Katalin Novak während einer Pressekonferenz
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Pädophilie-Affäre

Ungarns Präsidentin fällt in Ungnade

Ungarns Staatspräsidentin Katalin Novak steht unter Druck: Weil sie einen Mann begnadigt hat, der wegen Beihilfe zu Pädophilie rechtskräftig verurteilt wurde, gibt es nun selbst von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban Kritik, wenn auch leise. Schon seit Tagen wird der Rücktritt der ehemaligen FIDESZ-Ministerin von der Opposition gefordert. Am Freitag gab es erneut eine Demo.

Grund ist die Begnadigung eines als Mittäter in einem Strafverfahren wegen Kindesmissbrauchs verurteilten Mannes. Dieser soll laut Urteil als damaliger Vizedirektor eines Kinderheimes jahrelang die pädophilen Straftaten seines Chefs gedeckt haben. Dabei geht es um Dutzende Fälle von Missbrauch und sexueller Nötigung. Er soll auch Kinder zu Falschaussagen genötigt haben, schrieben Medien.

Rund 1.000 Menschen protestierten am Freitag zunächst vor dem Innenministerium in Budapest. Der Demozug sollte dann zum Sitz der Staatspräsidentin auf dem Budaer Burgberg führen. Aufgerufen hatten dazu die Oppositionspartei Momentum sowie Studentenverbände und andere Vereine. Bereits am Sonntag bildeten Aktivisten und Aktivistinnen vor dem Präsidentensitz eine Menschenkette und enthüllten ein Transparent mit der Aufschrift „Pädophilenschützerin“.

Viktor Orban und Katalin Novak bei eine öffentlichen Veranstaltung
Reuters/Remo Casilli
Novak gilt eigentlich als Getreue von Orban und wurde von ihm selbst für die Präsidentschaftskandidatur vorgeschlagen

Die Begnadigung erfolgte bereits Ende April 2023, wurde aber erst vor Kurzem einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Ein „aufmerksamer Bürger“ habe das Nachrichtenportal 444.hu informiert. Oppositionsmedien vermuteten gute Beziehungen des Begnadigten zur katholischen Kirche und zur Familie Orbans. Im April 2023 war Papst Franziskus zu Besuch in Ungarn, die Begnadigung, zusammen mit rund zwei Dutzenden weiteren, soll anlässlich seines Besuchs erfolgt sein.

Orban will Amnestieverbot in Verfassung

Zunächst rückten regierungstreue Medien noch zur Verteidigung Novaks aus. Doch nach Tagen der Aufregung reagierte Orban am Donnerstag und erklärte per Facebook-Video, die ungarische Verfassung ändern zu wollen. Die Begnadigung pädophiler Straftäter solle unmöglich werden. Es dürfe keine „Juristerei betrieben“, sondern mittels einer „verständlichen, eindeutigen Entscheidung“ eine klare Lage geschaffen werden, sagte er, ohne Novaks Namen zu nennen.

Gelegs (ORF) zur Affäre Novak

Was steckt hinter den Vorwürfen gegen die ungarische Staatspräsidentin Katalin Novak? ZIB-Korrespondent Ernst Gelegs berichtet aus Budapest.

Vor allem die Opposition hatte Novak zunächst stark kritisiert, mittlerweile ist die Kritik aber breiter gestreut. Novaks politische Karriere sei „zu Ende“, zitierte das Onlineportal Telex.hu etwa den Politologen Gabor Török am Freitag. Ein ganzes Land sei empört, so Török. Inzwischen traten auch Mitglieder des Beratergremiums der Staatspräsidentin zurück.

Umfrage soll Rücktrittsfrage klären

Für Aufregung sorgte zudem, dass Novak „inmitten des Skandals“ nach Katar reiste, um sich im Rahmen der Wasserball-WM in Doha das Spiel der ungarischen Auswahl gegen Kasachstan anzusehen. Die öffentliche Empörung sei verständlich, zitierte das Onlineportal Propeller.hu den Schriftsteller Janos Lackfi.

