Israelische Soldaten überprüfen mehrere Panzer
APA/AFP/Menahem Kahana
Ringen um Geiseldeal

Druck auf Israel und Hamas wächst

Bisher gehen die Verhandlungen über eine Feuerpause und ein Geiselabkommen zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas nur schleppend voran. Knackpunkt sind die Bedingungen, die beide Konfliktparteien dafür stellen. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas forderte die Hamas am Mittwoch zu einem raschen Deal auf. Israel schloss ein baldiges Kriegsende aus.

Am Dienstag waren in der ägyptischen Hauptstadt der Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, William Burns, der Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, David Barnea, und der katarische Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani in Kairo mit ägyptischen Regierungsvertretern zusammengekommen. Ziel sei es gewesen, eine Waffenruhe für den Gazastreifen zu vereinbaren und die Zivilbevölkerung mit mehr Hilfsgütern zu versorgen.

Der Tenor der Gespräche sei „positiv“, berichtete am Dienstagabend der ägyptische Sender al-Qahera News. Als „konstruktiv“ bezeichnete der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, die Gespräche. Sie würden während der kommenden drei Tage von Beamten auf niedrigerer Ebene fortgesetzt, berichtete die „New York Times“ unter Berufung auf einen ägyptischen Beamten.

Keine Einigung auf Gaza-Feuerpause

In Kairo sind die Verhandlungen über eine Feuerpause im Gazastreifen vorerst auf eine untere Hierarchieebene verlegt worden.

Abbas ruft Hamas zu Geiseldeal auf

Israels Delegation unter Leitung Barneas habe Kairo verlassen, berichtete die Nachrichtenseite Times of Israel. Sie sei bei den Gesprächen in Kairo „zum Zuhören“ dabei gewesen. Ein neues Angebot habe man in Kairo nicht unterbreitet. Hamas-Vertreter nahmen nicht an den Gesprächen in Kairo teil. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will derzeit keine weitere Delegation nach Kairo schicken. Er verlangt vor weiteren Verhandlungen ein Einlenken der Hamas. Angehörige der nach wie vor festgehaltenen Geiseln zeigten sich darüber „fassungslos“.

Bezüglich der Dauer einer möglichen Feuerpause sowie der Anzahl freizulassender palästinensischer Häftlinge für jede freikommende israelische Geisel gebe es weiterhin eine Kluft zwischen den Positionen beider Konfliktparteien, berichtete die Zeitung „Wall Street Journal“ unter Berufung auf ägyptische Beamte. Israel habe die Bedingungen der Hamas als unrealistisch bezeichnet.

Palästinenserpräsident Abbas wandte sich in einem seltenen direkten Appell an die Hamas, rasch ein Geiselabkommen mit Israel zu schließen. Die Hamas solle einem solchen Deal zustimmen, um das palästinensische Volk zu schützen und einen israelischen Angriff auf die Stadt Rafah zu verhindern. Den Menschen müsse eine weitere Katastrophe erspart werden.

Netanjahu: „Bis zum vollständigen Sieg kämpfen“

Netanjahu bekräftigt indes Pläne seiner Regierung zu einem Militäreinsatz der ganz im Süden des Gazastreifens gelegenen Stadt. „Wir werden bis zum vollständigen Sieg kämpfen, und dazu gehört auch ein starker Einsatz in Rafah“, teilte Netanjahu am Mittwoch auf Telegram mit. Zuvor werde man der Zivilbevölkerung erlauben, die Kampfzonen zu verlassen.

Auch Israels Generalstabschef Herzi Halevi schloss ein baldiges Ende des Krieges aus. „Unsere militärischen Ergebnisse sind hervorragend“, sagte er am Dienstagabend, „aber es ist noch ein langer Weg, bis wir die Kriegsziele erreichen können“. Um diesen näher zu kommen, müssten die Hamas-Führung um Jahja Sinwar ausgeschaltet und noch mehr Kommandeure und Kämpfer getötet werden.

