Konzert von The Last Dinner Party
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The Last Dinner Party

Das Endspiel der Albumkritik

„Barock Pop“, „Schauerromantik“ oder vielleicht sogar Romantik ohne Schauer. In Zeiten, da Alben tot sind und mit diesem Umstand die Albenkritik, feiert ein Format die Wiederauferstehung: die Albumkritik. Niemand darf im Moment am britischen Fünf-Frauen-Act The Last Dinner Party vorbei. Sie sind laut BBC der „Sound of 2024“. Infrage freilich steht in Zeiten fragmentierter Öffentlichkeiten: Für wen könnte es der Sound of 2024 sein? Es sei denn, man möchte das neue Jahr auch wieder schnell vergessen.

Doch offenbar gibt es sie doch noch: die Alben, die zu besprechen sind. „Prelude to Extasy“ der britischen Frauenband The Last Dinner Party, seit Freitag auf dem Markt, fällt in diese Kategorie. Nicht nur, weil die BBC diese Band als das größte Versprechen für das Jahr 2024 ausgerufen hat – und das BBC-Format noch als so etwas wie die letzte überkonfessionelle und über allen Alterskohorten liegende Verbindlichkeit gilt.

„Die zunehmend ins Eck der Bedeutungslosigkeit gedrängte, speziell britische Musikpresse klatscht seit jeher im Wochen- und Monatsabstand so gut wie alles euphorisch an die Wand, was irgendwie nach Alleinstellungsmerkmal oder kommerziell lukrativer Verwertungskette aussieht“, konstatierte vor wenigen Tagen Christian Schachinger im „Standard“, dem man generationell unterstellen würde, dass nachhaltiges Songwriting in der Verwirklichung von mehr als einer Impulsidee oder verwertbaren Wellenform bestünde.

Doch auch die etablierte Musikkritik scheint bescheiden geworden, weswegen im Fall der Last Dinner Party dann doch ein Band-Wagon-Effekt zählt – alle schreiben darüber, alle vergleichen, alle finden es so vergänglich und doch für das Halbjahr bis zum Sommer bemerkenswert. Und wer die Frühgeschichte noch präsent hat, ruft nach Siouxsie and the Banshees.

Hinweis

Wer Lust auf Abendkasse hat, kann The Last Dinner Party in Wien am 26. Februar in der Grellen Forelle erleben.

Schon die Stones haben gebucht

Dabei ist das Frauenquintett um Sängerin Abigail Morris schon seit 2022 so etwas wie ein Zukunftsversprechen. Die Stones buchten die Fünffrauenband als Vorgruppe. Und die Expertinnen und Experten der BBC hatten wohl die schwierige, zugleich aber auch nie nachhaltig überprüfte Aufgabe, einen herausstechenden und damit halbwegs nachhaltigen Act für die Aufmerksamkeit einer eher ungeduldigen Generation zu finden. Voila, eine Band, die auf Melodieführung rund um die prägnante Sängerin setzt.

Last Dinner Party im Konzert
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Kate Bush trifft Franz Ferdinand und wird zu Florence + the Machine: The Last Dinner Party live in der BBC

Wiedererkennung durch Stimme und Rhythmuswechsel

Ab Sekunde 30 kommt der Rhythmuswechsel, tauchen verschiedene Verhandlungen der Off-Beat-Struktur in einem Song auf. Und nach Minute eins? Der nächste Rhythmuswechsel. Kurz: Die Musik hat es nicht minder schwer wie die Musikkritik, die über sie befinden muss. Wer das nicht glaubt, mag sich beim Hören unter die Struktur des Songs „The Lady of Mercy“ legen, wo entweder der Rhythmuswechsel erdrückt oder der barocke Refrain, der sich auf den Kopf setzt wie ein schweres Vollfederplumeau.

In Summe sind die elf Songs nach der barocken Prelude nach einer einfachen Schnittvorlage gebaut, in der die Nachtigall so etwas wie die Revanchefigur wird: „And you can hold me like he held her / And I will fuck you like nothing matters“. „Nothing matters“ heißt der Song, der das „else“ dazwischen weglässt und die Hoffnung nährt, dass die versprochene Abrechnung oder Wiedergutmachung ihren nachhaltigen Effekt erfüllen möge.

Selten braucht ein Song länger als drei Minuten, um seine Botschaft zu entfalten. Wenn es länger wird, dann maximal bis zur Minute vier und zu Konfliktsituationen, die klar benannt sind: „The best a boy can ever be is pretty/He launches ships on which he sails to safety/And what I’m feeling isn’t lust, it’s envy.“

Ideen von Songs

Dilemma und Überzeugungskraft des Albums liegen eng bei einander. Es sind Ideenskizzen von Songs, die hier ausgeliefert werden. Wer das mit der Unterhaltung eines Maturaballs vergleicht, wie in manchen Kritiken formuliert, unterschätzt die Länge dieser Veranstaltung.

Immerhin: Jeder Song zieht sich in der Mitte mindestens mehr als einmal aus. Nur die Tonart ist leider bieder bis zum Abwinken. Aber vielleicht ist das auch nicht mehr die Erwartung an Indie. Rasch auf den Punkt kommen, das schafft The Last Dinner Party allemal.

„Sinner“ ist in diesem Sinn der überzeugendste Song des Albums, weil in ihm alle Ideen, Anforderungen und Themen rasch ausgelegt sind. Die ganz Alten mögen jubilieren. Franz Ferdinand haben in ihren besten Momenten so geklungen. Aber das ist schon so lang her, dass das Neue tatsächlich neu ist.