Günter Brus steht vor seinen Gemälden, 2008
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1938–2024

Aktionist Günter Brus ist tot

Der Mitbegründer des Wiener Aktionismus, Maler, Zeichner und Autor Günter Brus ist am Samstag im Alter von 85 Jahren gestorben. Bekannt wurde Brus in den 1960er Jahren durch seine radikale Körperkunst und seine Aktionen – eine brachte ihm sogar eine Verurteilung zu einer Haftstrafe ein. Der Aktionist zählte mit seinem umfangreichen und vielschichtigen Werk zu den bedeutendsten österreichischen Künstlern der Gegenwart.

Meldungen über den Tod des Künstlers bestätigte der Galerist Philipp Konzett, Mitinitiator und Geschäftsführer des im März öffnenden Wiener Aktionismus Museum, Sonntagfrüh gegenüber der APA. Brus, am 27. September 1938 in der Steiermark geboren, schockte in den 1960er Jahren gemeinsam mit Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler die Öffentlichkeit mit Körperkunst, die als Wiener Aktionismus weltbekannt wurde.

„Günter Brus war jener der vier Aktionisten, der als einziger seine Aktionen an sich selbst durchgeführt hat. Dabei ist er bis an seine persönlichen Grenzen gegangen, um psychopathologische Dimensionen aufzuzeigen“, so Konzett, der sich vom Tod des Künstlers tief betroffen zeigte.

Aktionist Günter Brus ist tot

Der Maler, Mitbegründer des Wiener Aktionismus, Autor und Zeichner Günter Brus ist gestern im Alter von 85 Jahren gestorben. Brus, am 27. September 1938 in Ardning in der Obersteiermark geboren, schockte in den 1960er Jahren gemeinsam mit Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler die Öffentlichkeit mit Körperkunst, die als Wiener Aktionismus weltbekannt wurde.

Radikaler Aktionist und Körperkünstler

Nachdem Brus wegen einer Kunstaktion an der Wiener Universität zu einer monatelangen Haftstrafe verurteilt worden war, flüchtete er 1969 mit seiner Ehefrau und seiner Tochter nach Berlin, von wo er erst 1979 zurückkam. Seit Herbst 2011 ist ihm in Graz mit dem Bruseum ein eigenes Museum gewidmet. Für sein künstlerisches Werk erhielt Brus unter anderem den Großen Österreichischen Staatspreis für Bildende Kunst (1996) und den Oskar-Kokoschka-Preis (2003). Zuletzt lebte er mit seiner Tochter Diana und seiner Ehefrau Anna am nördlichen Stadtrand von Graz.

Günter Brus bei Aktion „Direct Art Festival“, 1967
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Günter Brus bei einer Aktion mit Otto Muehl 1967

In seinen Aktionen in den 1960er Jahren in Wien setzte Brus seinen eigenen Körper und seine Körperflüssigkeiten als Material für seine Kunst ein und ging dabei an die Grenzen des körperlich und psychisch Erträglichen – sowohl für sich selbst als auch für die Zuschauer. Die ritzende Rasierklinge diente am eigenen Körper als Ersatz für den Zeichenstift, auch Exkremente wurden bei den Aktionen eingesetzt. Brus ging von Aktion zu Aktion immer einen Schritt weiter.

Kritik an gesellschaftlichen Regeln

Brus thematisierte in den Aktionen das Leid durch gesellschaftliche Regeln und Zwänge der späten 1960er Jahre, aber auch durch physische Verletzlichkeit und Ausgesetztheit. Zugleich stellte er die geltenden künstlerischen Konventionen auf den Kopf, indem er seinen Körper zum Medium der Kunst erklärte. Als legendär gilt auch sein „Wiener Spaziergang“, in dem er sozusagen als lebendiges Gemälde durch die Wiener Innenstadt ging.

Ausstellung von Günter Brus im MAK 2008
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Ausstellung späterer Werke von Brus im Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien 2008

Brus‘ Name ist untrennbar mit dem Wiener Aktionismus verbunden. Er wollte sich allerdings in keine kunsthistorische Schublade stecken lassen, sein Werk geht weit darüber hinaus. Zuletzt umfasste sein ausuferndes Oeuvre – beginnend bei den frühen informellen Bildern, der Körperkunst der 1960er Jahre – Zigtausende an der Grenze von Literatur und Bildender Kunst angesiedelte „Bilddichtungen“ sowie Arbeiten für die Bühne.

