Abgase über dem Braunkohlekraftwerk Weißweiler in Deutschland
ORF.at/Christian Öser
Bis 2040

CO2-Ausstoß in EU soll um 90 Prozent fallen

Die EU-Kommission schlägt als neues Klimaziel die Reduktion von Treibhausgasemissionen um 90 Prozent gegenüber den Werten von 1990 vor. Es handelt sich um ein Etappenziel bis 2040, bevor die Union 2050 klimaneutral sein soll. Offenbar wurden angesichts der vielerorts aufflammenden Bauernproteste aber auch Zugeständnisse an die Landwirtschaft gemacht.

Das neue Zwischenziel kündigte am Dienstag EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra vor dem EU-Parlament in Straßburg an. Ganz überraschend kam der Schritt nicht, nachdem ein Entwurf schon im Voraus an Medien weitergegeben wurde.

Das neue Ziel stellt eine Etappe dar. Das bestehende Reduktionsziel für 2030 lautet minus 55 Prozent, 2050 soll die EU klimaneutral sein. Dafür soll vor allem das Gesetzespaket „Fit for 55“ unter dem Dach des „Green Deal“ (dt.: „Grüner Deal“) sorgen. Die Strategie umfasst Maßnahmen in verschiedenen Bereichen wie Energie, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft. Ein Zwischenziel für 2040 gab es bisher nicht.

Das Ziel für 2040 ist kein Gesetzesvorschlag, sondern zunächst eine Empfehlung. Nach der Europawahl Anfang Juni müsste die nächste EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag für die Festlegung des Klimazieles für 2040 vorlegen, damit das Ziel verbindlich wird. Auch müssen noch das EU-Parlament und der Rat der EU-Staaten zustimmen.

Zugeständnisse an Bauern

Als Sektoren, die Treibhausgase einsparen können, werden etwa die Industrie, der Verkehr und die Landwirtschaft genannt. Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie müsse zudem sichergestellt werden und ein strategischer Dialog mit Industrie und Bauern stattfinden.

Die jüngsten Bauernproteste dürften sich auch auf die Pläne der EU-Kommission ausgewirkt haben. Während in einem geleakten Entwurf, der der APA vorlag, noch eine Reduktion der Nicht-CO2-Emissionen in der Landwirtschaft von 30 Prozent vorgesehen war, ist davon in dem endgültigen Entwurf nichts mehr zu finden.

CO2-Ausstoß soll drastisch reduziert werden

Die EU-Kommission schlägt ein neues Klimaziel vor: die Reduktion von Treibhausgasemissionen um 90 Prozent gegenüber den Werten von 1990 bis 2040.

Ebenfalls am Dienstag hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits ein anderes Zugeständnis an die Landwirtinnen und Landwirte gemacht. Sie will den Vorschlag für ein Umweltschutzgesetz gegen hohen Pestizideinsatz zurückziehen. Im Austausch mit Betroffenen wie Landwirten und Umweltorganisationen könnte die Kommission einen neuen Vorschlag vorlegen.

Umstrittene CO2-Speicherung im Boden

Beim Erreichen des neuen Klimaziels bis 2040 will die Kommission nicht nur auf die Reduktion von Emissionen setzen, sondern auch bereits ausgestoßene Treibhausgase wieder einfangen. Der Vorschlag sieht vor, dass erneuerbare Energien ausgebaut und etwa Technologien für eine Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) vorangebracht werden. CCS steht als englische Abkürzung für „Carbon Dioxide Capture and Storage“.

EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra
IMAGO/ANP/Ramon Van Flymen
Klimakommissar Wopke Hoekstra

Gemeint ist die Abscheidung und unterirdische Speicherung von Kohlendioxid (CO2), das beispielsweise in Industrieanlagen und bei der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle entsteht. Die CO2-Speicherung sei insbesondere eine Lösung für die Schwerindustrie, „wo die Emissionen nicht vollständig beseitigt werden können“, so Hoekstra. Dazu gehören etwa die Zementherstellung und die Abfallindustrie.

Mit energieintensiven Verfahren wird das Treibhausgas eingefangen, unter Druck verflüssigt und dann etwa in ehemaligen Gas- und Erdöllagerstätten, in salzwasserhaltigem Gestein oder in den Meeresuntergrund gepresst und eingelagert. Das soll verhindern, dass das CO2 in die Atmosphäre gelangt und die Erderwärmung beschleunigt. Die Technologie werde „nicht nur Emissionen senken, sondern auch die Industrie sauberer und wettbewerbsfähiger machen“, erklärte EU-Energiekommissarin Kadri Simson am Dienstag.

