Arbeits- und -Wirtschaftsminister Martin Kocher
APA/Helmut Fohringer
EU-Lieferkettengesetz

Kocher will sich enthalten

Das am Freitag in Brüssel zur Abstimmung stehende EU-Lieferkettengesetz spaltet weiter die ÖVP-Grünen-Koalition. ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher betrachtet den Kompromissvorschlag als „nicht zustimmungsfähig“. Am Mittwochabend gab Kochers Büro dazu bekannt, dass sich Kocher bei der Abstimmung enthalten werde. Kurz zuvor hatte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) Kocher zur Zustimmung aufgefordert.

Kocher solle „endlich Farbe bekennen und sich zu diesem wichtigen europäischen Vorhaben erklären“, so Zadic. Auch Gewerkschaft, Arbeiterkammer (AK) sowie NGOs und Umweltschützer erwarten von dem Vorhaben Nutzen für Menschen und Umwelt und sprechen sich dafür aus. Wirtschaftsvertreter von Wirtschaftskammer Österreich (WKO) und Industriellenvereinigung (IV) sind dagegen, sie warnen vor einer Überregulierung.

„Die Ziele der Richtlinie werden auch von Kocher unterstützt. Man wolle aber eine umsetzbare Grundlage“, so der Wirtschaftsminister, der APA-Angaben dazu anführte: „Der aktuelle Richtlinienentwurf ist nicht umsetzbar und wirkt sich stark negativ für Unternehmen sowohl in der EU als auch in den Ländern des Globalen Südens aus.“

Kocher für „Rückkehr an den Verhandlungstisch“

Im Ergebnis würden viele Pflichten und Haftungsrisiken auf kleine und mittlere Unternehmen überwälzt, sagte Kocher ähnlich der Argumentation der Wirtschaftsvertreter von zuletzt. „Die österreichische Wirtschaft besteht zu 99,6 Prozent aus KMU. Es besteht die Gefahr, dass kleine und mittlere Unternehmen weltweit aus internationalen Lieferketten gedrängt werden. Wir dürfen Europas Position in der Weltwirtschaft nicht schwächen“, so Kocher.

„Daher werde ich auf europäischer Ebene für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch eintreten, um Verbesserungen im Kompromisstext zu erzielen. Wir haben dazu konkrete Vorschläge, weil wir eine starke, aber umsetzbare Lieferkettenrichtlinie wollen.“

Auch Deutschland mit Enthaltung

Erst dieser Tage war bekanntgeworden, dass sich das gewichtige EU-Mitgliedsland Deutschland ebenso enthalten wolle. Dem Vernehmen nach überlegen das seither einige weitere EU-Staaten. Für eine Annahme des Lieferkettengesetzes ist eine qualifizierte Mehrheit nötig.

Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderwärmung vereinbar sind.

Zadic: „Altes Denken“

„Wir können es uns nicht leisten, auf altes Denken zu hören, das fadenscheinige Gründe sucht, warum es hier keine Verbesserungen geben soll“, sagte Zadic in einem Statement gegenüber der APA. „Mit einem starken Lieferkettengesetz könnten wir endlich wirksam gegen die Ausbeutung von Millionen Kindern vorgehen“, so Zadic.

Das Gesetz, das sie „mit aller Kraft unterstützen“ will, biete „eine einmalige Chance, unseren Planeten und seine Artenvielfalt vor weiterer Zerstörung zu schützen und für unsere Kinder und Enkelkinder zu bewahren“. Zudem schaffe man damit faire Wettbewerbsbedingungen, kleine Unternehmen und Familienbetriebe, die regional wirtschaften, würden gestärkt.

