Bundesasylamt
ORF.at/Roland Winkler
Asyl-NGO und Innenministerium

Österreich nicht „Zielland Nummer eins“

Die offizielle Asylstatistik des Vorjahres liegt noch nicht vor – doch die vorläufigen Zahlen, über welche die APA am Montag berichtet hat, geben durchaus bemerkenswerte Aufschlüsse. So ist die Zahl derjenigen, die zwar Asylantrag stellen, dann aber gleich in ein anderes EU-Land weiterziehen, anteilig nochmals deutlich gestiegen. Innenministerium und Asylkoordination finden hier zu einer seltenen übereinstimmenden Einschätzung: Es zeige, dass Österreich nicht das „Zielland Nummer eins“ sei. Die SPÖ-Burgenland widerspricht.

Die Zahl der Asylanträge gesamt lag bei 58.698. Das entspricht einem Rückgang gegenüber 2022 um 48 Prozent. Das Innenministerium erklärte das gegenüber ORF.at mit gesetzten Maßnahmen, wie dem Kampf gegen Schlepperei, und damit, dass es in der Bundesbetreuung nur Sachleistungen gebe. Lukas Gahleitner-Gerz von der NGO Asylkoordination verwies darauf, dass Serbiens Präsident Aleksandar Vucic wegen der Präsidentschafts- und Parlamentswahl im Herbst die Grenzen dicht gemacht habe.

Zudem wollten bei Weitem nicht alle der in Österreich registrierten Flüchtlinge tatsächlich hier bleiben. Das zeigt sich daran, dass bei rund 31.000 Personen – also rund der Hälfte aller Anträge – das Verfahren ausgelaufen ist. Im Regelfall handelt es sich dabei um Flüchtlinge, die ein anderes Zielland hatten und in dieses weitergereist sind. Das heiße also nicht, dass Österreich „viel freizügiger“ geworden wäre, so Gahleitner-Gerz.

Österreich habe damit zwar einen Mehraufwand beim Registrieren, es zeige aber, dass Aussagen von Politikern, wie des burgenländischen SPÖ-Landeshauptmanns Hans-Peter Doskozil, Österreich sei quasi „Zielland Nummer eins“, nicht stimme. Genau darauf verwies gegenüber ORF.at auch das Innenministerium bei der Analyse der Zahlen. Zuletzt hatte Doskozil im ZIB2-Interview erneut betont, Österreich sei „Zielland Nummer eins“ in der EU für Asylwerberinnen und -werber.

Doskozil (SPÖ) zur Asylobergrenze

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) fordert eine Obergrenze von 10.000 Asylanträgen im heurigen Jahr. Zum Thema war Doskozil zu Gast in der ZIB2.

Gahleitner: „Pull-Faktor nicht so stark“

Der Asylexperte verwies insbesondere darauf, dass die Zahl jener, die nicht in Österreich bleiben, unter Afghanen besonders hoch sei. Das ist insofern bemerkenswert, als sie einen „praktisch fixen Anspruch auf Schutzstatus“ hätten und damit auf höhere Sozialleistungen. Doch auch von dieser Gruppe würden 70 Prozent weiterziehen. Für Gahleitner-Gerz ist damit klar: „Der sogenannte Pull-Faktor ist nicht so stark.“

Anerkennungen und Abweisungen gestiegen

Ziemlich genau 26.500 Menschen haben im Vorjahr in Österreich Asyl (16.787) oder einen subsidiären Schutzstatus (8.011) erhalten. Etwa 1.750 Personen dürfen aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen in Österreich bleiben. Gegenüber 2022 entsprechen die Zahlen bei Asyl einem Plus von 4.500 oder 21 Prozent. Die negativen Asylbescheide stiegen freilich ähnlich stark, nämlich um 18 Prozent. Beim subsidiären Schutzstatus und bei besonderen Gründen gingen die negativen Bescheide dagegen von 2022 auf 2023 um 38 bzw. 31 Prozent zurück.

Dass die Zahl der Gewährung von Asyl und subsidiärem Schutz zunahm, liegt laut Gahleitner-Gerz daran, dass 2022 vor allem viele Anträge von Indern und Indonesiern, die kaum Aussichten hatten, abgearbeitet worden seien. 2023 habe man verstärkt „aussichtsreichere Fälle“ abgearbeitet.

Grafik zu Asylentscheidungen
Grafik: APA/ORF; Quelle: BMI

Gahleitner: Keine Systemüberlastung

Gahleitner-Gerz zufolge zeigen die Zahlen des Gesamtjahrs 2023 zudem, dass die Klage über die Systemüberlastung nicht zutreffe. Es gebe keinen „Backlog“, also Rückstau an nicht bearbeiteten Fällen. Denn obwohl es Ende 2022 53.000 anhängige Verfahren gab und dann in den letzten zwölf Monaten 60.000 weitere Verfahren dazukamen, waren am 31.12.2023 knapp unter 39.000 Fälle noch anhängig. Es wurden also allein im Vorjahr rund 74.000 erstinanzliche Verfahren abgeschlossen.

SPÖ-Burgenland widerspricht

Der burgenländische SPÖ-Klubchef Roland Fürst bestand gegenüber ORF.at darauf, dass Österreich das „Zielland Nummer eins, was die Asylanträge betrifft“ sei, und das seit Jahren. Asylkoordination und Innenministerium dagegen teilen diese Einschätzung nicht und verweisen darauf, dass viele Antragsteller rasch in andere EU-Länder weiterreisen. Fürst betonte dagegen, durch die Registrierung in Österreich würden viele an der Weiterreise gehindert oder von anderen EU-Staaten zurückgeschickt. Diese Zahlen würden „seltsamerweise“ nirgendwo aufschienen. Fürst sprach von „Beschönigungsversuchen“ des Innenministeriums.

Deutlich mehr Männer als Frauen

Es kamen deutlich mehr Männer nach Österreich – nämlich knapp 32.000 gegenüber fast 7.000 Frauen, was 76 Prozent entspricht. Etwa 19.800 Asylwerber waren Minderjährige, davon rund 5.100 unbegleitet. Besonders Flüchtlinge aus Afghanistan fallen in diese Gruppe. Mehr als die Hälfte der Antragssteller insgesamt fällt in die Altersgruppe 18 bis 35.

Häufigstes Herkunftsland ist Syrien, gefolgt von Afghanistan und der Türkei. Immerhin auf Platz acht rangiert Indien, und das, obwohl keinem einzigen Antragssteller aus dem Land 2023 Asyl gewährt wurde. Im Fall von Marokko waren es nur zehn positiv beurteilte Anträge. Die besten Chancen auf Asyl haben Flüchtlinge aus Syrien mit einer Anerkennungsquote von 61 Prozent.

In der Grundversorgung befanden sich zu Jahresbeginn 78.800 Personen. Das sind deutlich weniger als zum gleichen Zeitpunkt im Jahr davor, als es fast 93.000 waren. Die mit Abstand größte Gruppe in der Grundversorgung sind 40.000 Vertriebene aus der Ukraine.