Szenenbild aus der Burg-Inszenierung Bennings von Gorkis Kinder der Sonne
© Christine de Grancy / OTS
Nachruf

Die verdrängte Geschichte um Achim Benning

Wenn ihn etwas gewundert habe an Österreich, dann die 180-Grad-Wenden, die in diesem Land problemlos möglich seien: Das sagte der frühere Burgtheater-Chef und Schauspieler Achim Benning, der am Dienstag in Wien verstorben ist. Wer heute meint, dass die Ära Peymann/Bernhard die Hochzeit der Theaterskandale in Österreich gewesen sei, hat die 1970er verdrängt. Dass Benning etwa Stücke von Vaclav Havel ans Burgtheater brachte, erzürnte manchen, der sich später gern als Dissidentenfreund feiern ließ.

"Gemessen an ihrer Bedeutung“ sei die Amtszeit von Benning an der Spitze des Wiener Burgtheaters von 1975 bis 1986 „eine der meistunterschätzten“, konstatierte der Wiener Theaterwissenschaftler Peter Roessler schon vor vielen Jahren. In Erinnerung blieb in Sachen Skandale die Paarung Claus Peymann und Thomas Bernhard, die im Schatten der Waldheim-Debatte einen Theaterskandal nach dem nächsten loszutreten wusste. Beide wollten die Auseinandersetzung Österreichs mit sich selbst als Theater sehen. Und Peymann rechnete immer geschickt Mitspieler wie die „Kronen Zeitung“ als Teilnehmende seiner Inszenierungen ein.

Peymann, mit dem berühmten „Notlichtskandal“ um die Uraufführung eines Bernhard-Stücks in Salzburg seit 1973 quasi offiziell in Österreich bekannt, wusste auch ein Framing zu etablieren: Wahres Theater an der Burg beginne erst mit ihm, alles davor sei komplett verstaubt gewesen.

Erika Pluhar und Achim Benning
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Benning mit seiner Lebensfreundin Erika Pluhar

Benning kontra Bernhard in den 1970ern

Adressat des Bernhard-Narrativs war nicht zuletzt Achim Benning, der ja vor Peymann Direktor an der Burg gewesen war und der einst gegen einen damals unterlegenen Kandidaten Chef des Hauses am Ring geworden war. Und dieser Kandidat hieß Thomas Bernhard, der sich ebenfalls um die Nachfolge von Gerhard Klingenberg beworben hatte.

Dass Bernhard eine Rolle im Match um die Burg spielte, ja, dass er den Einsatz seiner Stücke am Burgtheaters Beninngs verboten hatte, gehört auch zu den gern übersehenen Fakten österreichischer Kulturgeschichte. Dabei hatte der frühere Schauspieler, Germanist und Theaterwissenschafter Benning das Burgtheater mit zahlreichen Gästen so weit geöffnet wie nie zu vor. Elias Canetti kam erstmals auf der Burg in Österreich zu größeren Theaterehren. Und politisch positionierte sich Benning mit der Aufführungen von Stücken im Umfeld der regimekritischen „Charta 77“. Vaclav Havel oder Pavel Kohout wagte Benning ins Programm der Burg zu nehmen.

Kommunisten an der Burg?

Die Quittung für diese Haltung bekam der 1935 in Magdeburg geborene Benning, der freilich seit Ende der 1950er Jahre in Wien lebte, rasch serviert. „Die Ostdeutschen“ (Unterton: Kommunisten) hätten sich der Burg bemächtigt. Gefürchtet wurde eine Reizung der CSSR nach der Niederschlagung des Prager Frühlings durch „linke Stücke“. Bennings deklarierte Gegner hießen: Richard „Staberl“ Nimmerrichter, Viktor Reimann, Friedrich Peter und Friedhelm Frischenschlager (letztere für die FPÖ im Parlament) – und: Erhard Busek, damals Kultursprecher der ÖVP.

Achim Benning mit Vaclav Havel
ORF-TV
Achim Benning mit Vaclav Havel zur Zeit der Wende

Schon in den 1970ern fürchtete man (ähnlich wie man das in den 1980ern unter „dem Piefke“ Peymann zu hören bekam) den Verfall der ‚Burgtheater Sprache‘. Immer spiele das falsche Ensemble, beklagte etwa Viktor Reimann, einer der Mitgründer des Verbandes der Unabhängigen (VdU), der seine Artikel in den 1970ern mit antisemitischen Klischees garnierte.

