Der Kritiker der russischen Führung, Alexej Nawalny bei einer Verhaftung 2013
Reuters/Grigory Dukor
Mordanschuldigungen

Entsetzen im Westen nach Nawalnys Tod

Der plötzliche Tod des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny in einer russischen Strafkolonie hat in der ganzen Welt empörte Reaktionen ausgelöst. Die EU und die USA machen Moskau verantwortlich, der lettische Präsident Edgars Rinkevics beschuldigte den Kreml gar, Nawalny „brutal ermordet“ zu haben.

Nawalnys Team hatte dem Kreml wiederholt vorgeworfen, alles zu tun, um den wichtigsten Gegner von Präsident Wladimir Putin auszuschalten. Die Warnungen blieben ungehört, Nawalny starb laut Angaben der Gefängnisverwaltung in der Strafkolonie in der Arktisregion, in der er seit dem Vorjahr eingesessen war. Nawalnys Mutter sagte, sie habe ihren Sohn erst am Montag im Straflager besucht. „Er war lebendig, gesund und lebenslustig“, sagte sie in der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“.

Es sei offensichtlich, dass Nawalny von Putin getötet worden sei, so auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem Presseauftritt in Berlin. Putin sei es gleichgültig, wer sterbe, ihm gehe es nur um den Machterhalt. „Es ist für mich offensichtlich: Er wurde getötet. Wie andere Tausende, die zu Tode gequält wurden wegen dieses einen Menschen.“ Der russische Staatschef müsse „für seine Verbrechen bezahlen“.

„EU hält russisches Regime für alleinverantwortlich“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagierte „zutiefst beunruhigt und traurig“: „Eine düstere Erinnerung daran, worum es Putin und seinem Regime geht“, schrieb von der Leyen auf X (Twitter). Der Kreml-Chef fürchte nichts mehr als Widerspruch seines eigenen Volkes.

Nawalny habe „für seine Ideale das ultimative Opfer“ gebracht, erklärte am Freitag EU-Ratspräsident Charles Michel auf X. „Die EU hält das russische Regime für alleinverantwortlich für diesen tragischen Tod“, hieß es. „Kämpfer sterben“, so Michel, aber der Kampf um Freiheit ende nie.

Internationale Reaktionen auf Nawalnys Tod

Der Tod von Kreml-Kritiker Nawalny hat im Westen für Empörung und Schuldzuweisungen geführt.

US-Präsident Joe Biden machte Putin verantwortlich. Die Berichte über dessen Tod hätten ihn nicht überrascht, aber empört, so Biden in Washington. Nawalny habe sich mutig gegen die Korruption, die Gewalt „und all die schlechten Dinge“ gewehrt, die die Putin-Regierung getan habe. „Putin ist für Nawalnys Tod verantwortlich.“ US-Außenminister Antony Blinken äußerte sich ähnlich. Nawalnys Tode belege die „Schwäche und Fäulnis“ des von Putin aufgebauten Systems, sagte er in München, wo die Sicherheitskonferenz läuft.

Tiefe Bestürzung über Tod von Nawalny

Die Nachricht über den Tod des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny hat bei vielen am Rande der Sicherheitskonferenz in München für tiefe Bestürzung gesorgt. NATO-Chef Jens Stoltenberg machte deutlich, dass Russland nun Rede und Antwort über die genauen Umstände stehen müsse.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg reagierte „tief betroffen und beunruhigt“ und übte scharfe Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Was wir gesehen haben, ist, dass Russland zu einer immer autoritäreren Macht geworden ist und seit vielen Jahren die Opposition unterdrückt“, sagte er. Gerade auch deswegen müsse Russland alle Fragen beantworten, die jetzt gestellt würden.

Das UNO-Menschenrechtsbüro forderte von Moskau die Freilassung aller staatlich Verfolgten. Man sei „entsetzt“ über Nawalnys Tod, so eine Sprecherin von Menschenrechtshochkommissar Volker Türk. Aus Sicht des Büros sei bei jedem Todesfall eines Gefangenen davon auszugehen, dass der jeweilige Staat dafür verantwortlich zu machen sei. „Diese Verantwortung kann nur durch eine unparteiische, gründliche und offene Untersuchung durch eine unabhängige Stelle entkräftet werden“, hieß es. Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich schockiert und forderte eine „umfassende, glaubwürdige und transparente Untersuchung“ der Umstände.

Russische Botschaft protestiert gegen Van der Bellen

Bundespräsident Alexander Van der Bellen reagierte „erschüttert“, wie er auf X schrieb. Putin „und sein mörderisches Regime haben das zu verantworten“, so Van der Bellen, der auch Nawalnys Angehörigen kondolierte. Ähnlich äußerte sich Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), der eine „internationale Untersuchung“ der Todesumstände forderte.

