Straßenkünstlerin malt Assange-Portrait
IMAGO/Antonio Balasco
Auslieferung möglich

Entscheidende Anhörung für Assange

Der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, steht möglicherweise vor dem Ende eines langen Kampfes, der seine Auslieferung in die USA bisher verhindert hat. Am Dienstag hat in London eine entscheidende Gerichtsanhörung begonnen, bei der es um die Frage geht, ob Großbritannien Assange ausliefern soll. In diesem Fall müsste sich der 52-Jährige einer Spionageklage in den USA stellen.

Der Londoner High Court will die frühere Entscheidung eines Richters von Juni überprüfen. Dieser hatte es Assange verweigert, gegen seine Auslieferung in Berufung zu gehen. Nun soll endgültig entschieden werden, ob in Großbritannien alle Rechtsmittel für den WikiLeaks-Gründer gegen seine Auslieferung ausgeschöpft sind – oder ob er weiter vor britischen Gerichten dagegen vorgehen darf. Sollte der Einspruch in London abgelehnt werden, würde das Auslieferungsverfahren gegen Assange beginnen.

Assange nahm am Dienstag nicht persönlich an dem Termin teil. Nach Angaben seines Anwalts Edward Fitzgerald fühlte er sich unwohl. Fitzgerald betonte, sein Mandant werde wegen „einer gewöhnlichen journalistischen Praxis“ strafrechtlich verfolgt. Vor dem Gerichtsgebäude Royal Courts of Justice forderten Hunderte Menschen mit Sprechchören und Bannern die Freilassung Assanges. Am Nachmittag findet auch in Wien ein Demonstrationszug unter dem Motto „Freilassung von Julian Assange und die Wahrung der Presse- und Meinungsfreiheit“ statt.

Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude
APA/AFP/Justin Tallis
„Freiheit für Julian Assange“ wird vor dem Royal Courts of Justice gefordert

Ehefrau vor Gerichtsgebäude

Assanges Ehefrau Stella wandte sich von einer Bühne an die Demonstrierenden: „Vor uns liegen zwei wichtige Tage. Wir wissen nicht, was wir zu erwarten haben, aber Ihr seid hier, weil die Welt zuschaut.“ Wann genau eine Entscheidung über den Berufungsantrag fallen soll, stand zunächst nicht fest. Stella Assange befürchtet jedoch, dass der 52-Jährige innerhalb von Tagen in ein Flugzeug in Richtung USA gesetzt werden könnte.

Assanges Unterstützerinnen und Unterstützer haben für diesen Fall angekündigt, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu ziehen, um die Auslieferung aussetzen zu lassen. Großbritannien unterliegt der Rechtsprechung des EGMR. Allerdings ordnet der Gerichtshof nur in Ausnahmefällen solche Aussetzungen an. In den USA droht Assange eine jahrzehntelange Haftstrafe.

Julian Assange in 2017
AP/Frank Augstein
Zu Beginn seines Exils vor rund sieben Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London gab sich Assange noch siegessicher

Zudem ist fraglich, ob die britische Regierung eine entsprechende Entscheidung des EGMR akzeptieren würde. London befindet sich derzeit in einem Disput mit dem Gerichtshof, nachdem dieser die von der Regierung beschlossene Abschiebung von Asylwerberinnen und Asylwerbern ins afrikanische Ruanda blockiert hatte.

„Wenn er ausgeliefert wird, wird er sterben“

Eine Auslieferung ihres Mannes wäre mit verheerenden Folgen verbunden, warnte Stella Assange: „Wenn er ausgeliefert wird, wird er sterben.“ Das Paar heiratete im Gefängnis. Seither kamen die beiden Söhne Gabriel und Max auf die Welt. Julian Assange gehe es gesundheitlich nach sieben Jahren im selbst gewählten Exil und fünf Jahren Gefängnis sehr schlecht, sagte seine Frau. Mit jedem Tag im Gefängnis sei sein Leben bedroht. Er sei im Gefängnis vorzeitig gealtert. Im Oktober 2021 erlitt Assange einen Schlaganfall, im Dezember brach er sich beim Husten eine Rippe.