Die Methode ist allerdings umstritten. Die Verflüssigung und Einspeicherung von CO2 ist selbst sehr energieintensiv, außerdem könnten Gefahren durch undichte Lagerstätten drohen.

Schaidreiter (ORF) zu neuen Klimazielen

EU-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter analysiert das neue EU-Klimaziel und die Reaktionen darauf.

Freude bei Gewessler, Ärger bei Totschnig

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) begrüßte den Vorschlag. „Weniger klimaschädliche Emissionen heißt gleichzeitig mehr Lebensqualität, intaktere Natur und sauberere Luft“, so Gewessler in einer Aussendung.

Ganz anders sah das Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP). Er forderte „eine Kurskorrektur auf EU-Ebene“. Die Bäuerinnen und Bauern seien durch „zahlreiche Belastungen, realitätsfremde Regulierungen sowie eine Flut an Bürokratie“ an ihren Grenzen. Die Landwirtschaft könne nicht mit anderen Sektoren gleichgesetzt werden, da sie CO2 binde und Sauerstoff produziere. Wer die landwirtschaftliche Produktion zurückfahre, „gefährdet die Versorgungssicherheit, schadet dem Klima und befeuert höhere Lebensmittelpreise“, so Totschnig.

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) meinte, die Ziele müssten realistisch sein. „Die Schlüssel zum CO2-neutralen Europa sind innovative Technologien. Daher braucht es ein konsequentes Bekenntnis zu Technologien wie der CO2-Speicherung und -Abscheidung, der Nutzung kritischer Rohstoffe für die Transformation und massive private Investitionen.“

Klar ablehnend gegenüber dem heute vorgestellten Klimaziel zeigte sich dagegen der ÖVP-EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber. Er halte es für „sehr bedenklich“ und „irritierend“, dass die Kommission „jetzt wieder mit einer neuen Zielsetzung“ komme, so Bernhuber. Er plädierte dafür zu schauen, wie die Klimaneutralität bis 2050 realistisch erreicht werden könnte, ohne „immer neue Zwischenziele“.

Gemischte Reaktionen bei Parteien

Grundsätzliche Zustimmung für das neue Klimaziel gab es von der SPÖ. Man stehe hinter dem „Green Deal“, sagte der SPÖ-EU-Parlamentarier Günther Sidl. Wichtig seien aber auch soziale Aspekte sowie die Umsetzbarkeit der Maßnahmen. Keine Zustimmung gab es von den Freiheitlichen. Der FPÖ-EU-Abgeordnete Roman Haider befürchtete, dass durch die Klimaschutzmaßnahmen das „Leben für die Bürger teurer“ werde und es zu einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit komme.

Die Grünen bedauerten, dass im Kommissionsvorschlag kein Ende für fossile Energieträger vorgesehen sei. Mit der CO2-Speicherung werde zudem die „teuerste Methode, CO2 einzusparen“, gewählt, so Grünen-MEP Thomas Waitz, anstatt Bäuerinnen und Bauern zu unterstützen, klimafreundlicher zu produzieren.

NEOS-Abgeordnete Claudia Gamon legte den Fokus auf die konkreten Maßnahmen, mit denen das Klimaziel umgesetzt werde. „Von den Zielen allein werden wir nicht klimaneutral“, sagte sie im Vorfeld der Ankündigung.

Umwelt-NGOs wollen mehr

Das Klimaziel der Kommission gehe in die richtige Richtung, so die Umweltorganisation WWF. „Allerdings bleibt die EU-Kommission hinter den ambitionierten Vorschlägen der Wissenschaft zurück und will den Beschluss erst nach der Wahl fassen. (…) Die Klimaneutralität ist schon 2040 möglich, erfordert aber mehr Mut und Konsequenz.“

Für Greenpeace ist der aktuelle Vorschlag „zu schwach und wird zusätzlich noch mit Technologiemärchen wie der Kohlenstoffspeicherung verwässert“. „EU-Kommissar Hoekstra greift jedoch lieber in die Trickkiste und preist eine Hochrisikotechnologie wie die Kohlenstoffspeicherung an, als das notwendige Ende von Kohle, Öl und Gas klar zu benennen“, so Jasmin Duregger von Greenpeace in Österreich.

Die Industriellenvereinigung (IV) sah unterdessen mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet und kritisierte, dass die EU-Kommission kurz vor der EU-Neuwahl solch richtungsweisende Vorgaben präjudiziere. „Wir brauchen einen politischen Kurswechsel und einen Umsetzungsfokus, statt den europäischen Standort durch immer mehr, teils überbordende Vorschriften selbst zu schwächen“, hieß es.