„Heldenplatz“: Castorfs epischer Bernhard

Mehr als 35 Jahre nach der Uraufführung von Thomas Bernhards „Heldenplatz“, einst Auftragsstück vom einstigen Burg-Chef Claus Peymann für das „Bedenkjahr 1988“, hat das Burgtheater den deutschen Regisseur Frank Castorf um seine Lesart des Bernhardschen Aufregerstücks gebeten. Der mehr als fünfstündige Premierenabend gestern hatte etwas von einem Staatsakt: So viel Politik und Spitze der Gesellschaft war wahrscheinlich selten bei einer Burg-Premiere zugegen.

Universalisierung des Originals

Der einstige Volksbühnen-Chef Castorf universalisierte in gewisser Weise Bernhards Österreich-Kritik und führte eine Welt vor, die – weil sie sich nun einmal auch von der schrecklichen Vergangenheit ein Idealbild zimmere – für den Totalitarismus von morgen erneut anfällig sei. So hingen auf der Bühne von Aleksandar Denic Plakate aus dem New York des Jahres 1939, in dem Amerika die „True Americans“ suchte. Das „America first“ der Gegenwart lugte deutlich erkennbar ums Eck.

Bühnenbild vom neuen Heldenplatz-Stück
Matthias Horn
Robert Schusters Abrechnung trägt Birgit Minichmayr eingefascht vor

Alle Erwartungen an Werktreue wurden von Anfang an durchbrochen. Nicht nur epische Länge, einen Hauch von epischem Theater in Slapstickmanier konnte erkennen, wer dazu geneigt war. Bernhards Abrechnungslosungen präsentierte das Schauspielteam um Birgit Minichmayr gern in Karikaturform. Niemand hatte zugeordnete Rollen, eher sprang der Text auf die Schauspielerinnen und Schauspieler in Bedarfsform auf. Der Rest der Texte war eine große hinzugefügte Collage mit teils starken Monologen.

Familie Schuster durchreist ihr Schicksal

Castorf interessierte der Content von Bernhard. Und so ließ er die Angehörigen der jüdischen Professorenfamilie Schuster samt Personal das bei Bernhard angeklagte Familienschicksal durchreisen. Das schuf im ersten Teil des Abends starke Momente, war aber wie so oft bei Castorf eigentlich ein assoziativer Theaterbühnenroman samt Video-Coverage, in dem für die Bernhard-Kenner auch mal die Goldberg-Variationen reinplätscherten.

Castorf wollte offenkundig aufzeigen, was jüdische Exilerfahrung und Identitätsbildung in verschiedenen Schichten des 20. Jahrhunderts bedeutet, ein markanter Kontrast zu Bernhard, dessen Positionierung jüdischer Charaktere in seinen Stücken mehr auf der Ebene der Behauptung und als Gegenpool zu den ‚Nazis im Land‘ stand. Die Hereinnahme von jiddischen Klageliedern, die Minichmayr an verschiedenen Stellen des Abends singt, ist einer der markantesten Verfremdungseffekte zum Original.

Peymann, der an diesem Abend auch zugegen war, durfte nach der erschöpfenden Premiere jedenfalls mit dem Gefühl nach Hause gehen, zu seiner Zeit gemeinsam mit Bernhard ein Theater geschaffen zu haben, mit dem man das gesamte Land unter Strom setzte. Jetzt, so wirkt es, treibt das Theater in der Gesellschaft bestenfalls den Duracell-Hasen an.

Mehr zur Vorgeschichte von „Heldenplatz“ in topos.ORF.at