Dass Assange überhaupt in einem Gefängnis für Terroristen und Schwerverbrecher festgehalten werde, sei ein „Skandal“, kritisierte der österreichische Menschenrechtsexperte Manfred Nowak am Dienstag im Ö1-Mittagsjournal. Denn eigentlich handle es sich nur um eine „Auslieferungshaft“. Im Falle einer Auslieferung in die USA würden den WikiLeaks-Gründer noch schwierigere Haftbedingungen – und vor allem wieder Einzelhaft – erwarten. „Das zermürbt die Menschen“, sagte Nowak.

Die USA würden versuchen, Whistleblower wie Assange und Edward Snowden „möglichst hart anzupacken“. Dass europäische Staaten wie Großbritannien und Schweden auf Druck der USA „mitgespielt hätten“, finde er „wirklich bedenklich“. Sollte sich Assange an den EGMR wenden, rechnet Nowak damit, dass dieser eine einstweilige Verfügung erlassen werde.

Weltbekannte Leaks

Assange wird beschuldigt, ab 2010 rund 700.000 vertrauliche Dokumente über militärische und diplomatische Aktivitäten der USA vor allem im Irak und in Afghanistan veröffentlicht zu haben. Hilfe beim Hacken eines Pentagon-Computers soll er von der Geheimdienstanalystin der US-Armee, Chelsea Manning, erhalten haben. Manning saß rund vier Jahre der gegen sie verhängten Freiheitsstrafe von 35 Jahren ab, bis sie vorzeitig von Ex-Präsident Barack Obama begnadigt wurde.

Chelsea Manning hält Vortrag
IMAGO/ZUMA Wire/Miguel Reis
Insiderin Chelsea Manning half Assange bei den Leaks

Unter den von WikiLeaks veröffentlichten Dateien befand sich das Video eines Hubschrauberangriffs der amerikanischen Streitkräfte in Bagdad im Jahr 2007, bei dem elf Menschen – darunter zwei Reuters-Journalisten – getötet wurden. Außerdem leakte Assange Details aus dem US-Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba, Hunderttausende Pager-Nachrichten im Rahmen der Terroranschläge vom 11. September und Tausende E-Mails aus dem Kreis der US-Demokraten im Wahlkampf der damaligen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton im Jahr 2016.

Versteck in ecuadorianischer Botschaft

Assange hatte sich anschließend sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London versteckt, wo er politisches Asyl erhalten hatte. Grund dafür war ein britisches Gerichtsurteil, das ihn aufgrund von Ermittlungen in einem Vergewaltigungsfall an Schweden hätte ausliefern sollen. Nachdem die ecuadorianische Regierung ihm 2019 den Asylstatus entzogen hatte, da er eine Kaution in der Botschaft nicht bezahlt haben soll, wurde er von der britischen Polizei verhaftet.

Seither wird Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten Londons festgehalten, obwohl Schweden die Ermittlungen eingestellt hat. Ein Richter in London blockierte zunächst Assanges Überstellung in die USA mit der Begründung, dass er wahrscheinlich Suizid begehen würde, wenn er ausgeliefert würde.

Unterstützer: Als Journalist gehandelt

Nachdem die US-Behörden zugesichert hatten, dass Assange nicht so streng behandelt werden würde, dass seine körperliche und geistige Gesundheit gefährdet wären, machten die Gerichte den Weg für die Auslieferung frei. Seine Frau und weitere Unterstützerinnen und Unterstützer der „#FreeAssange“-Bewegung kritisierten diese Zusicherungen als bedeutungslos. Die britische Regierung stimmte der Auslieferung im Juni 2022 zu, doch Assange legte Einspruch ein.

Assange und seine Unterstützerinnen und Unterstützer argumentieren, er habe als Journalist gehandelt, um Fehlverhalten des US-Militärs aufzudecken und sei durch die Pressefreiheit geschützt, die durch den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung garantiert werde. „Über ein Verbrechen zu berichten ist niemals ein Verbrechen“, wird Stella Assange zitiert. Die USA behaupten hingegen, die Veröffentlichungen von WikiLeaks würden eine „ernste und unmittelbare Gefahr“ für die US-Geheimdienstquellen in Afghanistan und im Irak darstellen.