Frau mit ukrainischer Flagge auf der Wange
APA/AFP/Valentine Chapuis
Europäer zu Ukraine

Optimismus schwindet, Rückhalt bleibt

Eine neue Untersuchung des European Council on Foreign Relations (ECFR) zeigt, dass sich in puncto Ukraine-Krieg in Europa Realismus breitmacht. Wie der Krieg enden soll, darüber sind die Meinungen gespalten. Doch ist die Unterstützung für Kiew ungebrochen, auch wenn ein unberechenbarer Faktor dräut: Über die Folgen einer Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus macht man sich keine Illusionen.

Demnächst geht der Krieg in der Ukraine in sein drittes Jahr, die Zeit seit Russlands Überfall hat die geopolitische Landschaft Europas nachhaltig verändert. Wie die Europäerinnen und Europäer die Lage nach zwei Jahren des Krieges und vor EU- und US-Wahlen derzeit sehen, untersuchte die renommierte Denkfabrik ECFR im Jänner 2024 in zwölf europäischen Ländern unter mehr als 17.000 Personen. Der resultierende Bericht „Kriege und Wahlen: Wie europäische Anführer die öffentliche Unterstützung für die Ukraine beibehalten können“ zeichnet ein gemischtes Bild.

Während derzeit nur zehn Prozent der Europäerinnen und Europäer glauben, dass die Ukraine im Krieg gegen Russland siegen wird, gibt es in der Mehrheit breite Unterstützung dafür, das Niveau der europäischen Hilfen beizubehalten oder zu erhöhen, selbst wenn es in der US-Politik grobe Richtungsänderungen gäbe.

Kompromiss in Europas Augen am wahrscheinlichsten

Das schwindende Vertrauen in die ukrainischen Kriegsanstrengungen ist in ganz Europa sichtbar, und selbst in den optimistischsten der befragten Mitgliedsstaaten (Polen, Schweden und Portugal) glaubt weniger als jeder Fünfte (17 Prozent) daran, dass Kiew siegen kann. In allen Ländern ist die vorherrschende Meinung (durchschnittlich 37 Prozent), dass es zu einer Kompromisslösung zwischen der Ukraine und Russland kommen wird müssen. Etwa 20 Prozent denken, es werde einen russischen Sieg geben.

Die Unterstützung für die Ukraine ist in Europa aber weiterhin breit, obwohl es einige Länder gibt, in denen die meisten es vorziehen würden, Kiew zur Annahme einer Einigung zu drängen: Nur in drei Ländern (Schweden, Portugal und Polen) gibt es eine Präferenz für die Unterstützung der Ukraine bei der Rückeroberung ihres Territoriums (50 Prozent, 48 und 47 Prozent).

In fünf weiteren Ländern (Österreich mit 49 Prozent, Ungarn mit 64 Prozent, Griechenland mit 59 Prozent, Italien mit 52 Prozent und Rumänien mit 50 Prozent) ist die Mehrheit dafür, zu einer Einigung zu kommen. Andernorts ist die Öffentlichkeit gespalten, unter anderem in Frankreich und Deutschland, wo es für beide Lösungen relativ große Unterstützergruppen gibt.

Verantwortung für Schicksal der Ukraine

In den Augen vieler ist der Ukraine-Krieg existenziell für Europa, weit mehr als der Konflikt zwischen Israel und der Hamas. Beim Ukraine-Krieg fühlen die Menschen laut der Umfrage auch die Verantwortung Europas.

Für beide aber gilt derselbe Unsicherheitsfaktor: Trump könnte die US-Wahlen gewinnen, und das hätte wohl große Auswirkungen auf die Kriege. 56 Prozent der befragten Europäerinnen und Europäer wären „enttäuscht“, sollte Trump ins Weiße Haus zurückkehren, so die Erhebung – mit einer Ausnahme: Ungarn. Hier gaben 27 Prozent an, dass sie mit diesem Ergebnis „zufrieden“ wären, nur 31 Prozent sagten, sie wären „enttäuscht“. Ungarns Trump-Fans zählten wenig überraschend zu den Anhängern der Regierungspartei FIDESZ. In anderen Ländern mit starken Rechtsparteien gab es weniger Menschen, die erfreut wären über eine zweite Amtszeit Trumps.

