Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj
APA/AFP/Sergei Supinsky
„Neuanfang notwendig“

Machtkampf in Ukraine weitet sich aus

Seit mehreren Wochen bereits bahnt sich ein Machtkampf zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Armeechef Walerij Saluschnyj an. Selenskyj hatte mehreren Berichten zufolge bereits vergangene Woche dessen Ablösung geplant, konnte sie jedoch nicht durchsetzen. Am Sonntagabend bekräftigte er seine Pläne in einem Interview mit dem italienischen TV-Sender RAI: Dabei gehe es ihm aber nicht nur um einzelne Personen. Vielmehr sei ein „Neuanfang“ in der Führungsebene von Staat und Militär notwendig.

„Sicherlich ist ein Reset, ein Neuanfang notwendig“ – diese und ähnliche Aussagen von Selenskyj zogen sich durch das gesamte Interview. Immer wieder betonte der ukrainische Präsident dabei, dass es wichtig sei, über „die Richtung der Führung des Landes“ nachzudenken.

Selenskyj sagte zwar, er denke nach wie vor über die Ablösung Saluschnyjs nach, aber es gehe ihm nicht um eine einzelne Person. Es sei „eine Frage, die die gesamte Führung betrifft, die die Maschine des Landes antreibt, die groß und komplex ist“. Alle an der Staatsspitze müssten nach seinen Worten in dieselbe Richtung gehen und überzeugt vom Sieg der Ukraine sein.

Das ukrainische Onlinemedium Ukrainska Prawda berichtete unterdessen am Montag, dass Selenskyj angeblich die Absetzung des Generalstabschefs Serhij Schaptala zusammen mit Saluschnyj erwägt. Offizielle Bestätigungen dazu gab es jedoch nicht.

Machtkampf in Ukraine weitet sich aus

Seit mehreren Wochen bereits bahnt sich ein Machtkampf zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Armeechef Walerij Saluschnyj an. Selenskyj hatte mehreren Berichten zufolge bereits vergangene Woche dessen Ablösung geplant, konnte sie jedoch nicht durchsetzen. Am Sonntagabend bekräftigte er seine Pläne in einem Interview mit dem italienischen TV-Sender RAI.

Wiederholte Differenzen

In den vergangenen Wochen mehrten sich die Berichte über einen Machtkampf zwischen Selenskyj und dem General der ukrainischen Streitkräfte Saluschnyj. Bereits in der Vergangenheit hatte es wiederholt Differenzen zwischen den beiden gegeben. Im November hatte der General in einem Gespräch mit dem „Economist“ erklärt, der Krieg sei in eine Pattsituation getreten, und hatte damit eine Rüge des Präsidenten auf sich gezogen.

Oberkommandierender der Streitkräfte der Ukraine, Walerij Saluschnyj
Reuters/Viacheslav Ratynskyi
Selenskyj will die Ablösung von General Saluschnyj, dieser gilt aber bei seinen Soldaten und in der Bevölkerung als äußerst beliebt

Zuvor hatte das ukrainische Militär mit einer Gegenoffensive nur begrenzte Erfolge gegen die Stellungen der russischen Armee an der rund 1.000 Kilometer langen Front erzielt. In einem jüngst veröffentlichten Beitrag für den US-Fernsehsender CNN hatte Saluschnyj unter anderem kritisiert, aufgrund Widerstands in der Ukraine habe man keine hinreichende Kampfkraft aufbauen können.

Auch einen Antrag des Militärs auf Mobilisierung von bis zu 500.000 Personen hatte Selenskyj abgelehnt, da er mehr Details darüber verlangte, wie die Mobilisierung organisiert und bezahlt werden sollte. Der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko äußerte sich kritisch über die mögliche Entlassung Saluschnyjs und sagte, es sei der Führung des Generals zu verdanken, dass „viele Ukrainerinnen und Ukrainer den Streitkräften wirklich vertrauen“.

Beliebt bei Soldaten und Bevölkerung

Der 50-jährige Saluschnyj wurde wenige Monate vor Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 Oberbefehlshaber der Armee. Unter seinem Kommando hielten die ukrainischen Truppen der Invasion stand und eroberten auch besetze Gebiete zurück.

Der General gilt als äußerst beliebt bei seinen Soldaten und in der Bevölkerung. In einer Umfrage von Dezember, die im ukrainischen Onlinemedium The Kyiv Independent erschienen ist, sprachen sich 72 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer gegen einen Rücktritt von Saluschnyj aus. Unklar sei zudem auch, ob ein möglicher Nachfolger das gleiche Maß an Respekt bei den ukrainischen Truppen und ausländischen Verbündeten genießen würde.

Militärhilfe weiter dringend benötigt

Eine Aufforderung des Präsidenten zum Rücktritt soll der angesehene General Medienberichten zufolge dementsprechend abgelehnt haben. Offiziell geäußert dazu hatte sich Saluschnyj nicht. Als mögliche Nachfolger im Amt des Oberkommandierenden waren der Chef der Landesstreitkräfte, Olexandr Syrskyj, und der Chef des Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, genannt worden.

Zudem ist die Ukraine auch weiterhin stark auf westliche Militärhilfe angewiesen, da die russischen Streitkräfte in viele Richtungen der Frontlinie vorstoßen. Zwar hatte sich die EU erst vergangene Woche auf ein 50 Milliarden schweres Hilfspaket für die Ukraine geeinigt. Ein weiteres Hilfspaket aus den USA wurde zuletzt allerdings im Kongress blockiert.

Ein Militärfahrzeug feuert eine Rakete ab
Reuters/Alina Smutko
Saluschnyj hatte im November in einem Interview mit dem „Economist“ von einer Pattsituation auf dem Schlachtfeld gesprochen

„Foreign Affairs“: Russland passt sich besser an

Eine etwaige Entlassung Saluschnyjs könnte zudem die Unsicherheit unter den westlichen Verbündeten verstärken. Russlands Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte über das Gerede über eine mögliche Entlassung Saluschnyjs, dass die ukrainische Führung Risse zeige.

Knapp vor dem zweiten Jahrestag des russischen Einmarschs in die Ukraine habe Russland laut einem Bericht des US-Journals „Foreign Affairs“ auch gelernt, sich besser an die Gegebenheiten im Krieg anzupassen.

Die Ukraine sei zwar besser in der taktischen Anpassung, also dem „Lernen und Verbessern“ auf dem Schlachtfeld, doch Russland sei besser in der strategischen Anpassung, also im Lernen und in der „Anpassung, die sich auf die nationale und militärische Politik auswirkt“: zum Beispiel auf die Art und Weise, wie Staaten ihre Ressourcen nutzen. Beide Formen der Anpassung wären laut „Foreign Affairs“ wichtig, aber letztere sei für das Gewinnen von Kriegen am wichtigsten.