Der Kritiker der russischen Führung, Alexej Nawalny
Reuters/Maxim Shemetov
Nawalny

Putins Staatsfeind Nummer eins

Rund 15 Jahre lang ist Alexey Nawalny von Beruf Oppositioneller gewesen, in etwa so lang wie Wladimir Putin die Zügel im Kreml in der Hand hält. Nun ist Russlands bedeutendster Putin-Gegner gestorben. Nawalny war bewusst nach Russland zurückgekehrt, wissend, dass ihn dort der Tod erwarten könnte.

Nawalny wurde 47 Jahre alt, er starb im Gefängnis im hohen Norden Russlands. Das Land verlor damit kurz vor der Präsidentenwahl im März seinen wichtigsten Oppositionspolitiker. Nawalnys Werdegang war stetig, konsequent und bis zum Ende kompromisslos.

Im Jahr 2000 schloss sich der junge Moskauer Jurist Nawalny, Jahrgang 1976, der linksliberalen Jabloko-Partei an, die damals als einflussreichste wirkliche Oppositionspartei des Landes galt. Öffentlich in Erscheinung trat der Nachwuchspolitiker in diesen Anfangsjahren kaum. Laut eigenen Erzählungen war er in der Medienarbeit tätig und agierte als Wahlkampfhelfer – mit bescheidenem Erfolg: Jabloko flog 2003 als Fraktion aus der Staatsduma.

Nationalistischer Exkurs

Gleichzeitig liebäugelte Nawalny mit dem russischen Nationalismus, bezeichnete sich als „National-Demokrat“ und gründete 2007 gemeinsam mit dem Journalisten Sergej Guljajew und dem nationalistischen Schriftsteller Sachar Prilepin eine Bewegung namens „Narod“ („Volk“). Während die Gruppe in Moskau keine Rolle spielte, wurde sie in St. Petersburg für die Spaltung der seinerzeit äußerst aktiven Protestbewegung verantwortlich gemacht. Von liberaler Seite brachte ihm das damals Vorwürfe ein.

Kreml-Kritiker Nawalny ist tot

Der Kritiker der russischen Führung, Alexej Nawalny, ist tot. Die Gründe für seinen Tod würden untersucht, hieß es weiter.

Eine Affinität zum Nationalismus sorgte schließlich Ende 2007 auch für seinen Parteiausschluss bei Jabloko. Von da an trat der Nationalismus in den Hintergrund, Nawalny schuf mit Enthüllungen über russische Staatskonzerne die Basis für sein künftiges politisches Vehikel, den 2011 gegründeten „Fonds zur Korruptionsbekämpfung“. Für seine Kommunikation setzte er dabei insbesondere auf das Internet, dessen Potenzial er vor vielen anderen in Russland verstanden hatte.

Unterbrochen wurden diese Aktivitäten in Moskau durch einen Studienaufenthalt an der US-amerikanischen Eliteuniversität Yale sowie ein kurzes Gastspiel als Berater des Gouverneurs der Region Kirow, seiner bisher einzigen Funktion im russischen Staatswesen. Diese Episode in Kirow sollte später Ausgangspunkt für eine fragwürdige Strafverfolgung sein, die als Begründung für seine Nichtzulassung bei den Präsidentschaftswahlen 2018 verwendet wurde.

Galionsfigur durch Proteste

Während der Protestsaison von 2011/2012, die gegen Wahlfälschungen bei den Staatsdumawahlen im Dezember 2011 und gegen die Wiederwahl von Wladimir Putin als Präsident im März 2012 gerichtet waren, avancierte Nawalny bei Großdemonstrationen zu einer der unumstrittenen Führungsfiguren der russischen Opposition. Bereits Anfang 2011 hatte er sich auf die Putin-Partei Geeintes Russland eingeschossen und gegen sie kampagnisiert.

Der Kritiker der russischen Führung, Alexej Nawalny mit Megafon bei einer Protestkundgebung
Reuters/Sergei Karpukhin
Weltweite Bekanntheit erlangte Nawalny spätestens durch die Proteste nach Putins Wiederwahl 2012

Nach der Niederlage der Protestbewegung begann Nawalny einen Plan zu realisieren, den er bereits bei einer Demonstration am Tag nach Putins Wahlsieg im März 2012 skizziert hatte: „Vom morgigen Tag an werden wir eine propagandistische Maschine aufbauen, die nicht schlechter als der erste Sender des Staatsfernsehens arbeiten wird.“

Kandidaturen verhindert

Mit einem wachsenden Team des „Fonds zur Bekämpfung der Korruption“ enthüllte er am laufenden Band Verfehlungen von Russlands herrschender Elite. Seit 2015 geschah das in Form von unterhaltsamen YouTube-Filmen, die wiederholt zum landesweiten Gesprächsstoff avancierten. Der Staat schlug mit augenscheinlich politisch motivierter Strafverfolgung zurück, die ihn damals noch nicht ins Gefängnis brachten.