Bei US-Ausfall: Europäische Kompensation

Denn quer durch Europa dominiert die Sorge, Trump werde einen negativen Einfluss auf das Kriegsglück der Ukraine haben: 43 Prozent meinten im Schnitt, dass ein Präsident Trump einen ukrainischen Sieg weniger wahrscheinlich machen würde. Nur neun Prozent waren anderer Ansicht.

Sollte Trump die Wahlen gewinnen und erneut Präsident werden, könnte die finanzielle und militärische Unterstützung der USA bald zurückgefahren werden. In diesem Fall wären 41 Prozent der Befragten dafür, Europas Hilfen beizubehalten (21 Prozent) oder noch auszuweiten (weitere 20 Prozent). Rund ein Drittel würde lieber dem US-Beispiel folgen und die Unterstützung limitieren.

Politik soll ihren „Frieden“ definieren

Die Autoren der Studie, Ivan Krastev und Mark Leonard, stellten einige Trends im Zuge der Erhebung fest: So werde Russlands Krieg gegen die Ukraine in erster Linie als europäischer Krieg angesehen, für den die Europäer auch verantwortlich seien. Zweitens gebe es Pessimismus, was den Ausgang des Krieges angeht, zumal das Zusammengehörigkeitsgefühl in einzelnen Ländern zu schwinden beginne. Schließlich gebe es die Erkenntnis, so Krastev und Leonard, dass der Trump-Effekt auf die Weltpolitik bereits eingesetzt habe, während dieser noch in den Startlöchern scharre.

Diese Situation werde die Suche nach einer europäischen Definition von Frieden in der Ukraine nötig machen. „Und um weiterhin überzeugende Argumente für die Unterstützung der Ukraine vorzubringen, müssen die Staats- und Regierungschefs der EU ihren Tenor ändern, um einer skeptischen Öffentlichkeit nicht als unrealistisch zu erscheinen“, heißt es im Bericht. Die Herausforderung bestehe darin zu definieren, was es in der Praxis bedeutet, für „Frieden“ zu sein. Die europäischen Staats- und Regierungschefs könnten damit beginnen, zwischen einem „nachhaltigen Frieden“ und einem „Frieden nach russischen Maßstäben“ zu unterscheiden.

„Um für eine fortgesetzte europäische Unterstützung der Ukraine zu plädieren, müssen die EU-Staats- und Regierungschefs ihre Art, über den Krieg zu sprechen, ändern", so Leonard. Die Umfrage zeige, dass die meisten Europäer einen Sieg Russlands verhindern wollen. "Sie glauben aber nicht, dass die Ukraine ihr gesamtes Territorium zurückgewinnen kann. Das überzeugendste Argument für eine skeptische Öffentlichkeit ist, dass die militärische Unterstützung der Ukraine eher zu einem dauerhaften, ausgehandelten Frieden zugunsten Kiews als zu einem Sieg Putins führen könnte.“

Krastev: Niederlage für Kiew wäre Niederlage für Europa

Kreml-Chef Wladimir Putin und Trump würden versuchen, die Ukraine und ihre Unterstützer als Partei des „ewigen Krieges“ darzustellen, während sie den Mantel des „Friedens“ für sich beanspruchten, heißt es weiter. Für Kiew und seine europäischen Unterstützer sei es von entscheidender Bedeutung, alles zu tun, um diese Verzerrung zu verhindern.

Ein russischer Sieg sei kein Frieden, so Krastev. „Wenn der Preis für die Beendigung des Krieges die Ukraine in ein Niemandsland verwandelt, wäre das nicht nur eine Niederlage für Kiew, sondern auch für Europa und seine Sicherheit“.