Grafik zum Gaza-Krieg
Grafik: APA/ORF; Quelle: BBC/ISW

Die noch mehr als 130 israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas müssten ihre Freiheit wiedergewinnen. Geflohene palästinensische Zivilisten, die sich derzeit zu Hunderttausenden in der Stadt Rafah am südlichen Ende des Gazastreifens zusammendrängten, müssten in Sicherheit zurückkehren können.

Video soll Hamas-Chef Sinwar zeigen

Israels Militär veröffentlichte am Dienstag ein Video, das Sinwar mit Angehörigen auf der Flucht in einem unterirdischen Tunnel der Hamas zeigen soll. Sollte das Video authentisch sein, wären es seit Kriegsbeginn die ersten Bilder von Sinwar. Ein weiteres Video soll den Raum zeigen, in dem Sinwar gewohnt habe, samt einem Tresor voller Banknoten. Wo er und sein Führungsstab sich heute aufhalten, ist unbekannt. „Die Jagd nach Sinwar wird nicht enden, bis wir ihn fassen, tot oder lebendig“, sagte Armeesprecher Daniel Hagari.

Erdogan bei Sisi

Erstmals nach jahrelanger diplomatischer Eiszeit empfing außerdem der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Das wichtigste Thema bei dem Treffen sei der Krieg in Gaza gewesen, sagte Sisi. Die Türkei werde mit Ägypten zusammenarbeiten, um das Blutvergießen zu stoppen, so Erdogan, der erneut den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu scharf kritisierte.

Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund israelischer Vorbereitungen auf eine Militäroffensive in Rafah statt. Ägypten befürchtet einen Flüchtlingsansturm auf die Halbinsel Sinai, sollte die Offensive stattfinden. Um einen Massenexodus nach Ägypten zu verhindern, machten die USA Druck auf Israel, den Eingeschlossenen einen Korridor Richtung Norden zu öffnen.

Als Alternative berichtete das „Wall Street Journal“ von einem israelischen Vorschlag, dass Ägypten 15 Zeltlager mit je 25.000 Zelten im südwestlichen Teil des Gazastreifens aufbauen könnte. Die 300.000-Einwohner-Stadt ist mit mehr als einer Million Binnenflüchtlingen überfüllt.

Aufsteigender Rauch aus Rafah
APA/AFP/Said Khatib
Seit einiger Zeit greift Israel Rafah aus der Luft an. Auch Bodeneinsätze gibt es, wobei zuletzt zwei Geiseln befreit wurden.

UNRWA: Man kann Rafah nicht evakuieren

Seit Wochen toben im Süden des Gazastreifens heftige Kämpfe. Israel vermutet dort die Führung der islamistischen Hamas in einem unterirdischen Tunnelnetzwerk. Es wird auch davon ausgegangen, dass dort Geiseln festgehalten werden.

UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths warnte vor einem „Gemetzel“ in Rafah. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens sei in Rafah „zusammengepfercht“ und blicke „dem Tod ins Auge“. Der Chef des UNO-Palästinenserhilfswerks (UNRWA), Philippe Lazzarini, hält es nicht für möglich, Rafah zu evakuieren: „Evakuierung wohin? Es gibt keinen sicheren Ort in Gaza“, sagte der der „Neuen Zürcher Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe). Der Norden sei mit nicht explodierten Sprengkörpern übersät.

Spanien und Irland fordern Untersuchung

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verdeutlichte Netanjahu in einem Telefont seine entschiedene Ablehnung einer Offensive. „Das kann nur zu einer humanitären Katastrophe sehr großen Ausmaßes und zur Vertreibung der Bevölkerung führen“, heißt es. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) warnte vor einer humanitären Katastrophe.

Kanada, Australien und Neuseeland riefen in einer gemeinsamen Erklärung zu einer sofortigen humanitären Waffenruhe im Gazastreifen auf. Die Regierungschefs von Spanien und Irland, Pedro Sanchez und Leo Varadkar, forderten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf, das Vorgehen Israels im Gazastreifen auf mögliche Menschenrechtsverletzungen zu überprüfen.