplänen. Auch soll die Publikation „Risikobild 2024“, an der Dutzende Fachleute aus verschiedenen Fachrichtungen mitgearbeitet haben, den Schulen und Universitäten zur Verfügung gestellt werden.

Fokus auf mehreren Regionen

Hofbauer und vier weitere Experten gaben bei der Präsentation kurze regionale Sicherheitsüberblicke, die entsprechend dem allgemeinen Bild wenig erbaulich waren. So richtete etwa der Russland-Experte Gerhard Mangott seinen Blick bereits ins Jahr 2025 und eine mögliche neuerliche ukrainische Offensive zur Vertreibung des Aggressors.

Der frühere BZÖ-Politiker und jetzige Spitzenbeamte im Verteidigungsministerium, Günther Barnet, bezeichnete im Nahen Osten als die entscheidende Frage, ob es zu einem Flächenbrand kommen werde, wobei vor allem die Situation in Jordanien beachtet werden müsse. Sollte das Land destabilisiert werden, könnte der Iran über eine Landverbindung Waffen in das Westjordanland schmuggeln, wo Palästinenser und Israelis „Tür an Tür“ wohnten.

Keine positive Zukunft für die jeweiligen Konfliktregionen Afrika und Westbalkan sahen die beiden Expertinnen Antonia Witt und Marie-Janine Calic. Letztere sagte aber immerhin, dass sie eine Kriegsgefahr im Dreieck Serbien-Bosnien-Kosovo als gering einschätze, weil sich die EU-Beitrittsperspektive diesbezüglich als stabilisierend auswirke. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic werde sich nämlich, „wenn es hart auf hart geht“, für die EU-Perspektive entscheiden, so Calic.