Sojus2-Raketenstart am 9. Februar 2024 in Russland
IMAGO/TASS/Russian Defence Ministry
Atomwaffen fürs All?

USA über Moskaus Pläne besorgt

Die USA sehen sich hochrangigen Regierungsvertretern zufolge mit einer neuen „ernsthaften Sicherheitsbedrohung“ konfrontiert, bei der es sich Medienberichten zufolge um russische Pläne für im Weltall stationierte Atomwaffen handelt. Der Kongress und europäische Alliierte seien informiert worden, hieß es. Unklar ist, wie konkret die Bedrohung ist – im Weißen Haus ärgerte man sich, dass das Thema nun öffentlich diskutiert wird. Der Kreml nennt die Spekulationen einen „Trick“ des Weißen Hauses.

Russland sei dabei, im Weltraum stationierte Atomwaffen gegen Satelliten zu entwickeln, berichteten der Sender ABC News und die „New York Times“ („NYT“) am Mittwoch unter Berufung auf nicht namentlich genannte US-Regierungsvertreter. Noch sei eine derartige Stationierung aber nicht erfolgt.

In der Öffentlichkeit beschränkten sich US-Regierungsvertreter auf kryptische Andeutungen bezüglich einer ernsten Angelegenheit. Sie versicherten, es bestehe kein Grund zur Panik, nannten aber keine Details. Die Angelegenheit soll am Donnerstag Thema einer Zusammenkunft der Kongressspitzen im Weißen Haus sein.

„Ernsthafte Bedrohung der nationalen Sicherheit“

Zuerst hatte der republikanische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Repräsentantenhaus, Michael Turner, eine Erklärung veröffentlicht, in der von einer „ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit“ die Rede war.

Mike Turner
AP/CQ Roll Call/Bill Clark
Der Abgeordnete Turner forderte die Veröffentlichung aller Details

Er rief Präsident Joe Biden auf, alle diesbezüglichen, als geheim eingestuften Unterlagen freizugeben, „damit der Kongress, die Regierung und unsere Verbündeten offen über die notwendigen Maßnahmen als Reaktion auf diese Bedrohung diskutieren können“.

Einsicht für alle Kongresspolitiker gefordert

In einem Brief mit seinem demokratischen Kollegen Jim Himes an die Abgeordneten schrieb Turner, der Ausschuss habe „eine dringende Angelegenheit hinsichtlich einer destabilisierenden ausländischen militärischen Fähigkeit identifiziert, die allen Kongresspolitikern bekannt sein sollte“. Der Geheimdienstausschuss hatte am Dienstag dafür gestimmt, Geheimunterlagen zu der Angelegenheit den Abgeordneten am Donnerstag in einem sicheren Raum zur Einsicht bereitzustellen.

Unklar ist, ob die plötzliche öffentliche Diskussion mit einem kürzlich erfolgten Raketenstart Russlands zu tun haben könnte. Am 9. Februar startete eine Sojus-Rakete, die laut „Guardian“ eine unter Verschluss gehaltene Nutzlast des russischen Verteidigungsministeriums ins All beförderte.

Kreml: „Bösartige Fälschung“

Der Kreml selbst wies am Donnerstag die Gerüchte über Moskaus nukleare Ambitionen im All zurück. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte laut der Nachrichtenagentur Interfax: „Es ist offensichtlich, dass das Weiße Haus mit allen Tricks und Raffinessen versucht, den Kongress zur Abstimmung über das Gesetz zur Bereitstellung von Geld (für die Ukraine, Anm.) zu bewegen.“ Vizeaußenminister Sergej Rjabkow, zuständig für Fragen der – weitgehend ausgesetzten – Rüstungskontrolle, warf den USA laut der russischen Nachrichtenagentur TASS eine „bösartige Fälschung“ vor.

