Das Europagebäude in Brüssel
APA/AFP/James Arthur Gekiere
Vor EU-Gipfel

Ungarn behindert weiterhin Hilfe für Ukraine

So notwendig und dringlich die Ukraine Hilfe im Krieg gegen Russland braucht und so klar das der EU auch ist, Viktor Orban bremst die Unterstützung. Auch unmittelbar vor dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs und -chefinnen am Donnerstag ist nicht klar, ob der ungarische Ministerpräsident nach monatelangem Hin und Her doch einlenkt und eine Einigung ermöglicht oder wieder sein Veto einlegt.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz beharrte beim Eintreffen im Ratsgebäude darauf, dass das Ukraine-Hilfspaket beschlossen wird. Der polnische Regierungschef Donald Tusk betonte, er hoffe, man werde seinen ungarischen Kollegen Viktor Orban noch überzeugen können, dem mehrjährigen Paket ohne Vetorecht zuzustimmen. Andernfalls müsse diesem klar sein, dass er für die Konsequenzen verantwortlich sei. Gefragt, was er Orban am Donnerstag sagen werde, antwortete Tusk: „Nichts Nettes!“

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell betonte, der russische Angriff auf die Ukraine sei die größte Sicherheitsbedrohung für Europa. Die EU müsse Kiew unterstützen und das Hilfspaket beschließen. Außerdem forderte er weitere Militärhilfen.

Wenn es ein Wort gibt, das aktuell in Brüssel dauernd fällt, wenn es um den Konflikt um die Freigabe der Ukraine-Hilfe geht, dann lautet es Erpressung. Bemerkenswert ist, dass beide Seiten es verwenden, die ungarische Regierung genauso wie die Vertreter und Vertreterinnen der anderen 26 EU-Mitgliedsländer. Der Erpresser ist – selbstredend – die jeweils andere Seite.

Europagebäude bei Nacht
IMAGO/Winfried Rothermel
Im Ratsgebäude in Brüssel, dem Europagebäude, stehen langwierige Verhandlungen über die Ukraine-Hilfe bevor

Orban will jährliches Vetorecht

Meistens trifft der Vorwurf Orban. Er hatte schon das EU-Gipfeltreffen im vergangenen Dezember in Beschlag genommen. Den Beschluss über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine verzögerte er zuerst, machte ihn letztlich aber doch dadurch möglich, dass er das Treffen verließ. Die nötige Einstimmigkeit blieb gewahrt. Ein finanzielles Entgegenkommen der EU-Kommission half angeblich auch.

Hart blieb der ungarische Regierungschef aber beim Geld. Den prinzipiell ausgemachten 50 Milliarden Euro an wirtschaftlicher Hilfe für die Ukraine wollte er nicht und nicht zustimmen. Und dabei ist er bis jetzt geblieben. Er verlangt, dass über die Hilfe, die als Mischung von Zuschüssen und Krediten aus dem EU-Budget kommen soll, jedes Jahr neu abgestimmt werden muss. Kritiker befürchten, dass Orban jedes Jahr neue Forderungen stellen könnte.

Vorgipfelstimmung ist misstrauisch und vorwurfsvoll

Entsprechend gereizt ist die Atmosphäre vor dem Gipfel, und alles ist geeignet, neue Diskussionen und Kontroversen auszulösen. Eine Geschichte einer Zeitung zum Beispiel, in der vage und ohne Quellenangabe davon die Rede ist, Ungarn wirtschaftlich zu schädigen, sollte Orban sich weiterhin querlegen. Oder Spekulationen in einem anderen Medium über die Möglichkeit, ein Verfahren nach Artikel sieben einzuleiten und Ungarn letztlich das Stimmrecht wegzunehmen.

Orban bestreitet, einen Kompromiss zu verhindern. Ungarn sei vielmehr bereit, Teil einer Lösung zu sein, sagte er in einem Zeitungsinterview – unter der Bedingung, dass die Entscheidung für die Wirtschaftshilfe zugunsten der Ukraine jedes Jahr erneuert und bekräftigt werde.

Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rates, richtete in den Stunden vor dem Gipfel noch einen Appell an die Teilnehmer. Eine Einigung, schrieb Michel, sei entscheidend für die Glaubwürdigkeit der Union. Wie ein Kompromiss aussehen könnte, bleibt vorerst allerdings ein Rätsel. Die Vorverhandlungen zwischen Frankreich, Deutschland und Ungarn sowie dem Ratspräsidenten und dem Vorsitzland Belgien als Organisatoren und Zeremonienmeistern laufen dem Vernehmen nach so ab, dass auch die anderen Regierungen vorerst noch im Dunkeln tappen.

Rauchbomben bei Bauernprotesten

Die wirtschaftliche Hilfe für die Ukraine ist das Hauptthema des Gipfels. Bei den ebenfalls beabsichtigten Waffen- und Munitionslieferungen bleiben die EU-Länder vorerst hinter ihren eigenen Versprechen zurück. Es gibt aber auch noch andere Themen, mit denen sich die Politiker und Politikerinnen der EU auseinandersetzen werden.

EU-Politiker bereiten sich für Gruppenfoto bei EU-Gipfel vor
IMAGO/ANP/Jonas Roosens
Massenhaft Gesprächs- und Koordinierungsbedarf für die europäischen Politiker und Politikerinnen, aber nur ein Tag Zeit

Schwer wiegen dürften die unterschiedlichen Aspekte der Nahost-Krise, allen voran der Krieg im Gazastreifen, zumal die Regierungen alles andere als einer Meinung sind, was das Vorgehen Israels angeht.

Parallel zum Ukraine-Sondergipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs blockierten Bauern Teile Brüssels. Etwa 1.300 Traktoren waren laut Polizei in der Stadt. Wegen der weiträumigen Absperrungen um das Gipfelgebäude konzentrierten sich die Proteste auf das EU-Parlament. Demonstrierende Landwirte entzündeten dort Rauchbomben und legten Feuer mit Paletten.