Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP)
APA/Tobias Steinmaurer
EU-Lieferkettengesetz

Unmut über geplante Enthaltung Kochers

Nachdem ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher am Mittwochabend bekanntgegeben hat, dass er sich bei der Abstimmung über das geplante EU-Lieferkettengesetz enthalten werde, haben die Reaktionen darauf nicht lange auf sich warten lassen. Unterstützung erhielt Kocher naturgemäß von Industrie- und Unternehmensvertretern. Ablehnung erntete der Minister hingegen vor allem von Arbeitnehmervertretern, NGOs und Umweltschützern. Und auch mit dem Koalitionspartner ist man weiterhin auf keinem grünen Zweig.

Die Arbeiterkammer (AK) sieht mit der Enthaltung Kochers einen möglichen historischen Tag vorüberziehen, sollte es am Freitag auf EU-Ebene nicht zu einer Zustimmung zum Lieferkettengesetz kommen. Der Präsident der AK Oberösterreich, Andreas Stangl, forderte den Minister am Donnerstag auf: „Stimmen Sie diesem Kompromiss unbedingt zu.“

„Erstmals gibt es die Chance, verbindliche Mindeststandards für große Unternehmen in der EU und deren Zulieferbetriebe einzuführen und damit auch den Profit durch Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU zu unterbinden“, so Stangl. Darüber hinaus würde das Gesetz tendenziell die Position der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken, sagte Stangl – mehr dazu in ooe.orf.at.

EU-Lieferkettengesetz: Kocher will sich enthalten

Das am Freitag in Brüssel zur Abstimmung stehende EU-Lieferkettengesetz spaltet weiter die ÖVP-Grünen-Koalition. ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher betrachtet den Kompromissvorschlag als „nicht zustimmungsfähig“. Am Mittwochabend gab Kochers Büro dazu bekannt, dass sich Kocher bei der Abstimmung enthalten werde. Kurz zuvor hatte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) Kocher zur Zustimmung aufgefordert.

Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele vereinbar sind. Für das Gesetz ist eine qualifizierte Mehrheit nötig.

Zadic: „Farbe bekennen“

Auch die Grünen ließen nicht locker mit ihrer Forderung an den großen Koalitionspartner zuzustimmen. Am Mittwoch hatte bereits Justizministerin Alma Zadic Kocher zur Zustimmung des Gesetzes aufgefordert. Kocher solle „endlich Farbe bekennen und sich zu diesem wichtigen europäischen Vorhaben erklären“, so die Ministerin.

Auch für den grünen Nationalratsabgeordneten Michel Reimon sei Kochers Kurs nicht nachvollziehbar. Kocher vertrete die Position der „großen Wirtschaftskonzerne“. Er würde sich erwarten, dass er mehr „auf der Seite der mittleren Unternehmen“ stehe, sagte Reimon gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal.

Druck von Grüner Wirtschaft

Am Donnerstag meldete sich dazu auch die Chefin der Grünen Wirtschaft, Sabine Jungwirth, zu Wort: Durch das Lieferkettengesetz würden „Zehntausende EPU und KMU in Österreich, die jetzt schon sozial und ökologisch nachhaltig wirtschaften, profitieren.“

Auch die SPÖ forderte Kocher am Donnerstag per Aussendung zur Zustimmung des Gesetzes auf. Er fordere ein „klares österreichisches Bekenntnis …, diesem Gesetz zuzustimmen“, sagte Europasprecher Jörg Leichtfried.

Für die FPÖ geht die Enthaltung hingegen nicht weit genug. Obwohl das EU-Lieferkettengesetz zu einem „klaren Wettbewerbsnachteil für europäische Unternehmen“ führe, „drückt sich die ÖVP einmal mehr davor, klar Farbe zu bekennen“, sagte Europasprecherin Petra Steger.

Kocher: „Europas Position nicht schwächen“

Arbeitgeberorganisationen wie Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung waren hingegen naturgemäß kritisch, sie warnen vor einer Überregulierung und unterstützen die Enthaltung Kochers. Der erzielte Kompromiss sei für die meisten heimischen Unternehmen nicht umsetzbar, sagte Kocher auch gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal.

