Anhörung im Internationalen Gerichtshof in Den Haag
Reuters/Piroschka Van De Wouw
Anhörung gestartet

IGH tagt zu Israels Annexionen 1967

Am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat am Montag eine mehrtägige Anhörung zur Rechtsmäßigkeit von fast 60 Jahren israelischer Besatzung der Palästinensergebiete begonnen. Der Außenminister der Palästinensischen Autonomiebehörde, Riad al-Maliki, sprach von einer „zynischen Pervertierung“ internationalen Rechts.

Die UNO-Generalversammlung hatte 2022 ein Rechtsgutachten des Gerichtshofs beantragt. Er soll prüfen, inwieweit die 57 Jahre dauernde Besatzung legal ist und welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben. An der Anhörung beteiligen sich 52 Staaten und drei internationale Organisationen. Israel nimmt nicht daran teil, kann aber eine schriftliche Stellungnahme abgeben.

Das Gutachten ist zwar nicht bindend, kann aber auch den internationalen Druck auf Israel im aktuellen Gaza-Krieg weiter erhöhen. Es wird erwartet, dass sich das Gericht mehrere Monate Zeit nehmen wird, bevor es ein Gutachten vorlegt.

Anhörung im Internationalen Gerichtshof in Den Haag
Reuters/Piroschka Van De Wouw
52 Staaten und drei internationale Organisationen beteiligen sich am Verfahren in Den Haag

Bei der Anhörung geht es nicht um den aktuellen Krieg im Gazastreifen, sondern um die Besatzung beziehungsweise Kontrolle Israels über das Westjordanland, den Gazastreifen und Ostjerusalem. Nach Auffassung der Rechtsvertretung der Palästinenser verstößt Israel seit 1967 gegen internationales Recht, indem es große Gebiete annektierte und den Palästinenserinnen und Palästinensern das Selbstbestimmungsrecht nicht zugesteht.

Minister: „Kraft des Rechts muss siegen“

Seit Jahrzehnten verstoße Israel bewusst gegen internationales Recht, sagte Maliki am Montag vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen in Den Haag. „Die Kraft des Rechts muss siegen.“ Auf den aktuellen Krieg, ausgelöst vom Überfall der islamistischen Hamas und verbündeter Gruppen auf Israel am 7. Oktober, nahm Maliki ebenfalls Bezug. „Ich stehe vor Ihnen, während 2,3 Millionen Palästinenser im Gazastreifen, die Hälfte von ihnen Kinder, belagert und bombardiert, getötet und verstümmelt, ausgehungert und vertrieben werden“, sagte er.

Die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland und in Ostjerusalem sei „der Kolonisierung ihres Territoriums und der rassistischen Gewalt ausgesetzt, die das ermöglicht“, sagte Maliki. Die Besatzung sei „eine vorsätzliche, zynische Pervertierung des internationalen Rechts“.

Cupal zu Israels Rafah-Ultimatum

ORF-Korrespondent Tim Cupal spricht über die Drohung Israels, die geplante Offensive auf Rafah zu Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan zu starten, sollten die Geiseln bis dahin nicht freigelassen werden.

Unter Berufung auf das in der UNO-Charta verankerte Recht auf Selbstbestimmung sagte Maliki, dass „dem palästinensischen Volk dieses Recht seit Jahrzehnten verweigert wird und es sowohl Kolonialismus als auch Apartheid erdulden muss“. Das Gericht solle erklären, „dass die israelische Besatzung illegal ist und sofort, vollständig und bedingungslos beendet werden muss“, appellierte er.

Gebiete in Sechstagekrieg erobert

Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ostjerusalem im Sechstagekrieg erobert. Dort leben heute inmitten von drei Millionen Palästinenserinnen und Palästinensern über 600.000 israelische Siedlerinnen und Siedler. Israel begründet den Siedlungsbau teilweise mit seinen Sicherheitsinteressen, ebenso wie die militärische Kontrolle des Gebiets. In diese Richtung werde wohl auch Israels Argumentation vor dem IGH gehen, so der Rechtsexperten Juval Schani gegenüber der Nachrichtenagentur AP.

