Hauptquartier der EU-Kommission in Brüssel
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„Souveränitätsgesetz“

EU-Verfahren gegen Ungarn

Die EU-Kommission leitet ein neues Verfahren gegen Ungarn ein: Nach Kommissionsangaben vom Mittwoch geht es um ein Gesetz, mit dem die Regierung von Viktor Orban „ausländische Einmischung“ verhindern will. In der damit geschaffenen Regierungsbehörde zur Überwachung der staatlichen „Souveränität“ sieht Brüssel ein Mittel zur Einschränkung der Meinungsfreiheit und anderer europäischer Grundrechte in Ungarn.

Die neue, in der Verfassung verankerte Behörde soll das Gesetz zum Schutz der nationalen „Souveränität“ durchsetzen – das ungarische Parlament hatte jenes Gesetz im Dezember verabschiedet. Die Aufgabe der Behörde ist es, „Organisationen ausfindig zu machen und zu untersuchen, die Finanzmittel aus dem Ausland erhalten und darauf abzielen, den Wählerwillen zu beeinflussen“.

Das Amt selbst kann keine Sanktionen verhängen, aber Material für gerichtliche Ermittlungen liefern. Wahlkandidaten und -kandidatinnen, die Gelder aus dem Ausland annehmen, drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. Leiter der neuen Behörde ist Tamas Lanczi, der seine Karriere im Umfeld von Orbans FIDESZ-Partei gemacht hat.

der ungarische Premierminister Viktor Orban
AP/Denes Erdos
Der ungarische Regierungschef Viktor Orban

Ungarn könnte Geldstrafe drohen

Das Gesetz und die Ende Jänner eingesetzte Behörde schränken nach Ansicht der Kommission unter anderem „das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten, die Meinungs- und Informationsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit und das Wahlrecht der EU-Bürger“ ein, wie es in einer Brüsseler Erklärung heißt. „Die Schaffung einer neuen Behörde mit weitreichenden Befugnissen und einem strengen Überwachungs- und Sanktionsregime birgt die Gefahr, der Demokratie in Ungarn ernsthaften Schaden zuzufügen“, sagte eine Kommissionssprecherin in Brüssel.

Die Regierung in Budapest hat nun zunächst zwei Monate Zeit, um auf die Vorwürfe zu reagieren. Im äußersten Fall drohen Ungarn eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und mögliche Zwangsgelder. Wegen verschiedener Grundrechtsverstöße etwa beim Asylrecht sind derzeit rund 20 Milliarden Euro an EU-Hilfen für Ungarn eingefroren.

Die ungarische Regierung beschuldigt die EU und Organisationen aus dem Ausland, vor allem aus den USA, in der Vergangenheit immer wieder, „Milliarden von Euro“ an die Opposition zu verteilt zu haben, um „den Wählerwillen zu beeinflussen“. Seit seiner Rückkehr an die Macht vor fast 14 Jahren schränkte Orban, der enge Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin pflegt, die Pressefreiheit zunehmend ein.

Viel Kritik an neuer Behörde

Die neue Regierungsbehörde sorgte in den vergangenen Wochen für viel Kritik: „Das ist eine neue, gefährliche Provokation von Regierungschef Viktor Orban“, urteilte die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) Ende Jänner. Im RSF-Ranking zur Pressefreiheit rutschte Ungarn seit 2009 vom 25. auf den 72. von 180 Plätzen ab.

Auch die USA hatten scharfe Kritik an dem ungarischen „Souveränitäts“-Gesetz geübt. Die Behörde habe „ein Mandat von atemberaubendem Ausmaß“, sagte der US-Botschafter in Ungarn, David Pressman.

Zoltan Ranschburg vom liberalen Thinktank Republikon zeigte sich über den Leiter der Behörde – Tamas Lanczi – besorgt. „Lanczi ist ein versierter, gut vernetzter Propagandist“, sagte er. „Ginge es der Regierung wirklich um die Verteidigung der Souveränität, hätte sie einen Spezialisten für nationale Sicherheit ernannt.“

Große Sorge um Pressefreiheit

Agnes Urban vom Institut Mertek Media Monitor befürchtete, dass Lanczi das Amt für Verleumdungskampagnen missbrauchen könnte. Eine andere Sorge, auf die der Europarat Ende November hinwies, ist die „unbegrenzte Macht der Behörde, sensible Daten und private Informationen von jedermann ohne Kontrolle und ohne Rechtsmittel anzufordern“. Die Behörde könnte somit Medienunternehmen effektiv allein dadurch lahmlegen, dass sie Unmengen an Daten verlangt, warnte Urban. In einem Brief warnten zehn unabhängige ungarische Medien, dass „die Pressefreiheit drastisch beeinträchtigt werden könnte“.

Für viele NGOs ist die neue Gesetzeslage fatal. Sie seien auf Finanziers aus dem Ausland angewiesen, sagt Miklos Ligeti von Transparency International Ungarn. Denn regierungskritische Organisationen hätten ohnehin keinen Zugang zu staatlichen Zuschüssen, und die Spenden aus dem Inland reichten nicht aus.

Verfahren für Grüne „zu spät“, für FPÖ „absurd“

Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, begrüßte in einer Aussendung am Mittwoch das Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn, kritisierte aber, dass dies „sehr spät“ komme. Orban müsse die Ratspräsidentschaft (Ungarn übernimmt diese mit 1. Juli, Anm.) entzogen werden, „alle zur Verfügung stehenden Mittel müssen ausgeschöpft werden, um die Rechtsstaatlichkeit sicherzustellen“, forderte sie.

Harald Vilimsky, freiheitlicher Delegationsleiter im Europaparlament, bezeichnete das Verfahren als „absurd“. Die EU selbst habe ein Gesetz in Planung, mit dem ausländischer Einfluss in der Union bekämpft werden solle, sagte Vilimsky, der der EU-Kommission einen „richtiggehenden Feldzug“ gegen Ungarn vorwarf.