NATO-Flaggen vor dem NATO Hauptquartier
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Nach Trumps Drohung

NATO zwischen Aufschrei und Weckruf

Die jüngste Drohung von Ex-US-Präsident Donald Trump, finanziell säumige NATO-Partner gegen Russland im Stich zu lassen, zieht weiter Kreise. Während die Verbündeten um Beruhigung bemüht sind, sehen Fachleute nun ein Zeitfenster für Europa, um sich zu wappnen.

Trump hatte am Samstag bei einer Wahlveranstaltung in South Carolina gesagt, er wolle im Fall seiner Wiederwahl zahlungssäumige NATO-Mitglieder nicht vor einem russischen Angriff schützen. „Nein, ich werde Sie nicht beschützen“, er werde Russland sogar ermutigen zu tun, „was immer sie wollen“. Er bezog sich dabei auf Artikel 5 des NATO-Vertrages, die Beistandsklausel: Wird ein Mitglied angegriffen, sollen die Bündnispartner Hilfe leisten.

Die Reaktionen waren, wie sie sich Trump wohl erhofft hatte: Jubel unter seinen Anhängerinnen und Anhängern, Empörung in der NATO und der EU. Jede Andeutung, dass die Staaten der Allianz sich nicht gegenseitig verteidigen würden, untergrabe die Sicherheit aller Mitglieder, sagte etwa NATO-Chef Jens Stoltenberg. Trumps Eingeständnis, dass er beabsichtige, dem russischen Machthaber Wladimir Putin grünes Licht für mehr Krieg und Gewalt zu geben und seinen brutalen Angriff auf eine freie Ukraine fortzusetzen, sei „entsetzlich und gefährlich“, so das Weiße Haus.

Dem Kreml spielen Trumps Aussagen in die Hände. Vor allem in Osteuropa sorgte die Drohung für Aufregung. Doch kommentieren will Russland den Wirbel um Trump nicht, wie der Sprecher von Präsident Wladimir Putin am Montag sagte: „Ich bin immer noch Putins Pressesekretär, nicht Trumps“, so Dimitri Peskow.

NATO-Appelle zu Ankurbelung der Produktion

Tatsächlich ist Trumps Haltung zu den NATO-Verbündeten nicht neu. Schon in seiner Amtszeit im Weißen Haus sorgten die nicht eingezahlten Mittel ins NATO-Budget für Streit. Wiederholt forderte er die Mitglieder auf, das Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren, zu erfüllen. Vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine zahlte jedoch die Mehrheit der Verbündeten weniger ins NATO-Budget ein als vorgesehen.

Schaidreiter über Trumps Drohung

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet live aus Brüssel und spricht über die Sorge in den NATO-Ländern in Hinblick auf Donald Trump und sie erläutert, worum es sich bei den ausständigen Mitgliedsbeiträgen handelt, über die Trump spricht.

Inzwischen aber wurden die Anstrengungen deutlich erhöht. Deutschland etwa soll das Zweiprozentziel heuer erfüllen, auch dank eines 100-Milliarden-Euro-Sonderkredits für die deutsche Bundeswehr. Und auch ungeachtet Trumps forcieren NATO und europäische Länder ihre Aufrüstung. Stoltenberg rief erst vor wenigen Tagen die europäischen NATO-Mitglieder zu einer erhöhten Produktion von Waffen und Munition auf.

„Wir müssen unsere industrielle Basis schneller wiederherstellen und ausbauen, damit wir die Lieferungen an die Ukraine erhöhen und unsere eigenen Bestände wiederauffüllen können“, sagte er. Die NATO suche keinen Krieg mit Russland, doch die Allianz müsse sich für eine womöglich jahrzehntelange Konfrontation wappnen. Stoltenberg plädierte deshalb für zügige Vertragsabschlüsse der NATO-Staaten mit ihren Rüstungsindustrien, damit sie ihre Produktion hochfahren könnten.

Europa will aufrüsten

Am Montag trafen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Polens Premier Donald Tusk in Paris zusammen und forderten ebenso eine Aufrüstung aus Sorge vor Russland. „Alles, was die EU leistet, um der Ukraine Rüstungsgüter und Munition zu liefern, muss auch dem Aufbau der europäischen Rüstungsindustrie dienen“, sagte Macron. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz forderte am Montag ebenso eine deutliche Steigerung der Rüstungsproduktion in Europa. Trumps Aussagen nannte Scholz „unverantwortlich und gefährlich“.

Und selbst der grüne Vizekanzler Robert Habeck forderte die Bündelung der Kräfte: Mit Blick auf die anstehende US-Präsidentenwahl müssten Rüstungsprojekte in Europa einheitlicher geplant und umgesetzt werden.

Trump: „Habe NATO stark gemacht“

Auf die vielen Reaktionen hin legte Trump noch einmal nach und reklamierte nun für sich, das Verteidigungsbündnis gestärkt zu haben. „Ich habe die NATO stark gemacht“, schrieb der Republikaner am Montagabend (Ortszeit) in Großbuchstaben in dem von ihm mitbegründeten sozialen Netzwerk Truth Social. Als er den Ländern, die ihren gerechten Anteil nicht gezahlt hätten, gesagt habe, sie müssten zahlen, „da sie sonst keinen militärischen Schutz durch die USA erhalten würden“, sei das Geld hereingekommen.

„Nach so vielen Jahren, in denen die Vereinigten Staaten die Rechnung bezahlt haben, war das ein schöner Anblick“, schrieb Trump weiter. Doch nachdem er nicht mehr da sei, um die Partner zum Zahlen aufzufordern, lasse deren Bereitschaft wieder nach.

Feichtinger: „Weckruf“

Hinter den Brüsseler Kulissen, wo sowohl die EU-Kommission als auch die NATO ihren Hauptsitz haben, wälzt man seit Längerem Szenarien für die Zeit nach einem möglichen Wahlsieg Trumps. Für den heimischen Militärexperten Walter Feichtinger ist das auch dringend nötig, wie er am Montag im Gespräch mit der APA sagte. Trumps Aussagen seien „vielleicht der letzte Weckruf für Europa“, so Feichtinger. Russland sei derzeit in der Ukraine „ausgelastet“, weswegen in den nächsten Jahren kein Angriff auf Europa zu erwarten sei. „Dieses Zeitfenster bleibt Europa.“

Man habe sich „in Sicherheit gewogen und nicht bedacht, dass auf der Welt Krieg existent ist. Wir haben uns in eine Friedensfalle begeben“, sagte er. Die europäischen Staaten müssten insbesondere ihr „Abschreckungspotenzial“ erhöhen.

„Plan B“ der NATO

Was die Abwehr Russlands betrifft, gebe es bereits ein ausgearbeitetes strategisches Konzept der NATO, nach dem aktuell auch eine erste große Übung stattfinde. Nun gelte es, einen „Plan B“ auszuarbeiten, der gänzlich ohne US-Kapazitäten auskomme. Konkret solle in den nächsten Jahren der europäische Pfeiler der NATO „massiv ausgebaut“ werden, um die Abhängigkeit des Verteidigungsbündnisses von den USA zu reduzieren, sagte Feichtinger.

Bei Trump müsse man „die Kirche im Dorf lassen“, schließlich hätten die USA während seiner Amtszeit ihre Militärpräsenz in Europa sogar ausgebaut. Auch hätten Trumps frühere Drohungen in Richtung der europäischen NATO-Partner insofern „gefruchtet“, als diese ihre Verteidigungsausgaben erhöht hätten. Auch Österreich müsse sich fragen, welchen Beitrag es leisten könne. „Man muss darüber reden, ob die Neutralität nützt oder schadet.“