Van der Bellens Reaktion zog eine Antwort aus Russlands Botschaft nach sich: „Im Zusammenhang mit von Bundespräsident Alexander Van der Bellen getätigten beleidigenden Äußerungen in Bezug auf Russland und die russische Führung hat die Botschaft entschiedenen Protest beim österreichischen Außenministerium eingelegt“, hieß es auf X. In einer Verbalnote sei darauf hingewiesen worden, dass eine derartige empörende Rhetorik nicht hingenommen werden könne.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) würdigte den als politischer Häftling verstorbenen Nawalny am Freitag als „Verfechter eines offeneren und demokratischeren Russlands“ und forderte eine „vollumfängliche, unabhängige Untersuchung der Umstände seines Todes“.

In mehreren europäischen Städten, darunter auch in Wien, kamen am Freitag schon bald nach Bekanntwerden des Ablebens Nawalnys Demonstrierende vor den russischen Botschaften zusammen. Sie skandierten dabei Slogans wie „Putin ist ein Mörder“. In Berlin fanden sich mehr als 1.000 Menschen ein, sagte eine Sprecherin der Polizei.

Alexei Navalny, mit Tochter Dasha, Sohn Zakhar und Ehefrau Yulia
APA/AFP/Vasily Maximov
Nawalny hinterlässt seine Frau und Mitstreiterin Julia sowie zwei Kinder

„Nawalny war ein gewaltloser politischer Gefangener, der nur aufgrund seines friedlichen politischen Engagements von den russischen Behörden verfolgt wurde. Seine Inhaftierung war politisch motiviert und willkürlich. Die internationale Gemeinschaft muss auf eine sofortige, unabhängige und gründliche Untersuchung der Umstände des Todes von Alexej Nawalny drängen“, sagte Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.

Nawalny „bezahlte mit dem Leben“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron reagierte auf X empört. „Im heutigen Russland werden freie Geister in den Gulag gesteckt und dort zum Tode verurteilt“, so Macron: „Zorn und Empörung.“

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz nannte den Tod Nawalnys bedrückend. Dass dieser nach Russland zurückgegangen sei, sei sehr mutig gewesen. Nun habe er diesen Mut „mit dem Leben bezahlt“, so Scholz in Berlin. Man wisse jetzt genau, was in Moskau für ein Regime regiere. Russland sei „längst keine Demokratie mehr“.

Lettlands Staatschef wurde deutlich: „Was auch immer Sie über Alexej Nawalny als Politiker denken, er wurde einfach vom Kreml brutal ermordet“, so Rinkevics auf X: „Das ist eine Tatsache und etwas, das man über die wahre Natur des gegenwärtigen russischen Regimes wissen sollte.“ Sein Beileid gelte der Familie und den Freunden Nawalnys.

Polens Ministerpräsident Donald Tusk schrieb auf X: „Alexej, wir werden dich nie vergessen. Und wir werden ihnen nie vergeben“. Das polnische Außenministerium erklärte, die russische Regierung trage die alleinige Verantwortung für den Tod Nawalnys. „Wir fordern eine unabhängige Untersuchung und eine vollständige Aufklärung aller Umstände des Todesfalls“, hieß es weiter.

Der russische Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin, der kürzlich von der Kandidatur zum Präsidentenamt ausgeschlossen worden war, würdigte Nawalny. Dieser sei „einer der talentiertesten und mutigsten Menschen Russlands“ gewesen, hieß es auf Telegram.

Russland: Anwürfe „selbstentlarvend“

Das russische Außenministerium kritisierte die Anschuldigungen als „selbstentlarvend“. Obwohl die gerichtsmedizinischen Ergebnisse zu Nawalnys Tod noch nicht vorlägen, habe der Westen bereits seine eigenen Schlussfolgerungen gezogen, schrieb Außenamtssprecherin Maria Sacharowa auf Telegram.

„Der Tod eines Menschen ist immer eine Tragödie“, hieß es am Freitag in einer Erklärung des russischen Außenministeriums. „Statt pauschaler Anschuldigungen sollte man Zurückhaltung üben und die offiziellen Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchung abwarten.“ Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow sagte gar, die Kommentare westlicher Politiker seien „absolut tollwütig“.

Der Vorsitzende der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, drehte seinerseits den Spieß um. Westliche Politiker, „die eine große Anzahl von Fehlentscheidungen getroffen haben und sich an ihre Positionen klammern, profitieren von seinem Tod“, erklärte er auf Telegram, ohne die Anschuldigung weiter zu erläutern. Weiter warf er dem Westen vor, Russland „zerstören“ zu wollen.

Nawalny selbst sagte einmal zu CNN: „Wenn sie beschließen, mich zu töten, dann bedeutet das, dass wir unglaublich stark sind. Wir müssen diese Macht nutzen und dürfen nicht aufgeben“, so Nawalny. „Wir sind uns nicht bewusst, wie stark wir eigentlich sind.“