Luftansicht von Rafah
APA/AFP/Said Khatib
Israels Offensive

UNO warnt vor „Gemetzel“ in Rafah

Die Kritik an der geplanten Militäroffensive Israels auf Rafah im Süden des Gazastreifens mehrt sich. Laut UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths könnte eine Offensive dort zu einem „Gemetzel“ führen. „Ich befürchte ein Gemetzel von Menschen in Gaza“, schrieb er in der Nacht auf Donnerstag auf X (Twitter). In einer ungewöhnlich scharf formulierten Erklärung hatte er zuvor deutlich gemacht, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens in Rafah „zusammengepfercht“ sei und „dem Tod ins Auge“ schaue.

Die weit mehr als eine Million Menschen dort hätten „wenig zu essen, kaum Zugang zu medizinischer Versorgung, können nirgendwo schlafen und nirgendwo sicher hingehen“, sagte Griffiths. „Sie sind wie die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens Opfer eines Angriffs, der in seiner Intensität, Brutalität und Tragweite beispiellos ist“, sagte er.

Indes riefen Kanada, Australien und Neuseeland in einer gemeinsamen Erklärung zu einer sofortigen humanitären Waffenruhe im Gazastreifen auf. Die Erklärung der Länder wurde als Reaktion auf Berichte über die geplante Offensive Israels gegen Rafah veröffentlicht.

Grafik zum Gaza-Krieg
Grafik: APA/ORF; Quelle: BBC/ISW

Die Regierungschefs Spaniens und Irlands, Pedro Sanchez und Leo Varadkar, forderten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf, das Vorgehen Israels im Gazastreifen auf mögliche Menschenrechtsverletzungen zu überprüfen.

Australien warnt Israel vor Angriff auf Rafah

Die australische Außenministerin Penny Wong hat Israel in Bezug auf eine geplante Offensive auf Rafah aufgefordert, „diesen Weg nicht einzuschlagen“, da eine „Militäroperation in Rafah katastrophal wäre“. Auch Kanada und Neuseeland riefen zu einer sofortigen humanitären Waffenruhe in Gaza auf.

Israel soll „Freunden“ Gehör schenken

„Eine Militäroperation in Rafah wäre katastrophal. Angesichts der bereits entsetzlichen humanitären Situation im Gazastreifen wären die Auswirkungen (…) auf palästinensische Zivilisten verheerend“, hieß es in einer in Kanada am Mittwoch (Ortszeit) veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahme der drei Länder.

Es gebe für Zivilisten in der Stadt im Süden des Gazastreifens an der Grenze zu Ägypten schlicht keinen anderen Ort, an den sie gehen könnten. Israel müsse „seinen Freunden“ und der internationalen Gemeinschaft Gehör schenken, appellierten die drei Staaten an Israel.

Rotes Kreuz warnt vor Katastrophe

Ein internationaler Konsens gegen eine solche Offensive wachse, hieß es weiter. „Palästinensische Zivilisten können nicht dazu gebracht werden, den Preis eines Sieges über die Hamas zu zahlen.“ Humanitäre Hilfe müsse schnell, sicher und ungehindert die Zivilisten in Gaza erreichen. Gleichsam müsse die Hamas umgehend die Waffen niederlegen und alle Geiseln freilassen.

Luftaufnahme eines Zeltcamps in Rafah
Reuters/Bassam Masoud
Luftaufnahme eines Zeltcamps in Rafah

Italiens Außenminister Antonio Tajani warf indes Israel vor, bei den Kämpfen gegen die Hamas würden zu viele Zivilisten im Gazastreifen getötet. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) warnte vor einer humanitären Katastrophe.

Israelische Truppen in Spital in Chan Junis

Unterdessen drangen israelische Soldaten in ein Krankenhaus im Süden des Gazastreifens ein. Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sprach von einem „präzisen und begrenzten Einsatz im Nasser-Krankenhaus“ in Chan Junis. Ziel sei es, Leichen von Geiseln zu bergen. Die Armee habe „glaubwürdige“ Hinweise darauf, dass im Spital noch Geiseln sind, hieß es weiter.

Einem Sprecher der von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde zufolge stürmten die Truppen das Nasser-Krankenhaus und zerstörten dabei eine Wand. Zuvor waren zahlreiche Menschen aus der Klinik in dem heftig umkämpften Gebiet geflohen. Augenzeugen berichten laut BBC, dass die israelischen Soldaten in das Spital hineingeschossen haben. Eine Person sei getötet worden.

Von der BBC verifizierte Videos zeigen, wie Patienten auf Bahren durch verrauchte Gänge gebracht werden. Das Nasser-Krankenhaus ist das größte im Süden Gazas und eines der wenigen, das bisher noch voll funktionsfähig war. Der Direktor sprach von einer „katastrophalen“ Situation.