Weißes Haus kritisiert Gang an Öffentlichkeit

Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan kritisierte indes, dass Turner vor dem für Donnerstag geplanten Treffen im Weißen Haus an die Öffentlichkeit gegangen war. Er verwies darauf, dass ohnehin ein Treffen mit der „Gang of Eight“ geplant gewesen sei: „Wir haben für morgen ein Briefing für die Mitglieder der ‚Gang of Eight‘ des Repräsentantenhauses anberaumt“, sagte Sullivan.

Dieser Achtergruppe gehören hochrangige Kongressabgeordnete beider Parteien an, die vom Präsidenten über Aktivitäten des Geheimdienstes und verdeckte Operationen unterrichtet werden können. „Das ist schon fix ausgemacht. Ich bin daher etwas überrascht, dass der Kongressabgeordnete Turner sich heute vor dem geplanten Treffen öffentlich geäußert hat“, so Sullivan weiter.

Konkrete Bedrohung unklar

Unklar ist, wie konkret die Bedrohung ist – ganz relativieren wollte auch Sicherheitsberater Sullivan sie nicht. Auf die Frage, ob er den Amerikanerinnen und Amerikanern sagen könne, dass es keinen Grund zur Sorge gebe, antwortete er, dass es „unmöglich sei, mit einem klaren Ja zu antworten“, zitierte ihn die „NYT“.

Wladimir Putin hält eine Rede vor Wissenschaftlern am Zukunftstechnologie-Zentrum in Moskau
AP/Sputnik Kremlin Photo/Kristina Kormilitsyna
Russlands Präsident Wladimir Putin stieg in letzter Zeit aus einigen Rüstungsabkommen aus

Der Demokrat Himes sagte, die Angelegenheit sei „ernst“, und gab seinem republikanischen Kollegen Turner recht, das Thema in den Mittelpunkt zu stellen, schrieb die „NYT“. Aber er relativierte die tatsächliche Bedrohung: „Sie wird Ihren Donnerstag nicht ruinieren“, so der Abgeordnete.

Der demokratische Senator Mark Warner und der republikanische Senator Marco Rubio äußerten sich in einer gemeinsamen Aussendung und sagten, dass der Geheimdienstausschuss die Angelegenheit „von Anfang an verfolgt“ habe, so die „NYT“. Man fürchte allerdings, dass die geforderte Freigabe von Informationen aufdecken könnte, wie man überhaupt an diese Hinweise gelangt sei.

Ukraine-Hilfe als möglicher Hintergrund

Die Kritik des Weißen Hauses am Vorgehen der Republikaner zeigt einmal mehr, wie zerstritten die US-Innenpolitik über den Umgang mit dem Krieg in der Ukraine ist. Ein Teil der Republikaner hält ein 60 Milliarden Dollar schweres Hilfspaket für die Ukraine auf. Dabei gilt der Republikaner Turner eigentlich als Unterstützer der Ukraine-Hilfen.

Laut „NYT“ wird in Washington darüber spekuliert, dass Turner die Spekulationen nun groß trommelt, um Druck auf seine eigene Partei auszuüben, damit diese die Finanzierung für die Ukraine im Repräsentantenhaus passieren lässt.

Besorgnis bei Alliierten

Der britische Verteidigungsminister Grant Shapps sagte bei einem Treffen der NATO-Minister in Brüssel, er wolle nicht direkt auf mögliche neue Erkenntnisse in dem Bereich eingehen. Er sagte lediglich allgemein, man wisse, dass Gegner immer nach neuen Wegen der Kriegsführung suchen würden. Der kanadische Verteidigungsminister Bill Blair nannte die Berichte besorgniserregend.

Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius warnte davor, übereilte Antworten zu geben oder zu glauben, welche zu haben. „Das müssen wir abwägen. Wir müssen die technischen Fragen klären und dann sehen, was daraus folgert“, so der Minister. Um gegen Angriffe auf Satelliten besser reagieren zu können, hatte die NATO bereits 2021 beschlossen, dass Angriffe aus oder im Weltraum künftig als Bündnisfall behandelt werden können.