Judit Varga während einer Pressekonferenz
APA/AFP/Attila Kisbenedek
Judith Varga war zum Zeitpunkt der Amnestie amtierende Justizministerin

Ungarischen Medienberichten zufolge läuft mittlerweile eine telefonische Umfrage, die ermitteln soll, ob die Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen Ungarns einen Rücktritt Novaks befürwortet. Die betreffende Firma habe in der Vergangenheit bereits mehrere Umfragen im Auftrag von Orbans Partei FIDESZ durchgeführt.

Novak verärgerte mit Veto für „Schlossgesetz“

Mitte Jänner überraschte und verärgerte Novak mit einer anderen Entscheidung: Sie legte beim Verfassungsgericht ihr Veto gegen ein neues Gesetz ein, das Ende Dezember mit der Zweidrittelmehrheit der FIDESZ verabschiedet worden war. Das als „Schlossgesetz“ bekannte Vorhaben sollte die kostenlose Übertragung des Eigentums und der Verwaltung etwa von staatlichen Schlössern und Burgen samt Mobiliar an juristische und damit auch Privatpersonen ermöglichen.

Novak gab als Grund an, dass das Gesetz eine Übertragung in Privateigentum ermögliche, ohne Garantieregelungen für den Schutz des nationalen Vermögens umfassend festgelegt zu haben. Das Parlament muss das Gesetz erneut verhandeln. Novak wurde unter anderen vom zuständigen Minister für Bauwesen, Janos Lazar, scharf attackiert. Die Opposition hatte der Regierung vorgeworfen, sie wolle mit dem neuen Gesetz die bereits mit Steuergeldern restaurierten Schlösser an ihre „Kumpel“ verschachern.

Angriff oder Verteidigung durch Orban?

Novak war bis zu ihrem Amtsantritt 2022 führende Politikerin der rechtsnationalen Regierungspartei FIDESZ. Als Familienministerin propagierte sie ein traditionelles Familien- und Frauenbild. Orban selbst schlug sie als Präsidentschaftskandidatin vor. Wie auch andere FIDESZ-Mitglieder galt sie eigentlich als treue Mitstreiterin Orbans.

Proteste vor dem Präsidentschaftspalast in Budapest
APA/AFP/Ferenc Isza
Am Freitag demonstrierten zahlreiche Menschen gegen die Begnadigung durch Novak

Offen ist derzeit, ob Orbans Verfassungsvorstoß als Ablenkung bzw. Schild für oder Angriff gegen sie zu werten ist. Novak kündigte jedenfalls an, den Zusatz zu unterzeichnen. Sie selbst verteidigte die Begnadigung damit, dass sie ja keinen Pädophilen begnadigt habe.

Kritik auch von FIDESZ-Fraktionschef

Orbans Regierung will als Beschützerin von Kindern vor sexualisierter Gewalt gelten. 2021 setzte sie ein umstrittenes „Kinderschutzgesetz“ durch, das eine Aufklärung von Kindern in Schulen über Homosexualität verbietet. Entsprechende Publikationen sollen für Minderjährige unzugänglich gemacht werden. Kritiker bemängeln, dass der Geist dieses Gesetzes Homosexualität mit Pädophilie gleichsetzt.

Unterdessen fand auch der FIDESZ-Fraktionschef Mate Kocsis kritische Worte. Die Begnadigung hätte nie erfolgen dürfen, sagte er im ungarischen Fernsehen am Freitag. Es wäre gut zu wissen, was der Hintergrund der Entscheidung war. Die Verantwortung trage Ex-Justizministerin Judit Varga, die damals noch im Amt gewesen sei, so Verfassungsrechtler Peter Hack laut dem Onlineportal Propeller.hu. Ohne die ministerielle Gegenzeichnung sei die Entscheidung nicht gültig. Varga ist mittlerweile FIDESZ-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl.