UNRWA-Logo auf Schild
APA/AFP/Jaafar Ashtiyeh
„Wall Street Journal“

UNRWA-Skandal größer als gedacht

Das Ausmaß der mutmaßlichen Verbindung von Beschäftigten des UNO-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) zur islamistischen Hamas soll größer sein als bisher angenommen. Das berichtete das „Wall Street Journal“ („WSJ“) am Montag unter Berufung auf ein israelisches Geheimdienstdossier. Indes setzte sich UNO-Generalsekretär Antonio Guterres dafür ein, Hilfszahlungen an das UNRWA nicht auszusetzen, nachdem das zahlreiche Länder getan hatten.

Rund zehn Prozent aller etwa 12.000 im Gazastreifen beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des UNRWA hätten Verbindungen zur Hamas oder dem Islamischen Dschihad, berichtete die Zeitung. Sie hätten sich an militärischen oder politischen Aktivitäten beteiligt.

Die Hamas solle „ihre terroristische Infrastruktur methodisch und bewusst in einer Vielzahl von UNO-Einrichtungen und -Vermögenswerten“ einschließlich Schulen installiert haben, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters nach Einsicht in das Dossier.

Guterres „persönlich entsetzt“

Die ersten Vorwürfe gegen zwölf UNRWA-Beschäftigte in Gaza wegen mutmaßlicher Beteiligung am Hamas-Massaker hatten weltweit für Empörung gesorgt. Als Reaktion stellten zahlreiche Staaten ihre Zahlungen an das Hilfswerk vorübergehend ein, darunter Österreich, Deutschland, die USA, Großbritannien und Frankreich.

Grafik zu UNRWA-Zahlungen
Grafik: APA/ORF; Quelle: UNRWA

Guterres will nach Angaben der UNO am Dienstag in New York mit Vertretern von Geberländern zusammenkommen. Der UNO-Generalsekretär sei „persönlich entsetzt“ über die Vorwürfe, sagte sein Sprecher. „Aber seine Botschaft an Geber – insbesondere jene, die ihre Beiträge unterbrochen haben – ist es, zumindest die Kontinuität der Arbeit des UNRWA sicherzustellen.“ Guterres hatte am Sonntag darauf hingewiesen, dass die derzeitige Finanzierung des UNRWA nicht ausreiche, um die zwei Millionen Zivilpersonen im Gazastreifen im Februar zu unterstützen.

Blinken fordert Aufklärung

US-Außenminister Antony Blinken forderte erneut eine schnelle Aufklärung der Vorwürfe. Das UNO-Hilfswerk spiele „eine absolut unverzichtbare Rolle dabei sicherzustellen, dass Männer, Frauen und Kinder, die in Gaza so dringend Hilfe benötigen, diese auch tatsächlich erhalten“, sagte Blinken am Montag in Washington. Das UNO-Hilfswerk entließ die Mitarbeiter und will den Vorwürfen nachgehen.

„Das Problem des UNRWA sind nicht nur ‚ein paar faule Äpfel‘, die in das Massaker vom 7. Oktober verwickelt waren“, zitierte das „WSJ“ einen hohen israelischen Regierungsbeamten. „Die Institution als Ganzes ist ein Hort für die radikale Ideologie der Hamas“, sagte der Beamte der Zeitung zufolge. „Das UNRWA steckt schon lange mit den Terroristen unter einer Decke“, sagte Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, dem „Tagesspiegel“ (Dienstag-Ausgabe). Schon die Attentäter des Münchner Olympiamassakers von 1972 seien Absolventen von Schulen des UNO-Hilfswerks gewesen, meinte er.

