Estnische Regierungschefin Kaja Kallas
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Russland

Fahndung nach Estlands Regierungschefin

Russland hat Estlands Regierungschefin Kaja Kallas zur Fahndung ausgeschrieben. Das geht aus einem Vermerk hervor, der am Dienstag auf der Website des Innenministeriums in Moskau zu sehen war. Kallas werde in Russland wegen „einer Strafsache“ gesucht. Kallas war erst vergangene Woche in Wien und hatte als Gast von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) den Opernball besucht.

Die Fahndung gelte auch für den estnischen Staatssekretär Taimar Peterkop und den litauischen Kulturminister Simonas Kairys, hieß es am Dienstag in der Datenbank des Innenministeriums in Moskau. Der Sprecher des russischen Präsidialamts, Dmitri Peskow, sagte in Moskau, Kallas würden feindselige Handlungen gegen Russland und die „Schändung des historischen Gedächtnisses“ vorgeworfen.

Nach Angaben von Außenamtssprecherin Maria Sacharowa wird den Gesuchten „die Zerstörung von Denkmälern für Sowjetsoldaten“ vorgeworfen. „Verbrechen gegen das Gedenken an die Befreier der Welt von den Nazis und vom Faschismus müssen bestraft werden. Und das jetzt ist nur der Anfang“, so Sacharowa.

Kallas: „Kommt nicht überraschend“

In einer ersten Reaktion von Kallas auf X (Twitter) hieß es, dass der Schritt Russlands „nicht überraschend“ komme. Es sei ein „weiterer Beweis dafür, dass ich das Richtige tue“ – die starke Unterstützung der EU für die Ukraine sei ein Erfolg und schade Russland.

„Der Kreml hofft nun, dass dieser Schritt dazu beitragen wird, mich und andere zum Schweigen zu bringen – aber das wird nicht der Fall sein. Im Gegenteil. Ich werde die Ukraine weiterhin tatkräftig unterstützen. Ich werde weiterhin für eine Stärkung der Verteidigung Europas eintreten“, so Kallas.

Litauischer Minister: „Versuch, Freiheit zu ersticken“

Der litauische Kulturminister Kairys reagierte empört auf den Fahndungsaufruf gegen ihn und die anderen baltischen Vertreter und warf Moskau vor, die Fakten zu verdrehen. „Das Regime macht, was es immer macht: Es versucht, die Freiheit zu ersticken und seine eigene Version jenseits von Fakten und Logik zu schaffen“, sagte er der Nachrichtenagentur AFP.

Kallas hatte bei ihrem Besuch in Wien um stärkere Unterstützung für die Ukraine geworben. Estland glaube an einen Sieg der Ukraine, sagte Kallas. Um diesen zu ermöglichen, müsse die Ukraine, „solange es dauert, und mit so viel, wie benötigt, unterstützt werden“. Die Ramstein-Koalition der Ukraine-Unterstützerländer sei um ein Vielfaches stärker als Russland.

Scharfe Putin-Kritikerin

Über die Fahndungsdaten berichtete zunächst das unabhängige russische Internetportal Mediazona. Infolge der seit zwei Jahren andauernden russischen Offensive in der Ukraine sind die Beziehungen zwischen Moskau und den baltischen Staaten äußerst angespannt. Kallas ist eine der schärfsten Kritikerinnen des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie steht in Estland seit 2021 an der Spitze der Regierung.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und estnische Regierungschefin Kaja Kallas
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Erst letzte Woche war Kallas zu Gast bei Nehammer in Wien

„Müssen Krieg in Europa verhindern“

Wenn die Ukraine-Unterstützer Kiew mit 0,25 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung unterstützten, „könnte das der kritische Punkt sein“. Russland müsse außerdem weiter von internationalen Organisationen isoliert werden, forderte Kallas. Außerdem sei es an der Zeit, eingefrorene russische Vermögen für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden.

Kallas rief die Europäer überdies bei einem Besuch am Donnerstagabend in Wien zu mehr Investitionen in deren Verteidigung auf. „Um abzuschrecken und einen Krieg in Europa zu verhindern, müssen wir glaubhaft und stark sein“, sagte sie. Die Bedrohung sei real. Die baltischen Staaten hatten sich schon für unabhängig von der Sowjetunion erklärt, bevor diese Ende Dezember 1991 aufhörte zu existieren.

Geheimdienst: Kreml bereitet sich auf Krieg mit Westen vor

Dem estnischen Geheimdienst zufolge bereitet sich Russland auf eine militärische Konfrontation mit dem Westen innerhalb des nächsten Jahrzehnts vor und könnte durch eine Aufrüstung der Streitkräfte abgeschreckt werden. Das berichtete Reuters am Dienstag. Eine wachsende Zahl westlicher Beamter und Beamtinnen habe vor einer militärischen Bedrohung der Länder an der Ostflanke der NATO durch Russland gewarnt und fordere Europa auf, sich durch Aufrüstung vorzubereiten, so Reuters.

Der Chef des Geheimdiensts begründete diese Einschätzung mit den Plänen Russlands, die Zahl seiner Streitkräfte an der Grenze zu den NATO-Mitgliedern Finnland sowie den baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland zu verdoppeln. „Russland hat sich für eine langfristige Konfrontation entschieden (…) und der Kreml rechnet wahrscheinlich mit einem möglichen Konflikt mit der NATO innerhalb des nächsten Jahrzehnts oder so“, sagte Kaupo Rosin gegenüber Medien bei der Veröffentlichung des estnischen Berichts über nationale Sicherheitsbedrohungen.

Kurzfristiger Angriff „höchst unwahrscheinlich“

Ein militärischer Angriff Russlands sei kurzfristig „höchst unwahrscheinlich“, unter anderem, weil Russland Truppen in der Ukraine halten müsse, und würde auch dann unwahrscheinlich bleiben, wenn die russischen Streitkräfte in Europa aufgestockt würden. „Wenn wir nicht vorbereitet sind, wäre die Wahrscheinlichkeit (eines militärischen russischen Angriffs, Anm.) viel höher als ohne jegliche Vorbereitung“, fügte Rosin hinzu.

Estland und die anderen baltischen Staaten erhöhten ihre Militärausgaben nach der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 auf über zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP), die NATO-Verbündeten verstärkten ihre Präsenz in diesen Ländern.

Litauens Außenminister sieht „eine Art Auszeichnung“

Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis bezeichnete die Aufnahme der westlichen Politiker auf die russische Fahndungsliste als Auszeichnung. „Die politische Bewertung ist natürlich, dass es sich um eine Art Auszeichnung für Menschen handelt, die die Ukraine unterstützen und den Kampf des Guten gegen das Böse unterstützen“, sagte Landsbergis der Agentur BNS zufolge am Dienstag in Vilnius.