2013 ermöglichte der Kreml dem Oppositionellen auch, bei den Moskauer Bürgermeisterwahlen zu kandidieren. Nawalny unterlag zwar dem Amtsinhaber Sergej Sobjanin, konnte aber mit mehr als 27 Prozent und Platz zwei dennoch einen Achtungserfolg landen. Es war seine bisher letzte Chance auf ein politisches Amt: Gerichte und Gesetzesnovellen vereitelten seit damals weitere Kandidaturen, zuletzt bei den Präsidentschaftswahlen 2018.

Anschlag mit Kampfstoff

Aber auch ohne Amt blieb Nawalny einer der hartnäckigsten und durchaus erfolgreichen Gegner des Kreml. Obwohl seine Mitstreiter 2019 nicht als Kandidaten bei den Wahlen zum Moskauer Stadtparlament zugelassen worden, trug von Nawalny propagiertes „Kluges Wählen“ zu einem deutlichen Mandatsverlust von Geeintes Russland bei.

Die Auseinandersetzung mit dem Staat wurde in der Folge härter. Im August 2020 verlor der Oppositionspolitiker bei einem Anschlag mit einem Stoff der Nowitschok-Gruppe in Sibirien fast das Leben. Er konnte jedoch nach Deutschland in Sicherheit werden, wo er erfolgreich in der Berliner Klinik Charite behandelt wurde. Im selben Jahr erhielt er auch den Sacharow-Preis des Europaparlaments für geistige Freiheit, den seine Tochter Dascha entgegennahm.

Alexej Nawalny wird auf einer Transportliege in das Berliner Krankenhaus Charite gebracht
APA/AFP/Odd Andersen
In der Berliner Charite wurde Nawalnys Leben nach dem Giftanschlag gerettet

Obwohl die Rechercheplattform Bellingcat wenige Monate später in einer bestechenden Recherche nachweisen konnte, dass ausgerechnet der russische Inlandsgeheimdienst FSB hinter dem Anschlag auf Nawalny steckte, ließ sich der Oppositionspolitiker nicht von einer Rückkehr nach Russland abbringen. Als er am 17. Jänner 2021 nach Moskau zurückflog, wurde er sofort verhaftet. In einer Reihe von politisch motivierten Strafverfahren wurde er zu immer höheren Haftstrafen verurteilt. Es zeichnete sich dabei zunehmend ab, dass er erst nach einem Machtwechsel in Kreml entlassen werden würde.

Hinweis

In memoriam Alexej Nawalny ist die Doku „Nawalny“ des kanadischen Regisseurs Daniel Rohe ab sofort auf ORF ON und in den TVthek-Apps zu sehen.

Straflager in der Arktisregion

Hatte man Nawalny zunächst Wirtschaftsverbrechen vorgeworfen, waren es zuletzt die Gründung einer extremistischen Organisation sowie weitere extremistische Delikte im Zusammenhang mit dem 2021 verbotenen „Fonds zur Bekämpfung der Korruption“, die im August 2023 19 Jahre Haft unter erschwerten Bedingungen einbrachten.

Nachdem er bereits in einem Gefängnis in der Region Wladimir drangsaliert worden war, war er zuletzt in den hohen Norden überstellt worden. Dort waren die Bedingungen noch härter, Nawalnys Team sorgte sich über Monate um seinen Gesundheitszustand.

Engagement aus der Zelle heraus

Immer wieder hatte Nawalny auch fehlende medizinische Hilfe, Schikane und sogar Folter im Straflager beklagt. Dennoch prangerte er seit Beginn von Putins Überfall auf die Ukraine als scharfer Gegner der Invasion immer wieder russische Kriegsverbrechen an.

In einem auf Instagram veröffentlichten Beitrag zum zweiten Jahrestag seiner Inhaftierung schrieb Nawalny, dass ihm in der Einzelhaft ein psychisch kranker Mann in eine Zelle gegenübergesetzt worden sei. „Er schreit 14 Stunden am Tag und drei in der Nacht“, teilte Nawalny mit. „Bekanntlich ist Schlafentzug eine der wirksamsten Foltern.“

Bis zuletzt zeigte sich der abgemagerte und sichtlich geschwächte Politiker aber etwa bei Auftritten bei Gerichtsverhandlungen entschlossen in seinem Ziel, ein „Russland ohne Putin“ erreichen zu können. Führende Köpfe von Nawalnys Team sind schon lange ins Ausland geflohen. Aus dem Exil heraus setzten sie den Kampf gegen die aus ihrer Sicht durch und durch kriminellen und mafiösen Machtstrukturen fort. Nun muss sein Team ohne seine Galionsfigur auskommen.