„Eine Staatsoperette“

Die Literaturwissenschaftlerin Evelyne Polt-Heinzl bezeichnete diese Periode als „Jahrzehnt der künstlichen und stets zu Staatsaffären aufgeheizten Kulturkämpfe“, als eine andauernde Serie von „Staatsoperetten“.

Da fragten etwa die FPÖ-Abgeordneten Friedrich Peter und Friedhelm Frischenschlager laufend nach über neue „Spitzengagenbezieher“ beim Burgtheater, stets unterfüttert von der Unterstellung, ältere Ensemblemitglieder würden nicht zum Zug kommen. Und Erhard Busek, damals für die ÖVP im Parlament sorgte sich im Rahmen mehrerer Anfragen an den für die Bundestheater zuständigen Bundesminister um das „Österreichische“ im Spielplan und den „Mangel an Zyklen der Klassiker der Weltliteratur wie zum Beispiel Shakespeare“.

Schauspieler Achim Benning ist tot

Der deutsche Schauspieler, Theaterregisseur und Intendant Achim Benning ist gestorben. Der 89-jährige leitete das Wiener Burgtheater von 1976 bis 1986.

In einem Interview mit Ö1 beklagte Busek, dass sich „eine linke Richtung hier breit gemacht“ habe, die „in der Verteidigung ihrer Positionen sich manchmal faschistischer Positionen“ bediene. Busek wusste um den taktischen Gewinn seiner Position, ließ sich die Alleinregierung Kreisky wenn am ehesten auf dem Terrain der Kulturpolitik angreifen. Buseks damalige taktische Schachzuge kaschierte die spätere Positionierung Buseks als großem Freund just jener Dissidenten, die er damals kritisiert hatte.

Buchhinweis

Achim Benning: In den Spiegel greifen. Texte zum Theater 1976–2023. Herausgegeben und mit einem Essay von Peter Roessler. Wien: Hollitzer Verlag, 2024, 400 Seiten, 28,00 Euro.

Benning, der 1972 zum ersten Mal an der Burg inszeniert hatte, war vom damaligen Unterrichtsminister Fred Sinowatz als „Hauslösung“, wie es damals hieß, als Direktor der Burg bestellt – mehr dazu auch in wien.ORF.at. Seine Politik am Haus wollte Benning offen anlegen. „Wir hatten damals im Ensemble ein ziemlich dickes Papier erarbeitet, in dem wir für sämtliche Bereiche Vorstellungen definiert haben, was sich ändern muss“, erinnerte sich Benning einmal in der „Presse“.

Als Beobachter der Nachkriegspolitik sah Benning nicht zuletzt den langen Schatten der intellektuellen Arisierung, der über Österreich lag. Er sah, wie sich an der Batthyany-Stiege der Theaterwissenschaft manche auch recht billig bei den belasteten Professoren aus der Nazi-Zeit Abschlüsse holten. Und wie vieles vom Davor einfach zugedeckt werden sollte.

„Ich will die Freiheit des Publikums“

Die Art, wie die Positionierung im medialen Diskurs die spätere Erinnerung an bekannte Persönlichkeiten prägte, verwunderte den Haltungskünstler Benning noch im hohen Alter. Auch fand er die historischen Leistungen von Sinowatz im Bereich der Bildungs- und Kulturpolitik immer unterschätzt. „Sinowatz war ein hochgebildeter und autark denkender Mann. Er war sehr verlässlich. Ihm hatten wir es zu verdanken, dass wir politisches Theater machen konnten“, so Benning in einem Gespräch mit der APA: „Wir hatten unglaubliches Glück. Es war wie ein Fenster, das sich geöffnet hatte.“

Benning wollte mögliche Fenster öffnen, dabei aber nie das Theater als Ort des Polit-Aktionismus heranziehen. „Was ich vom Theater will, ist die Freiheit des Zuschauers, nicht seine Bevormundung“, hielt Benning sein Credo fest. Am Mittwoch hätte der Dokumentarfilm Film „Achim Benning – Homo Politicus“ von Kurt Brazda gezeigt werden sollen. Es wird wohl eine Gedenkveranstaltung werden. Zu sehen ist der Film am 3.2. in ORF III, 22.45 Uhr – mehr dazu in tv.ORF.at.