Druck von Grüner Wirtschaft

Auch zu Wort meldete sich am Donnerstag die Chefin der Grünen Wirtschaft, Sabine Jungwirth: „Das Lieferkettengesetz betrifft Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bzw. in Risikosektoren Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen“, erinnerte sie. „Gleichzeitig profitieren Zehntausende EPU und KMU in Österreich, die jetzt schon sozial und ökologisch nachhaltig wirtschaften.“

Die entscheidende Frage für Kocher sei: „Unterstützt er die verantwortungsvoll wirtschaftenden Unternehmen in Österreich – oder lässt er sich vor den Karren der ewiggestrigen Kammerlobbyisten spannen, die im Interesse der Großkonzerne jeden Fortschritt blockieren?“

Mahrer: „Fast paneuropäische Ablehnung“

Vehement gegen eine Umsetzung des Lieferkettengesetzes stellte sich auch der Präsident der WKO und des ÖVP-Wirtschaftsbundes, Harald Mahrer. Unter den Wirtschaftsverbänden gebe es eine „fast paneuropäische Ablehnung“. Man bekenne sich zwar zu „mehr Nachhaltigkeit und der Einhaltung sozialer Standards“, der Wirtschaftsvertreter fragte am Rande einer Pressekonferenz aber: „Wer kann das garantieren?“ Das seien nicht die Unternehmen, aber „Regierungen und Handelsverträge“.

Ziele im Rahmen zur nachhaltigen Unternehmensführung seien okay, aber man könne „nicht den Ast abschneiden, auf dem man sitzt, und sich selbst aus dem Markt herauspreisen“, sagte Mahrer und verwies auf eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen und europäischen Wirtschaft aufgrund immer höherer Kosten und Auflagen. „Daher muss es heißen: Zurück an den Start“, forderte Mahrer.

IV-Präsident Georg Knill sprach zuletzt gegenüber der APA „von der nächsten bürokratischen Lawine“, die auf heimische Unternehmen zurolle. Die IV bekräftigte ihre Kritik am Mittwoch.

AK-Appell an Kocher: „Stimmen Sie Kompromiss zu“

Für das Lieferkettengesetz hatten sich am Montag bereits zahlreiche Umweltschutzorganisationen, NGOs und politische Akteure starkgemacht. Auch katholische Bischöfe appellierten für eine Zustimmung. Geht es nach der AK, sei eine „Win-win-Situation für Europa und den Globalen Süden“ mit dem Lieferkettengesetz möglich. Von AK-Oberösterreich-Präsident Andreas Stangl hieß es an Kocher gerichtet: „Stimmen Sie diesem Kompromiss unbedingt zu.“

Freiwillige Verpflichtungen wirkten nicht, verwies Stangl auf eine Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2020. Nur ein Drittel der EU-Unternehmen führe tatsächlich Sorgfaltsprüfungen (Due Diligence) im Hinblick auf Menschenrechte, Umweltschutz und Arbeitsstandards in den Lieferketten durch. Jeden Tag schädigten große Unternehmen das Leben von Menschen und die Umwelt auf der ganzen Welt. Bestehende Gesetze würden Unternehmen nicht zur Rechenschaft ziehen, wenn etwa Unfälle geschehen.

„Erstmals gibt es die Chance, verbindliche Mindeststandards für große Unternehmen in der EU und deren Zulieferbetriebe einzuführen und damit auch den Profit durch Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU zu unterbinden“, so Stangl.

Attac mit heftiger Kritik

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac übte heftige Kritik an der angekündigten Enthaltung Kochers. Der Wirtschaftsminister zeige, „dass ihm die kurzsichtigen Interessen von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer wichtiger sind als Menschenrechte, Klima- und Umweltschutz. Zusätzlich torpediert er in letzter Minute einen von Österreich mitverhandelten Kompromiss zwischen Kommission, Rat und Parlament“, kritisiert Theresa Kofler von Attac Österreich.

Vöslauer-Chef für „klar definiertes Lieferkettengesetz“

Zugleich gibt es auch Firmenvertreter, die sich für ein scharfes Lieferkettengesetz aussprechen. So argumentierte Herbert Schlossnikl, Geschäftsführer von Vöslauer, in einer Stellungnahme für das EU-Lieferkettengesetz: „Wir wissen, dass menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten nicht im Betrieb und beim unmittelbaren Lieferanten enden. Demzufolge begrüßen wir ein ambitioniertes und klar definiertes Lieferkettengesetz. Nur so wird der Fokus auf die gesamte Lieferkette gelenkt, und Verbesserungen für Mensch und Umwelt werden Wirklichkeit.“