Ex-UNRWA-Chef: Zeitpunkt politisch bestimmt

Der frühere UNRWA-Chef Matthias Schmale hält den Zeitpunkt der aktuellen Berichte für politisch motiviert. Die Berichte seien kurz nach der Verkündung des Urteils des Internationalen Gerichtshofs (IGH) aufgekommen, sagte er am Dienstag im Deutschlandfunk. Schmale sagte, es sei durchaus möglich, dass jene Mitarbeiter beteiligt gewesen seien, die Berichte überraschten ihn nicht. „Aber der Zeitpunkt kommt mir doch sehr politisch bestimmt vor.“

Neue Details zu UNRWA und Hamas

Rund zehn Prozent der 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UNRWA sollen Verbindungen zur Hamas oder dem Islamischen Dschihad haben. Die USA fordern schnelle Aufklärung.

Schmale hält es nicht für wahrscheinlich, dass etwa zehn Prozent aller rund 12.000 im Gazastreifen Beschäftigten des Hilfswerks Verbindungen zur Hamas oder dem Islamischen Dschihad haben sollen. Zwar gebe es unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Leute, die für die Hamas Sympathien hätten. „Aber wir haben auch in meiner Zeit immer sehr genau beobachtet, wie Leute arbeiten, wie sie sich verhalten, ob sie sich UNO-Werten konform verhalten, und Maßnahmen ergriffen, wenn wir verstanden haben, dass das nicht der Fall ist.“

Damals habe man im Zeitraum von fast vier Jahren acht Leute „vor die Tür gesetzt“ – nicht nur wegen Verbindungen zur Hamas, sondern wegen Verhaltensweisen, die nicht mit den Werten der Vereinten Nationen übereinstimmten, sagte Schmale. Das sei eine wesentlich kleinere Prozentzahl. „Ich halte das, was jetzt im ‚Wall Street Journal‘ erschienen ist, für total übertrieben.“

NGO-Bündnis: Zahlungsstopp „unverantwortlich“

Ein Bündnis aus 21 NGOs kritisierte indes die Aussetzung der Zahlungen an das UNRWA scharf. Sie seien „zutiefst besorgt und empört“ darüber, dass einige der wichtigsten Geldgeber ihre finanzielle Unterstützung einstellten, „während sich die humanitäre Katastrophe in Gaza von Tag zu Tag verschlimmert“, so die Organisationen, unter ihnen Oxfam, Save the Children und der Norwegische Flüchtlingsrat.

Die Aussetzung werde „die lebenswichtige Hilfe für mehr als zwei Millionen Zivilisten beeinflussen, von denen mehr als die Hälfte Kinder sind“. Die NGOs äußerten sich „schockiert über die verantwortungslose Entscheidung der Geldgeber, einer ganzen Bevölkerung den Geldhahn zuzudrehen“.

USA vorsichtig optimistisch zu Feuerpause

Die USA zeigten sich derweil vorsichtig optimistisch mit Blick auf eine mögliche neue Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung weiterer Geiseln. „Wir können noch nicht über ein bevorstehendes Abkommen sprechen, aber auf der Grundlage der Gespräche, die wir am Wochenende und in den letzten Tagen geführt haben, haben wir das Gefühl, dass es in eine gute Richtung geht“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Montag in Washington.

Am Wochenende hatten Vertreter der USA, Israels, Ägyptens und Katars in Paris über eine neue Feuerpause beraten. Es seien gute Fortschritte gemacht worden, um zumindest den Grundstein für einen Weg nach vorne zu legen, sagte der katarische Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani dem US-Sender MSNBC.

Vor den Beratungen habe es eine klare Forderung nach einem dauerhaften Waffenstillstand gegeben – diese Möglichkeit bestehe, sagte Mohammed bin Abdulrahman. Der Times of Israel zufolge pochte die Hamas am Montagabend in einer gemeinsamen Erklärung mit der Terrorgruppe Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) darauf, dass Israel seine „Aggression“ beenden und sich aus Gaza zurückziehen müsse, bevor ein Abkommen zustande kommen könne. Laut Schätzungen befinden sich noch etwas mehr als 130 Menschen in der Gewalt der Islamisten.