Die Ungarische Präsidentin Katalin Novak
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„Habe Fehler gemacht“

Ungarns Präsidentin Novak tritt zurück

Ungarns Staatspräsidentin Katalin Novak hat auf Druck von Opposition und Regierung ihren Rücktritt erklärt. Das ungarische Fernsehen zeigte am Samstag ein Video mit ihrer Rücktrittserklärung. Sie hatte einen Mann begnadigt, der wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch von Minderjährigen verurteilt worden war. Das löste in Ungarn breite Empörung aus – und auch die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban rückte von Novak ab.

Nur wenige Stunden vor ihrem Rücktritt war Novak vorzeitig von einem offiziellen Besuch aus dem Golfemirat Katar nach Budapest zurückgekehrt. Sie amtierte seit Mai 2022 als Staatsoberhaupt.

„Ich habe einen Fehler gemacht. Die Amnestieentscheidung und der Mangel einer Begründung waren dazu geeignet, Zweifel hervorzurufen“, erklärte Novak. Als ungarische Bürgerin erwarte sie von einem Staatsoberhaupt, dass dieses keine Fehler begeht. Und wenn das doch geschehe, dann müsse es die Verantwortung übernehmen, selbst mit der Entscheidung des Rücktritts. „Ich bitte jene um Verzeihung, die ich gekränkt habe, und ebenso die Opfer, die so empfunden haben könnten, dass ich nicht an ihrer Seite stehe“, sagte sie.

Ungarns Präsidentin tritt zurück

Ungarns Staatspräsidentin Katalin Novak hat auf Druck von Opposition und Regierung ihren Rücktritt erklärt.

Ex-Justizministerin verzichtet auf EU-Kandidatur

Gleichzeitig mit ihr kündigte auch die Ex-Justizministerin Judit Varga an, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen. Varga hatte die umstrittene Amnestieentscheidung als Ministerin gegengezeichnet. Mit ihrem Rückzug braucht Orbans rechtskonservative FIDESZ eine neue Spitzenkandidatin für die Europawahl im Juni.

Judit Varga während einer Pressekonferenz
APA/AFP/Attila Kisbenedek
Judith Varga war zum Zeitpunkt der Amnestie amtierende Justizministerin

Die umstrittene Begnadigung erfolgte bereits Ende April 2023, es handelt sich um einen Mittäter eines in einem Strafverfahren wegen Kindesmissbrauchs verurteilten Mannes. Laut Urteil hatte der damalige Vizedirektor eines Kinderheims jahrelang die pädophilen Straftaten seines Chefs gedeckt. Dabei geht es um Dutzende Fälle von Missbrauch und sexueller Nötigung. Er soll auch Kinder zu Falschaussagen genötigt haben, schrieben Medien.

Kritik zunächst nur von Opposition

Bekannt wurde die Begnadigung erst vor Kurzem: Ein „aufmerksamer Bürger“ habe das Nachrichtenportal 444.hu informiert. Oppositionsmedien vermuteten gute Beziehungen des Begnadigten zur katholischen Kirche und zur Familie Orbans. Im April 2023 war Papst Franziskus zu Besuch in Ungarn, die Begnadigung, zusammen mit rund zwei Dutzenden weiteren, soll anlässlich seines Besuchs erfolgt sein.

Gelegs (ORF) zum Rücktritt in Ungarn

Ungarns Staatspräsidentin Katalin Novak ist nun zurückgetreten – wird der Missbrauchsskandal noch mehr FIDESZ-Politiker treffen? ZIB-Korrespondent Ernst Gelegs berichtet.

Vor allem die Opposition hatte Novak zunächst stark kritisiert, später war die Kritik aber breiter gestreut. Novaks politische Karriere sei „zu Ende“, zitierte das Onlineportal Telex.hu etwa den Politologen Gabor Török am Freitag. Ein ganzes Land sei empört, so Török. Zunächst traten auch Mitglieder des Beratergremiums der Staatspräsidentin zurück. Am Freitag demonstrierten rund 1.000 Menschen vor dem Sitz der Staatspräsidentin auf dem Budaer Burgberg.

