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ORF/Roland Winkler
Arbeitslosengeld

ÖVP-Vorstoß hinterlässt Fragen und Kritik

Die Nationalratswahl findet planmäßig zwar erst im Herbst statt, doch die Parteien sparen aktuell nicht mit Wahlkampfideen. Besonders die ÖVP geht mit ihrem „Österreich-Plan“ seit Jänner häppchenweise in die Offensive. So will die Kanzlerpartei etwa beim Arbeitslosengeld sparen. Der eher vage Vorstoß stößt allerdings auf Kritik und hinterlässt offene Fragen.

Am Mittwoch berichtete die APA über einen ÖVP-Vorschlag, wonach die Nettoersatzrate (aktuell 55 Prozent) des Arbeitslosengeldes zeitabhängig auf unter 50 Prozent gesenkt werden soll. Außerdem soll die Möglichkeit einer geringfügigen Beschäftigung während der Arbeitslosigkeit gestrichen werden, „damit jeder, der arbeiten kann, auch einer vollwertigen Arbeit nachgeht“, wie die APA aus dem Papier zitierte.

Bis auf das Ziel, mit der Kürzung einen Teil der ebenfalls versprochenen Lohnnebenkostensenkung zu finanzieren, ist nichts bekannt. Noch vor wenigen Monaten scheiterten ÖVP und Grüne bei ihrer Reform der Arbeitslosenversicherung. Damals wollte man das Arbeitslosengeld schrittweise reduzieren, wobei es in den ersten Tagen überhaupt kein Arbeitslosengeld gegeben hätte. Die Regierungsparteien einigten sich aber lediglich darauf, die Reform sein zu lassen.

Konkurrenz hält von Vorschlag nichts

Für die Nationalratswahl im Herbst bringt sich die ÖVP jedenfalls wieder in Stellung. Allerdings stößt sie dabei auf Widerstand bei den anderen Parteien und bei der Gewerkschaft. Die FPÖ bezeichnete den Vorschlag der ÖVP als „unsoziale Schnapsidee“. Man habe bereits bei den Regierungsverhandlungen 2017 den Vorschlag abgelehnt, so die Partei. Laut dem Regierungspakt von 2017 wollten ÖVP und FPÖ das Arbeitslosengeld degressiv gestalten, die Notstandshilfe sollte integriert werden. Weil die Regierung zerbrach, wurde daraus nichts.

Vizekanzler Werner Kogler und Bundeskanzler Karl Nehammer
APA/Georg Hochmuth
Am Ende zählt in einer Mehrparteienkoalition der Kompromiss: Bei der Reform des Arbeitslosengeldes scheiterten ÖVP und Grüne

Die SPÖ hielt am Mittwoch fest, dass „die ÖVP zum Abschied noch die Armut erhöhen will, statt sie wie versprochen zu halbieren“. Das Arbeitslosengeld sei hierzulande im internationalen Vergleich bereits ausgesprochen niedrig. Die Grünen lehnten den Vorschlag ebenfalls ab. Der ÖVP-Plan würde der Gesellschaft als Ganzes auf den Kopf fallen. NEOS befürwortete zwar ein degressives Arbeitslosengeld, am Anfang müsse es aber mehr geben und danach ein bisschen weniger. Die aktuelle Diskussion sei zu einseitig.

Hierzulande erhält man ohne Familien- und andere Zuschläge 55 Prozent des Nettoletzteinkommens als Arbeitslosengeld. Dieses erhält man je nach Alter und Dauer der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung zwischen 20 und 52 Wochen. Anschließend ist es möglich, die Notstandshilfe, die zwischen 92 und 95 Prozent des Arbeitslosengeldes beträgt, unbegrenzt zu beziehen.

Experte: „Effekte sind nicht massiv“

„Es kommt darauf an, welches Ziel die Politik mit einem degressiven Modell verfolgt“, sagte Marian Fink vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) gegenüber ORF.at. Will man mit einer stufenweise Reduktion des Arbeitslosengeldes das Budget entlasten? Oder ist das Ziel, einen Anreiz zu schaffen, damit arbeitslose Menschen wieder arbeiten? Für eine Studie hatte der WIFO-Experte 2022 mit Kollegen verschiedene Szenarien durchgespielt und war zum Schluss gekommen: „Die Effekte eines degressiven Modells sind nicht massiv.“

In der Studie ging man vom folgenden Modell aus: Die Nettoersatzrate beginnt bei 65 Prozent und sinkt nach jeweils acht Wochen auf 55 und 50 Prozent. Selbst bei einer optimistischen Annahme würde sich die Zahl der Leistungsbezieher kaum ändern. Die Beschäftigungsanreize seien „überschaubar“, sagte Fink, vieles hänge vom Arbeitsmarkt selbst ab. „Finde ich überhaupt einen Job, der adäquat ist, also wo nicht nur die Bezahlung passt, sondern auch der Ausbildung entspricht?“ Fink betonte, die Parameter der ÖVP-Ideen nicht zu kennen.

ÖVP will Arbeitslosengeld kürzen

Die ÖVP hat in ihrem „Österreich-Plan“ im Vorfeld der Nationalratswahl eine Senkung der Lohnnebenkosten um jährlich 0,5 Prozentpunkte bis 2030 versprochen. Bewerkstelligen will sie das unter anderem durch Einsparungen beim Arbeitslosengeld.

Gegenüber dem „Kurier“ betonte hingegen AMS-Vorstand Johannes Kopf, die Praxis zeige, dass neue Arbeitslose in den ersten Monaten noch wählerisch bei der Jobsuche seien und erst allmählich die Bereitschaft, die Ansprüche zu senken, steige. Im „Kurier“ sprach Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS) von einer „reinen Symbolpolitik“, wenn man die Nettoersatzrate von 55 auf unter 50 Prozent senkt. Allerdings gab die ÖVP nicht an, bei welchem Wert die Nettoersatzrate überhaupt starten soll.

Bessere Betreuung könnte helfen

In der Studie der WIFO aus dem Jahr 2022 wurde zudem simuliert, was passiert, wenn die Zuverdienstgrenze für arbeitslose Personen völlig wegfällt. Hier gebe es ein „Potenzial“, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, heißt es im Papier: „Betriebe, die bisher stark auf geringfügig Beschäftigte gesetzt haben, könnten dazu gezwungen sein, ihr Beschäftigungsverhalten zu ändern. Das kann zu einer stärkeren Nachfrage nach regulärer Beschäftigung führen.“

Die ÖVP wollte die Zuverdienstmöglichkeit für Arbeitslose schon in dieser Legislaturperiode abschaffen. Die Grünen lehnten das allerdings ab. Sie sehen darin ein wichtiges Instrument zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und zur Verhinderung des Abstiegs in die Armut. ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher kündigte schließlich an, schärfere Kontrollen durchzuführen, um die Zahl der Arbeitslosen, die von Unternehmen geringfügig beschäftigt werden, zu reduzieren.

Übrigens hielten die WIFO-Forscher in ihrer Studie von 2022 fest, dass eine bessere Betreuung der Arbeitslosen den positivsten Effekt hätte. Schon zuvor hatten Studien ergeben, dass eine bessere Personalausstattung des AMS die Arbeitslosigkeitsdauer reduzieren und die Beschäftigungswahrscheinlichkeit erhöhen kann.