Zerstörte Häuser in Gaza City
Reuters/Amir Cohen
Gaza-Satellitendaten

Analyse zeigt Ausmaß der Zerstörung

Fast vier Monate nach Beginn des Krieges im Gazastreifen ist einem Medienbericht zufolge mindestens die Hälfte aller Gebäude in dem Küstenstreifen am Mittelmeer beschädigt oder zerstört. Wie die britische BBC am Dienstag nach Auswertung von Satellitendaten berichtete, sind zwischen 144.000 und 175.000 Gebäude beschädigt oder zerstört. Das seien 50 bis 61 Prozent aller Gebäude.

Im gesamten Gazastreifen seien Wohngebiete verwüstet, ehemals belebte Einkaufsstraßen in Schutt und Asche gelegt, Universitäten zerstört und Ackerland aufgewühlt, berichtete die BBC in ihrer Analyse. Die Satellitenbilder seien an der City University of New York und der Oregon State University analysiert worden.

Dabei seien ältere und aktuelle Aufnahmen verglichen worden, um Veränderungen in der Höhe und Struktur von Gebäuden zu erkennen, die auf Schäden hinwiesen. Die Aufnahmen belegten laut BBC zudem, dass sich die Bombardierung des südlichen und zentralen Gazastreifens seit Anfang Dezember intensiviert habe, wobei die weiter heftig umkämpfte Stadt Chan Junis im Süden des Küstengebiets besonders stark betroffen sei.

Hamas-Behörde: Schon fast 27.000 Tote in Gaza

Chan Junis gilt als Hamas-Hochburg. Die Analyse habe ergeben, dass dort inzwischen mehr als 38.000 oder mehr als 46 Prozent der Gebäude zerstört oder beschädigt seien, so die BBC. Laut UNO-Angaben sind Tausende Menschen nach Rafah ganz im Süden an der Grenze zu Ägypten geflüchtet. Dort hielten sich inzwischen mit mehr als 1,3 Millionen Menschen mehr als die Hälfte der rund 2,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Gazastreifens auf.

Zerstörte Häuser in Khan Younis, Gazastreifen
Reuters/Ibraheem Abu Mustafa
Mindestens 50 Prozent der Gebäude im Gazastreifen sind laut BBC zerstört oder beschädigt

Die Zahl der Toten in Gaza stieg nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde seit Beginn des Krieges auf mindestens 26.900. Verletzt worden seien seither 65.636 Menschen, teilte ein Sprecher am Dienstag mit. Die Zahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen, gelten aber als glaubwürdig. Wegen der vielen zivilen Opfer und des großen Leids der Bevölkerung im Gazastreifen gibt es international viel Kritik am Vorgehen der israelischen Armee.

Außenminister: Israel wird noch länger in Gaza bleiben

Israel betont immer wieder, es befinde sich im Krieg mit der islamistischen Hamas und nicht mit der Zivilbevölkerung. Der israelische Außenminister Israel Katz sagte am Dienstag aber auch, sein Land wolle noch einige Jahre die Sicherheitsverantwortung im Gazastreifen behalten. Das gelte so lange, „bis wir sicher sind, dass wir nicht mehr von den Einwohnern von Gaza getötet werden“, sagte Katz der „Bild“-Zeitung, Welt TV und „Politico“.

Die Kämpfer der Hamas benutzten Israel zufolge zivile Gebäude, um aus ihnen heraus anzugreifen, Waffen zu lagern und Eingänge zu unterirdischen Tunneln zu verstecken. Israel vermutet in Tunneln unterhalb von Chan Junis die Führung der Hamas und auch israelische Geiseln.

Armee: Flutung von Tunneln

Das gesamte Tunnelnetzwerk der Hamas im Gazastreifen ist US-Medien zufolge zwischen 480 und 720 Kilometer lang. Israels Armee bestätigte, große Wassermengen in solche Tunnel eingeleitet zu haben, und sprach von einem „bedeutenden technischen und technologischen Durchbruch“ im Kampf gegen den Terror. Nach Informationen der US-Zeitung „Wall Street Journal“ („WSJ“) sind allerdings noch 60 bis 80 Prozent der unterirdischen Routen intakt.