Die Palästinenserinnen und Palästinenser beanspruchen die Gebiete für einen unabhängigen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt. Die Vereinten Nationen hatten Palästina 2012 den Status als Beobachterstaat eingeräumt. Von 193 UNO-Mitgliedsstaaten haben bisher 139 Palästina als unabhängigen Staat anerkannt.

Der IGH war Ende 2022 von einer Mehrheit in der UNO-Vollversammlung mit der Prüfung beauftragt worden. 87 Länder stimmten damals dafür, 53 enthielten sich, 26 stimmten dagegen, darunter die USA, Deutschland und Österreich.

Kein Bezug zu Völkermordverfahren

Die Anhörung ist losgelöst vom Völkermordverfahren, das Südafrika gegen Israel wegen des Gaza-Krieges angestrengt hat. In diesem Verfahren hatten die höchsten Richter Ende Jänner in einem Zwischenentscheid Israel aufgetragen, alles zu tun, um Tod, Zerstörung und Völkermord im Gazastreifen zu verhindern. Israel wies die Vorhaltungen Südafrikas zurück.

Algerischer Vorstoß im Weltsicherheitsrat

Der Krieg im Gazastreifen steht nach wie vor auf der Agenda beim Weltsicherheitsrat. Das höchste UNO-Gremium will trotz des Widerstandes der US-Regierung bisher an einem am Dienstag anstehenden Abstimmungstermin zu einer Resolution zum Gaza-Krieg festhalten. Die von Algerien eingebrachte Beschlussvorlage sieht unter anderem eine Forderung nach einer Waffenruhe vor.

US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield hatte allerdings bereits erklärt, dass die Vereinigten Staaten im Sicherheitsrat erneut von ihrem Vetorecht Gebrauch machen würden, sollte es zu einer Abstimmung kommen. Die USA versuchen, eine Abstimmung zu verhindern – eigenen Angaben zufolge, um wichtige Verhandlungen zwischen Israel und der islamistischen Terrororganisation Hamas nicht zu gefährden. Beobachtern zufolge geht es Washington aber auch darum, bei der zunehmend kritisierten Kriegsführung Israels nicht als Wegbereiter gesehen zu werden.

Israel: Rafah-Offensive im Ramadan möglich

Der israelische Minister Benni Ganz drohte indes mit dem Start der geplanten Offensive auf Rafah in Südgaza zu Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan. „Die Welt muss wissen, und die Hamas-Führung muss wissen: Wenn die Geiseln bis zum Ramadan nicht zu Hause sind, werden die Kämpfe überall weitergehen, auch in der Region Rafah“, sagte der ehemalige Armeechef, der dem Kriegskabinett von Regierungschef Benjamin Netanjahu angehört. Der islamische Fastenmonat Ramadan beginnt um den 10. März.

Israel: Neue Drohung in Ringen um Geiseln

Der israelische Minister Benni Ganz hat mit dem Start der geplanten Offensive auf Rafah zu Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan gedroht.

In Rafah an der Grenze zu Ägypten haben rund 1,4 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser Zuflucht vor den Kämpfen gesucht. Etliche Länder, darunter auch Israels engster Verbündeter, die USA, fordern einen Verzicht auf die Offensive. Der ägyptische Außenminister Sameh Schukri sagte der „Welt“, sein Land sehe die mögliche Militäraktion mit großer Sorge. „Wir haben sehr deutlich gemacht, dass das nicht geschehen darf“, so Schukri weiter.

Ganz betonte, eine israelische Offensive in Rafah werde koordiniert und in Absprache mit den USA und Ägyptern durchgeführt, um eine Evakuierung zu ermöglichen und „die zivilen Opfer so gering wie möglich zu halten“. Wohin sich die Menschen in Sicherheit bringen sollen, blieb jedoch unklar.

Nach jüngsten Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörden wurden im Gaza-Krieg bisher über 29.000 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet. Beim Hamas-Überfall auf Israel wurden über 1.140 Menschen ermordet.