Orban rückte von Novak ab

Zunächst rückten regierungstreue Medien noch zur Verteidigung Novaks aus. Doch nach Tagen der Aufregung reagierte Orban am Donnerstag und erklärte per Facebook-Video, die ungarische Verfassung ändern zu wollen. Die Begnadigung pädophiler Straftäter solle unmöglich werden. Es dürfe keine „Juristerei betrieben“, sondern mittels einer „verständlichen, eindeutigen Entscheidung“ eine klare Lage geschaffen werden, sagte er, ohne Novaks Namen zu nennen.

Viktor Orban und Katalin Novak bei eine öffentlichen Veranstaltung
Reuters/Remo Casilli
Novak galt eigentlich als Getreue von Orban und wurde von ihm selbst für die Präsidentschaftskandidatur vorgeschlagen

Orbans Regierung will als Beschützerin von Kindern vor sexualisierter Gewalt gelten. 2021 setzte sie ein umstrittenes „Kinderschutzgesetz“ durch, das eine Aufklärung von Kindern in Schulen über Homosexualität verbietet. Entsprechende Publikationen sollen für Minderjährige unzugänglich gemacht werden. Kritiker bemängeln, dass der Geist dieses Gesetzes Homosexualität mit Pädophilie gleichsetzt.

Novak verärgerte mit Veto für „Schlossgesetz“

Novak war bis zu ihrem Amtsantritt 2022 führende Politikerin der rechtsnationalen Regierungspartei FIDESZ. Als Familienministerin propagierte sie ein traditionelles Familien- und Frauenbild. Orban selbst schlug sie als Präsidentschaftskandidatin vor. Wie auch andere FIDESZ-Mitglieder galt sie eigentlich als treue Mitstreiterin Orbans. Das änderte sich zuletzt.

Mitte Jänner überraschte und verärgerte Novak mit einem Veto beim Verfassungsgericht gegen ein neues Gesetz, das Ende Dezember mit der Zweidrittelmehrheit der FIDESZ verabschiedet worden war. Das als „Schlossgesetz“ bekannte Vorhaben sollte die kostenlose Übertragung des Eigentums und der Verwaltung etwa von staatlichen Schlössern und Burgen samt Mobiliar an juristische und damit auch Privatpersonen ermöglichen. Novak wurde unter anderen vom zuständigen Minister für Bauwesen, Janos Lazar, scharf attackiert.

Bei mehreren Gelegenheiten äußerte sie sich zudem deutlich kritisch zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, während Orban gute Beziehungen zu Kreml-Chef Wladimir Putin pflegt. Novak sprach sich auch für eine zügige Ratifizierung von Schwedens NATO-Beitritt durch Ungarns Parlament aus, den Orban hinauszögert.

Opposition mit Kritik an Orban

Die Opposition gab sich mit dem Rücktritt Novaks nicht zufrieden und zeigte in Richtung von Regierungschef Orban. Niemand glaube ernsthaft, dass Orban nicht von der Angelegenheit gewusst habe, erklärte die Partei Momentum. Er sei der Premier, im Namen seiner Regierung habe die damalige Justizministerin Varga die Begnadigung unterzeichnet, erinnerte Momentum-Chefin Anna Donath. Sie forderte Orban auf, sich der Öffentlichkeit zu stellen und sich zu erklären.

Die Demokratische Koalition (DK) kündigte an, im Parlament eine Direktwahl des Staatspräsidenten durch das Volk zu beantragen. Novak sei schon das zweite Staatsoberhaupt, das Orban zum Rücktritt gezwungen habe, erinnerte DK-Europaabgeordnete Klara Dobrev an den im Jahr 2012 über eine Plagiatsaffäre gestolperten Präsidenten Pal Schmitt.

Die Grün-Partei LMP äußerte sich ebenfalls kritisch. Novak habe zwar eine richtige Entscheidung getroffen, doch könne diese den entstandenen Schaden nicht kompensieren, sagte LMP-Vizechef Peter Ungar dem Portal 24.hu.