Zudem habe es „gezielte Einsätze“ in der Stadt gegeben, so die Armee weiter. Die israelischen Luftstreitkräfte hätten eine Reihe von Angriffen zur Unterstützung der Bodentruppen im gesamten Gebiet vorgenommen, es seien unter anderem „unterirdische Einrichtungen“ und „Militärstützpunkte“ getroffen und „eine Reihe von Terroristen“ getötet worden. Es seien mehrere Tatverdächtige festgenommen worden.

Macron trifft jordanischen König

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verdeutlichte dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu in einem Telefont seine entschiedene Ablehnung einer Offensive in der Stadt. Macron wird am Freitag den jordanischen König Abdullah in Paris empfangen, um über eine Unterstützung bei der Lösung des Gaza-Konflikts zu sprechen. Auch eine Waffenruhe soll Thema sein, so das französische Präsidialamt, ebenso Möglichkeiten für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten.

Israelischer Ministerpräsident Benjamin Netanjahu
IMAGO/photothek/Thomas Koehler
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu

Die internationale Gemeinschaft habe vor den gefährlichen Folgen einer Bodeninvasion in Rafah gewarnt, sagte auch Griffiths und fügte hinzu: „Die israelische Regierung kann diese Aufrufe nicht länger ignorieren.“

Netanjahu stellt weiter Forderungen

Netanjahu hatte dem Militär vergangene Woche den Befehl erteilt, seiner Regierung Pläne für eine Offensive auf Rafah sowie für die Fortbringung der dortigen Bevölkerung vorzulegen. Es gehe darum, dort die letzten Kampfeinheiten der Hamas zu zerschlagen, sagte Netanjahu. Die Ankündigung sorgte international für heftige Kritik.

Israel verlangt vor weiteren Verhandlungen über eine neue Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln ein Einlenken der Hamas. Laut israelischen Medien weigerte sich Netanjahu, am Donnerstag eine Delegation zurück nach Kairo zu schicken, wo die Verhandlungen der internationalen Vermittler weitergehen sollten.

Geiselangehörige „fassungslos“

Angehörige der Geiseln zeigten sich über die Weigerung „fassungslos“ und sprachen von einem „Todesurteil“. Es habe den Anschein, dass einige Mitglieder von Netanjahus Kabinett beschlossen hätten, „das Leben der Geiseln zu opfern, ohne das zuzugeben“, zitierte die Nachrichtenseite Times of Israel das Forum der Geiselfamilien.

Ranghohe Vertreter aus den USA, Israel, Katar und Ägypten hatten am Vortag in Kairo keine Einigung erzielt, sich aber auf eine Verlängerung der Gespräche auf niedrigerer Beamtenebene um drei Tage verständigt, wie die „New York Times“ unter Berufung auf einen ägyptischen Beamten berichtete.

Menschen verlassen in Autos Rafah
IMAGO/Xinhua/Yasser Qudih
Menschen verlassen Rafah

USA in „intensiven Gesprächen“ mit Israel

Die US-Regierung führt nach eigenen Angaben „intensive Gespräche“ mit der israelischen Führung über ein Schutzkonzept für die Zivilbevölkerung in Rafah. Man könne keine Militäroperation ohne einen humanitären Plan unterstützen, so der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller.

Es seien „intensive Gespräche, die wir gerade mit der israelischen Regierung im Detail führen“, sagte Sicherheitsberater Jake Sullivan. An Spekulationen darüber, wie das Schutzkonzept am Ende aussehe, wolle man sich aber nicht beteiligen, sondern abwarten und sich dann mit Israels Regierung austauschen, sagte Miller.

Aufregung über Griffiths-Sager

Griffiths sorgte bei Israel für zusätzliche Aufregung, weil er sagte: „Ich habe mit sehr, sehr vielen verschiedenen Terror- und Rebellengruppen gearbeitet. Hamas ist für uns keine Terrororganisation, sondern eine politische Bewegung.“

Der israelische Außenminister Israel Katz schrieb daraufhin auf X, er habe geleugnet, dass die Hamas eine Terrororganisation sei. „Schande über ihn!“ Der israelische UNO-Botschafter Gilad Erdan schrieb bei X: „Endlich wird die Unterstützung der Vereinten Nationen für Hamas live im Fernsehen aufgedeckt.“

Die Hamas stehe nicht auf der Liste der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als Terrororganisationen eingestuften Gruppen, teilte Griffiths auf X mit. „Das macht ihre Terroranschläge vom 7. Oktober jedoch nicht weniger schrecklich und verwerflich.“