ein Junge bei der Arbeit in einer Baumwollfabrik in Hyderabad, in Indien.
Reuters/Krishnendu Halder
Votum vertagt

Keine Entscheidung zu EU-Lieferkettengesetz

Die EU-Staaten haben sich am Freitag nicht auf das EU-Lieferkettengesetz einigen können und die zugehörige Abstimmung vertagt. Das teilte ein Sprecher der belgischen Ratspräsidentschaft mit. Unter anderem Österreich und Deutschland hatten im Vorfeld erklärt, sich enthalten zu wollen, was einer Blockade gleichkam. Wie aus EU-Kreisen zu hören war, wurde die für Freitag geplante Abstimmung auf den 14. Februar verschoben.

Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele vereinbar sind. Für das Gesetz ist eine qualifizierte Mehrheit nötig.

Die Unternehmen müssen die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards auch bei ihren Partnerunternehmen in der Wertschöpfungskette überwachen. Dazu zählen Lieferanten, Vertriebspartner, Transportunternehmen, Lagerdienstleister, aber auch die Abfallwirtschaft. Bei Verstößen drohen Unternehmen Strafen in Höhe von bis zu fünf Prozent ihres weltweiten Umsatzes. Angewendet werden sollen die Vorgaben auf EU-Firmen mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Konzernumsatz von über 150 Millionen Euro. In Risikosektoren – also der Textilbranche, Agrarwirtschaft und Lebensmittelindustrie – sollen auch Betriebe ab 250 Beschäftigten einbezogen werden.

Qualifizierte Mehrheit nötig

Damit der Text verabschiedet werden kann, ist eine qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsstaaten bzw. 15 von 27 oder Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung abbilden) im Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten nötig.

Wie es nun weitergeht und was sich bis zum nächsten Termin am 14. Februar tun könnte, damit Staaten wie Österreich doch noch zustimmen, war zunächst nicht klar. Der zuständige ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher, der wie Deutschland eine Enthaltung angekündigt hatte, will jedenfalls weiterverhandeln: „Wir haben weitere Verhandlungen gefordert und begrüßen die nunmehrige Rückkehr an den Verhandlungstisch.“

In Österreich setzte die ÖVP die Enthaltung gegen ihren kleinen Koalitionspartner Grüne durch, nachdem die Enthaltung Deutschlands bekanntgeworden war. Laut einem namentlich nicht genannten EU-Diplomaten könnte die Enthaltung Deutschlands neben Österreich noch weitere Staaten zur erneuten Bewertung bewogen haben.

WIFO-Experte mit möglichem Kompromiss

Der WIFO-Experte Klaus Friesenbichler sieht im Ö1-Interview ein Versicherungs- oder Zertifizierungssystem als möglichen Kompromiss, um in einem EU-Lieferkettengesetz sowohl Wirtschaftsinteressen als auch Menschen- und Umweltrechte zu berücksichtigen. Die größte Schwachstelle des abgelehnten Gesetzes sei, dass die einzelnen Lieferbeziehungen – er schätzt diese auf insgesamt 900 Millionen bei rund 30 Millionen Unternehmen – überprüft werden müssten. Das sei für die Firmen ein zu großes Haftungsrisiko und die Kontrolle für die EU selbst nur schwer administrierbar.

Friesenbichler plädiert daher dafür für ein Ländersystem. In Ländern mit einem guten Rechtssystem könnten Auditoren – etwa in Kooperation mit NGOs – Firmen zertifizieren, wenn ihre „Praktiken in einem Drittland sauber sind“.

Feichtner (ORF) zum neuen Lieferkettengesetz

Der ORF-Korrespondent Benedict Feichtner spricht über die EU-Abstimmung über das neue Lieferkettengesetz.

Kocher verweist auf KMUs

Wirtschaftsminister Kocher hatte am Vorabend bekanntgegeben, dass er sich bei der Abstimmung über das geplante EU-Lieferkettengesetz enthalten werde. Unterstützung erhielt Kocher von Industrie- und Unternehmensvertretern. Ablehnung erntete der Minister hingegen vor allem von Arbeitnehmervertretern, NGOs und Umweltschützern. Die Koalition war und ist uneins. Der grüne Koalitionspartner sprach sich für die Zustimmung zum Gesetz aus, ebenso die SPÖ, die sich von der Verschiebung der Abstimmung enttäuscht zeigte. Die FPÖ forderte ein Nein. NEOS will ein Gesetz „ohne Bürokratieketten“.

Im Ergebnis würden viele Pflichten und Haftungsrisiken auf kleine und mittlere Unternehmen übergewälzt werden, so Kocher. Und Kocher meinte am Freitag, in der Welthandelsorganisation (WTO) könnte das Gesetz als protektionistische Maßnahme gewertet werden.

Global 2000: „Desaströs“

Global 2000 „erinnerte“ den Minister jedoch im Vorfeld daran, „wie desaströs eine Enthaltung zum fertigen Kompromisstext wäre“. Außerdem würden die liberale deutsche Regierungspartei FDP und einzelne Wirtschaftsverbände Unwahrheiten über das Lieferkettengesetz verbreiten, so die Umwelt-NGO. Der Rückzieher der FDP – nachdem sich Rat, Kommission und Parlament bereits geeinigt hatten – war entscheidend für das Scheitern des Gesetzes im Rat.

Pikant dabei: In Deutschland gilt bereits seit Anfang 2023 ein Lieferkettengesetz, das noch von der Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verabschiedet worden war. Es verpflichtet Unternehmen, auf die Einhaltung internationaler Standards zu Menschenrechten und Umwelt entlang der eigenen Lieferkette zu achten. Von einer einheitlichen EU-Regelung könnten daher zahlreiche Unternehmen in der EU profitieren.

Verbrenner-Aus schuf „Präzedenzfall“

Die Blockade eines EU-Gesetzes nach Einigung von EU-Rat und Europaparlament wie nun durch Deutschland ist höchst unüblich. Die FDP hatte das bereits Ende März letzten Jahres beim EU-Gesetz für das Aus von Verbrennermotoren getan, um eine Ausnahmeregelung für synthetische Kraftstoffe zu erwirken. Sophie Pornschlegel, Expertin des Brüsseler Thinktanks European Policy Centre (EPC), sprach damals gegenüber ORF.at von einem „gefährlichen Präzedenzfall“ und „reiner Machtpolitik“ Berlins.