Zudem wirke er sich stark negativ für Unternehmen sowohl in der EU als auch in den Ländern des Globalen Südens aus. Im Ergebnis würden viele Pflichten und Haftungsrisiken auf kleine und mittlere Unternehmen überwälzt, sagte Kocher. „Die österreichische Wirtschaft besteht zu 99,6 Prozent aus KMU.

Es besteht die Gefahr, dass kleine und mittlere Unternehmen weltweit aus internationalen Lieferketten gedrängt werden. Wir dürfen Europas Position in der Weltwirtschaft nicht schwächen“, so Kocher. „Daher werde ich auf europäischer Ebene für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch eintreten, um Verbesserungen im Kompromisstext zu erzielen.

Global 2000: „Desaströs“

Global 2000 „erinnerte“ den Minister jedoch daran, „wie desaströs eine Enthaltung zum fertigen Kompromisstext wäre“. Außerdem würden die liberale deutsche Regierungspartei FDP und einzelne Wirtschaftsverbände Unwahrheiten über das Lieferkettengesetz verbreiten, so die Umwelt-NGO.

Aufgrund der Haltung der FDP enthält sich Deutschland bei der Abstimmung, auch wenn das die größeren Regierungsparteien SPD und Grüne nicht gutheißen. Durch Deutschlands Enthaltung werden ähnliche Pläne auch in anderen EU-Ländern gewälzt, und eben auch Österreich gab nach der deutschen Entscheidung seine Enthaltung bekannt. Kocher begründe seine Enthaltung aber eben genau „mit diesen falschen Behauptungen“, so Global 2000.

Greenpeace: „Gegen Umweltschutz, Menschenrechte“

Auch Greenpeace Österreich äußerte sich kritisch über die angekündigte Enthaltung Kochers. „Wenn sich Kocher bei der EU-Abstimmung enthält, stellt er sich gegen Umweltschutz, Menschenrechte, die Interessen vieler Unternehmen und verhindert faire Wettbewerbsregeln für alle“.

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac übte ebenfalls heftige Kritik. Der Wirtschaftsminister zeige, „dass ihm die kurzsichtigen Interessen von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer wichtiger sind als Menschenrechte, Klima- und Umweltschutz“, so Attac Österreich.

Der Umweltschutzorganisation WWF zufolge sehe das geplante Gesetz vor allem einen risikobasierten Ansatz vor – also nur dort, wo Schäden am wahrscheinlichsten seien, müssten Maßnahmen ergriffen werden. Für Unternehmer sehe man weitaus weniger Probleme.

Auch Kirchenvertreter kritisch

Auch Vertreter der römisch-katholischen Kirche äußerten sich kritisch zur Enthaltung Kochers. Die Bischöfe Werner Freistetter und Stephan Turnovszky appellierten daher an die österreichische Politik, für das EU-Lieferkettengesetz zu stimmen – mehr dazu in religion.orf.at.

Und auch die katholische Hilfsorganisation Jugend Eine Welt äußerte ihren Unmut an den Plänen des Wirtschaftsministers. Kochers Vorgehen sei „beschämend“, sagte Geschäftsführer Reinhard Heiserer am Donnerstag in einer Aussendung – mehr dazu in religion.orf.at.

Mahrer: „Fast paneuropäische Ablehnung“

Vehement gegen eine Umsetzung des Lieferkettengesetzes stellte sich hingegen auch der Präsident der WKO und des ÖVP-Wirtschaftsbundes, Harald Mahrer. Unter den Wirtschaftsverbänden gebe es eine „fast paneuropäische Ablehnung“. Man bekenne sich zwar zu „mehr Nachhaltigkeit und der Einhaltung sozialer Standards“.

Gleichzeitig verwies Mahrer aber auch auf eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen und europäischen Wirtschaft aufgrund immer höherer Kosten und Auflagen. „Daher muss es heißen: Zurück an den Start“, forderte Mahrer. Der Handelsverband bezeichnete den final verhandelten Text als „Papiertiger, der mittelständische Unternehmen massiv belastet“.