Israelische Streitkräfte hatten nach eigenen Angaben seit Dienstag innerhalb von 24 Stunden bei Kämpfen im Gazastreifen mindestens 25 militante Palästinenser getötet. Bei einer Razzia in einer Schule hätten israelische Einsatzkräfte zudem zehn Mitglieder der Terrororganisation Islamischer Dschihad festgenommen. Diese hätten die Schule als Versteck genutzt. Laut der israelischen Armee wurden bisher etwa 10.000 Mitglieder der Hamas im Gazastreifen getötet. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig prüfen.

„Katastrophale“ Folgen bei Ausbleiben von UNRWA-Mitteln

Mehrere UNO-Organisationen warnten unterdessen vor einem Stopp der Finanzierung des in die Kritik geratenen UNO-Palästinenserhilfswerks (UNRWA). „Die Entscheidungen von mehreren Mitgliedsstaaten, die Mittel für das UNRWA auszusetzen, werden katastrophale Folgen für die Menschen im Gazastreifen haben“, erklärten die Leiter einer Reihe von UNO-Organisationen in einer gemeinsamen Stellungnahme. „Dem UNRWA Mittel zu entziehen ist gefährlich und würde zu einem Zusammenbruch des humanitären Systems im Gazastreifen führen.“

Rauchsäule über dem Gazastreifen, gesehen von israelischer Seite aus
Reuters/Athit Perawongmetha
Insbesondere der Süden Gazas ist stark von Angriffen betroffen

Das hätte „weitreichende“ humanitäre Konsequenzen und Konsequenzen mit Blick auf die Menschenrechte in den besetzten Palästinensergebieten und in der gesamten Region, heißt es in der Erklärung des Ständigen interinstitutionellen Ausschusses der Vereinten Nationen. „Die Welt darf die Menschen im Gazastreifen nicht im Stich lassen.“

Mitarbeiter sollen in Hamas-Angriff verwickelt gewesen sein

Unterzeichnet wurde die Erklärung unter anderen vom UNO-Koordinator für humanitäre Angelegenheiten, Martin Griffiths, von UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk, vom Chef des UNO-Entwicklungsprogramms, Achim Steiner, von der Leiterin des Kinderhilfswerks (UNICEF), Catherine Russell, und vom Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres wollte am Dienstag in Gesprächen mit Geberstaaten für weitere Mittel für UNRWA werben.

Israel schließt Zweistaatenlösung aus

Aus Israel kam eine neuerliche Absage an die Zweistaatenlösung. Israels Außenminister bezeichnete die internationalen Forderungen dazu wörtlich als absurd.

Mindestens zwölf Mitarbeiter des UNRWA stehen im Verdacht, in den beispiellosen Angriff der Hamas und anderer Terrorgruppen auf Israel am 7. Oktober verstrickt gewesen zu sein. Staaten wie Österreich, Deutschland, Großbritannien, Japan, Kanada, Neuseeland und die USA kündigten als Reaktion auf die Vorwürfe an, ihre Zahlungen an das Hilfswerk vorerst zu stoppen.

Tauziehen um Waffenruhe

Unterdessen geht das Tauziehen um eine neue Waffenruhe weiter. Die Hamas erklärte am Dienstag, sie prüfe einen Entwurf für eine entsprechende Vereinbarung mit Israel. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu betonte neuerlich, sein Land werde den Krieg erst bei Erfüllung all seiner Ziele beenden – zu denen die Zerschlagung der Hamas gehört.

Neben der Vernichtung der Hamas nannte Netanjahu „die Rückkehr aller Geiseln und die Sicherstellung, dass von Gaza keine Gefahr mehr für Israel ausgeht“, als Ziele seines Landes. Die Freilassung „Tausender“ inhaftierter Palästinenserinnen und Palästinenser im Zuge eines Abkommens schloss er aus.