Als Grund seien „chemische Untersuchungen“ genannt worden, die am Toten vorgenommen werden sollen. Nawalnys Team wirft den Behörden eine Verzögerungstaktik vor. Die Behörden warteten ab, bis keine Spuren des Nervengifts Nowitschok mehr nachzuweisen seien, sagte auch die Witwe Nawalnys, Julia Nawalnaja, in einer am Montag auf YouTube veröffentlichten emotionalen Videobotschaft.
Der russische Präsident Wladimir Putin, der sich in einem Monat wiederwählen lassen will, äußerte sich bisher nicht zum Tod seines schärfsten Gegners. Die Untersuchung der Umstände des Todes Nawalnys im Straflager läuft laut Kreml-Angaben noch immer. Was mit der Leiche passieren wird, liege nicht in der Kompetenz des Kreml, behauptete Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die Kompetenzen des Kreml gelten allerdings als unbeschränkt.
„Zu Tode gequält und gefoltert“
Nawalnaja sagte in ihrer Videobotschaft Putin den Kampf an. „Ich werde die Sache von Alexej Nawalny fortsetzen. Wir kämpfen um unser Land. Ich rufe euch auf, an meiner Seite zu stehen“, sagte Nawalnaja.
„Vor drei Tagen hat Wladimir Putin meinen Mann Alexej Nawalny getötet“, sagte sie weiter. Unter Tränen warf die zweifache Mutter Putin vor, nicht nur ihren Mann getötet zu haben. Putin habe auch versucht, Russland die Hoffnung auf Freiheit und Gerechtigkeit zu nehmen. In dem Video sind viele private Bilder und auch Aufnahmen von Nawalnys öffentlichen Auftritten zu sehen.
Ihr Mann sei im Straflager zu Tode gequält und gefoltert worden, indem er auch immer wieder in Einzelhaft in einem kleinen Betonkasten eingesperrt worden sei. Der Name desjenigen, der den Mord im Auftrag Putins ausgeführt habe, werde in Kürze veröffentlicht, sagte sie.
Nawalnaja: „Ich habe keine Angst“
Putin habe ihr den liebsten und wertvollsten Menschen genommen, die Hälfte ihrer Seele und ihres Herzens, sagte Nawalnaja weiter. Mit der anderen Hälfte wolle sie wie ihr Mann gegen Ungerechtigkeit und Korruption und für ein freies Russland kämpfen. Die Menschen in Russland wollten anders leben, auch wenn dafür derzeit wenig Hoffnung bestehe.
„Ich möchte in einem freien Russland leben, ich möchte ein freies Russland aufbauen“, sagte sie weiter. „Ich fordere Sie auf, sich an meine Seite zu stellen. Ich bitte Sie, meine Wut mit mir zu teilen. Wut, Zorn, Hass gegen die, die es wagten, unsere Zukunft zu töten“, so Nawalnaja. „Ich habe keine Angst“, sagte sie mit Blick auch auf eine Aussage Nawalnys, der die Menschen in Russland immer wieder zum Widerstand gegen Putin aufgerufen hatte. Unklar war aber, ob sie nach Russland zurückkehren wird.
Bei EU-Außenministertreffen dabei
Nawalnaja nahm am Montag auch am EU-Außenministertreffen in Brüssel teil. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell erklärte nach dem Treffen mit Nawalnaja auf X, Putin und sein „Regime“ würden für den Tod Nawalnys zur Rechenschaft gezogen werden. Zuvor hatte er bereits in Brüssel angekündigt, die europäischen Sanktionen wegen Menschenrechtsverstößen nach Nawalny zu benennen. Die EU arbeitet derzeit an ihrem 13. Sanktionspaket seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine vor fast zwei Jahren.
Die EU veröffentlichte auch eine Erklärung. „Die Europäische Union ist schockiert über den Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, für den letztlich Präsident Putin und die russischen Behörden die Verantwortung tragen“, heißt es in der durch Borrell Montagnachmittag veröffentlichten Erklärung. Die EU werde keine Anstrengungen scheuen, um Russlands politische Führung und die russischen Behörden zur Rechenschaft zu ziehen – auch durch Sanktionen.
EU-Sanktionsinstrument soll nach Nawalny benannt werden
Zudem gab Borrell bekannt, dass das EU-Sanktionsinstrument zur Bestrafung von schweren Menschenrechtsverstößen nach Nawalny benannt werden soll. Die Umbenennung werde ein Weg sein, das Andenken an Nawalny aufrechtzuerhalten.
Das Sanktionsregime solle künftig weltweite Nawalny-Sanktionsregelung im Bereich der Menschenrechte heißen. Das Instrument wurde erstmals 2021 verwendet, um russische Staatsfunktionäre für die Inhaftierung Nawalnys zu bestrafen – mittlerweile wurde es auch gegen Menschen aus mehreren anderen Ländern eingesetzt. Von Personen, die betroffen sind, müssen in der EU vorhandene Konten und andere Vermögenswerte eingefroren werden. Zudem dürfen die Personen nicht mehr in die EU einreisen und keine Geschäfte mehr mit EU-Bürgern machen.
Behörden zerstören Nawalny-Gedenkstätten
Nach Behördengaben war Nawalny am Freitag in dem Straflager mit dem inoffiziellen Namen „Polarwolf“ gestorben. Der körperlich geschwächte Nawalny sei nach vielen Tagen in immer wieder angeordneter Einzelhaft bei einem Hofgang in dem Lager nördlich des Polarkreises bei eisigen Temperaturen zusammengebrochen. Wiederbelebungsversuche waren nach Angaben des Strafvollzugs erfolglos.
Viele Menschen legten in den letzten Tagen an offiziellen Denkmälern für die Opfer politischer Gewalt Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Behörden versuchten weiter, die spontanen Gedenkstätten zu zerstören, Blumen wurden in Müllsäcke gestopft und abtransportiert. Nach dem Tod des Kreml-Gegners verhängten russische Gerichte in Eilverfahren bis Montagfrüh Hunderte Strafen gegen die an spontanem Gedenken teilnehmenden Trauernden.
Russische Partei beantragt Trauermarsch
Die russische Partei Bürgerinitiative beantragte indessen nach eigenen Angaben bei der Moskauer Stadtverwaltung einen Gedenkmarsch für die toten Oppositionspolitiker Nawalny und Boris Nemzow. Der Marsch sei für den 2. März im Zentrum Moskaus mit bis zu 50.000 Teilnehmern geplant. Eine Genehmigung durch die russischen Behörden ist unwahrscheinlich. Die Partei ist nicht im Parlament vertreten und gilt als gemäßigt oppositionell.
Biden lässt weitere Sanktionen prüfen
US-Präsident Joe Biden prüft indes die mögliche Verhängung neuer Sanktionen gegen Russland. „Wir erwägen zusätzliche Sanktionen“ gegen Russland, sagte Biden am Montag in Washington im Gespräch mit Journalisten. Er hatte in den vergangenen Tagen Putin eine direkte Verantwortung für den Tod Nawalnys zugewiesen.