Pflegerin unterstützt eine Frau beim Gehen mit ihrem Rollator in einem Pflegewohnhaus
ORF.at/Christian Öser
Bedarfsprognose

Pro Jahr fehlen bis zu 3.000 Pflegekräfte

Um die aktuelle Versorgungs‐ und Betreuungssituation aufrechterhalten zu können, werden bis zum Jahr 2050 knapp 200.000 Pflege- und Betreuungspersonen benötigt. Zu diesem Ergebnis kommt die am Mittwoch vorgestellte aktualisierte Pflegepersonalbedarfsprognose der Gesundheit Österreich (GÖG). Stellt man die derzeitige Zahl der abgeschlossenen Ausbildungen im engeren Pflegebereich und den Bedarf bis 2050 gegenüber, ergibt sich eine Lücke von bis zu 3.000 Personen pro Jahr.

Bereits 2019 legte die GÖG eine Bedarfsprognose bis 2030 vor. Diese wurde nun aktualisiert und bis 2050 weitergeführt. Einberechnet wurden dabei einerseits Pensionierungen („Ersatzbedarf“, rund 108.000 Personen) sowie andererseits die demografische Entwicklung („Zusatzbedarf“, rund 88.000 Personen), sagte Studienautorin Brigitte Juraszovich, stellvertretende Leiterin der Abteilung Gesundheitsberufe und Langzeitpflege in der GÖG.

Nicht einbezogen beim Ersatzbedarf wurden aufgrund mangelnder Datenlage mögliche Abwanderungen oder Personalfluktuation. „Somit handelt es sich bei diesen Zahlen um eine absolute Untergrenze“, heißt es in der Prognose.

Von der Studie umfasst wurde dabei Personal in Akutkrankenhäusern inklusive Reha-Einrichtungen sowie in der stationären, teilstationären und mobilen Langzeitpflege. Keinen Eingang fanden dagegen etwa Personal in Arztpraxen und Behinderteneinrichtungen sowie Freiberufler bzw. Personen in Lehre und Forschung bzw. an Schulen und in Sozialversicherungen. Insgesamt ergibt sich dadurch bis 2030 ein kumulierter Mehrbedarf von rund 51.000 Personen, bis 2040 von 120.000 Personen und bis 2050 von 196.500 Personen.

Bedarfsspitze kommt mit Verzögerung

Die aktuelle Prognose für 2030 entspricht dabei ziemlich genau jener der 2019 vorgelegten, so Juraszovich. Allerdings habe sich die eigentlich für dieses und kommendes Jahr erwartete Spitze etwas nach hinten verschoben. Einerseits sei das die Folge der Übersterblichkeit älterer Personen in der Covid-19-Pandemie, andererseits seien in dieser Zeit auch weniger Menschen in Pflegeeinrichtungen aufgenommen worden.

Nimmt man nur die Pflegepersonen im engeren Sinn in den Fokus (Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz und Diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal), braucht es bis 2030 jährlich zwischen 5.000 und 5.900 Personen mehr. 2031 bis 2040 werden im Schnitt 5.600 Personen benötigt, 2041 bis 2050 6.200.

Österreich braucht Tausende Pflegekräfte

Bis Ende dieses Jahrzehnts werden in Österreich noch 51.000 zusätzliche Pflegekräfte gebraucht – bis 2050 fast 200.000, wie aus der neuesten Prognose der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) hervorgeht. Darüber hinaus fordert die GÖG mehr Gesundheitsvorsorge und verstärkte Ausbildung von Pflegekräften.

Lücke von 2.000 bis 3.000 Personen jährlich

Demgegenüber werden derzeit im Schnitt rund 5.100 Personen in diesen Bereichen ausgebildet. Das klingt zwar nach fast einer vollständigen Deckung des Bedarfs – allerdings müsse man hier einbeziehen, dass derzeit nur rund 80 Prozent der Ausgebildeten tatsächlich in den Beruf einsteigen, sagte Juraszovich.

Dazu kämen Fluktuation und andere Abgänge als Pensionen. Insgesamt geht sie daher davon aus, dass insgesamt 7.000 bis 8.000 Absolventen und Absolventinnen pro Jahr nötig sein werden – das ergibt eine jährliche Lücke von 2.000 bis 3.000 Personen.

Rekrutierungen auch aus dem Ausland nötig

Als Maßnahmen zur Deckung des Bedarfs empfiehlt die Studie neben bereits gesetzten Maßnahmen wie einer Attraktivierung und Zuschüssen bei der Ausbildung unter anderem die Rekrutierung von internationalen Pflegekräften sowie von Wiedereinsteigerinnen und Quereinsteigern. Bessere Arbeitsbedingungen oder, wie es in der Studie heißt, „Maßnahmen zur Personalbindung“ seien ebenfalls erforderlich.

Außerdem sollte die Effizienz gesteigert werden, etwa durch den Einsatz von Technik und die Entlastung des Pflegepersonals etwa durch administrative Kräfte. Schließlich müsse man aber auch einen Fokus auf Prävention setzen, sagte Juraszovich. Durch die Erhöhung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung könnte etwa die Pflegebedürftigkeit reduziert werden.

Ruf nach Attraktivierung des Berufs

Für die Volkshilfe sind die Zahlen der Prognose sogar zu tief gegriffen – noch nicht eingerechnet seien etwa mehr Zeit für die Beziehungsarbeit, Supervision und Teambesprechungen bzw. eine Reduktion der Wochenarbeitszeit, so Präsident Ewald Sacher. Der Wiener Caritas-Direktor Klaus Schwertner hält langfristig gute Gehälter, neue Modelle in der Personalplanung und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie eine entsprechende Berufsanerkennung bei Pflegepersonen für nötig.

Auch Gewerkschaftsvertreter, Arbeiterkammer (AK) und die Wiener Grünen forderten in Aussendungen bessere Arbeitsbedingungen, die AK dazu auch noch die Anerkennung der Pflege als Schwerarbeit. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch verlangte unter anderem eine Bezahlung in Höhe von 2.300 Euro brutto für Personen in der Pflegeausbildung, ÖVP-Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec einen Ausbau der Digitalisierung wie etwa durch Telemedizin und Smart-Home-Technologien und NEOS-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler mehr Ausbildnerinnen und Ausbildner für Pflegeberufe.

Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV), sagte im Interview mit dem Ö1-Mittagsjournal: „Wir brauchen ein Bündel an Maßnahmen, und das besser gestern als morgen.“ Der Zeitpunkt, „wo wir mit ein, zwei Maßnahmen das Ruder herumreißen“, sei längst überschritten.