Dazu kommt das umfangreiche literarische Werk des fantasievollen Sprachkünstlers. Brus wurde 1938 in Ardning in der Obersteiermark geboren. Zwischen 1953 und 1958 besuchte er die Kunstgewerbeschule in Graz und die Hochschule für angewandte Kunst in Wien, wobei er Letztere vorzeitig abbrach.

Eine Aktion mit Folgen

Die Beteiligung an der Aktion „Kunst und Revolution“ an der Universität Wien (1968), bei der sich Brus ritzte, seinen Harn trank und sich mit seinem Kot beschmierte, während er die Bundeshymne sang, ging schlecht für den Künstler aus: Er wurde wegen „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Brus entging der Haft durch seine Flucht nach Berlin.

Günter Brus vor einem seiner Bilder, 2016
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Brus in der Ausstellung „Störungszonen“ in Berlin 2016

Dort gründete er mit Oswald Wiener und Gerhard Rühm die „Österreichische Exilregierung“ und deren „Regierungszeitschrift“ namens „Die Schastrommel“. Seinen Aktionismus beendete er im Jahr 1970 mit der „Zerreißprobe“ in München. Erst 1976 konnte seine Frau beim Bundespräsidenten bewirken, dass seine Haftstrafe in eine Geldstrafe umgewandelt wurde. 1979 kehrte der Künstler mit seiner Familie nach Österreich zurück und ließ sich in Graz nieder.

Abwendung vom Aktionismus und vielseitiges Schaffen

Nach der Abwendung vom Aktionismus 1979 verlegte Brus seine Botschaften auf Papier. Es begann mit der Mappe „Irrwisch“ (1970–1972), und von da an stand die Zeichnung – und vor allem seine „Bilddichtung“-Zyklen – im Mittelpunkt seines Schaffens. Brus war auf den wichtigsten internationalen Kunstausstellungen wie der Documenta (1982 und 1992) oder der Biennale Venedig (1980) vertreten.

Als Bühnenbildner stattete er unter anderem die Gerhard-Roth-Uraufführung „Erinnerungen an die Menschheit“ beim steirischen herbst 1985 aus, aber auch Arnold Schönbergs „Erwartung“ und Leos Janaceks „Das schlaue Füchslein“. Seine Werkliste als Autor umfasst etwa den Roman „Die Geheimnisträger“ (1982), die Kurzprosasammlung „Amor und Amok“ (1987) sowie seine „Schmähmoiren“, „Die gute alte Zeit“ (2002) und „Das gute alte Wien“ (2007), einen fantastisch-alptraumhaften Rückblick auf seine Wiener Jahre.

Zahlreiche Würdigungen

„Auf seiner langen, tiefgehenden Suche hat Günter Brus die Weltkunst mitgeprägt und unser Land zu einer Zeit mitverändert, als Veränderung dringend notwendig war“, schrieb Vizekanzler und Kunstminister Werner Kogler (Grüne) auf X (Twitter). „Ein großer Geist und Mensch – er wird fehlen. Meine Anteilnahme gilt seiner Familie.“

„Den eigenen Körper zur Leinwand gemacht“

Peter Schneeberger, Leiter der ORF-Kulturredaktion, erläutert die Bedeutung von Günter Brus für die Kunstgeschichte.

„Günter Brus war weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt und bedeutend. Mit seiner Kunst hat er nicht nur bleibende Spuren hinterlassen, er hat auch wichtige Anstöße für gesellschaftliche Veränderungen gegeben“, so die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ). Brus sei „eine der herausragenden Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts“ gewesen, die „an die Grenzen gegangen“ sei. „Er hat bedingungslos für die Kunst gelebt und nie vor den Konsequenzen seiner Radikalität zurückgeschreckt“, sagte Roman Grabner, Leiter des Bruseum in Graz.

„Mit großer Trauer haben wir die Nachricht über das Ableben von Günter Brus empfangen. Einer der größten steirischen Künstler prägte durch seine Aktionen und sein zeichnerisches Schaffen eine Ära der österreichischen und internationalen Kunst“, so Marko Mele und Josef Schrammel, Geschäftsführer des Universalmuseums Joanneum.