Brennendes Fahrzeug an einer Straße bei Awdijiwka
Reuters/RFE/RL/Serhi Nuzhnenko
Nach Awdijiwka-Abzug

Russen sollen Kriegsgefangene getötet haben

Monatelang ist um die ukrainische Kleinstadt Awdijiwka gekämpft worden. Vergangene Woche zog sich das ukrainische Militär zurück, um einer Einkesselung durch russische Soldaten zu entgehen. Für Russland ist die Einnahme der Stadt ein symbolischer Sieg. Nun werden aber Vorwürfe laut, wonach das russische Militär schwer verwundete ukrainische Soldaten erschossen haben soll.

Die abgezogene 110. Brigade der ukrainischen Armee teilte am Montag mit, dass Russland zugesichert habe, die zurückgebliebenen Verwundeten medizinisch zu versorgen und sie später gegen russische Kriegsgefangene auszutauschen. Jedoch seien die Zurückgebliebenen mittlerweile als tot identifiziert worden. Am Dienstag rekonstruierten Medien mit Verweis auf Augenzeugenberichte sowie Videos den Rückzug aus der Stadt und die mutmaßliche Ermordung der Verletzten.

Zuvor hatte die ukrainische Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass sie wegen der Erschießung sechs ukrainischer Schwerverwundeter durch die russische Armee Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen und Mordes aufgenommen habe. In einem weiteren Fall bei der Ortschaft Wessele ebenfalls im Donezker Gebiet gebe es zudem ein Drohnenvideo, in dem die Erschießung zweier weiterer ukrainischer Soldaten nach ihrer Gefangennahme zu sehen sei.

Später Rückzug

Laut BBC war die Lage in Awdijiwka „chaotisch“. Wochenlang hätten die Soldaten der Stellung „Zenith“ einen „verzweifelten Kampf“ um Awdijiwka geführt. Nach einiger Zeit hätten sie ihre Befehlshaber wiederholt gebeten, sie wegen einer drohenden Einkesselung durch russische Soldaten von ihrer Stellung abzuziehen. Ihre Bitten wurden aber abgelehnt.

Erst am 13. Februar erhielten die „Zenith“-Soldaten den Befehl, sich eine andere Stellung in Awdijiwka zu suchen. Zu dem Zeitpunkt sei es aber schon zu spät gewesen, berichtete die BBC unter Berufung auf Soldaten, die die Kleinstadt verlassen konnten. Das russische Militär habe die Stellung bereits umzingelt gehabt. Wegen des heftigen Beschusses habe man die Verwundeten zurücklassen müssen. CNN zitierte den Befehl: „Lasst die Verwundeten zurück und verbrennt alles!“

Insgesamt seien sechs Personen in „Zenith“ zurückgeblieben, fünf von ihnen seien verwundet gewesen und hätten nicht mehr gehen können. Doch sie seien am Leben gewesen, berichteten die Soldaten. Die sechste Person soll freiwillig bei den Verletzten geblieben sein. Alle hätten gedacht, sie würden gefangen genommen und gemäß Völkerrecht medizinisch versorgt werden.

Die Leichen dieser Männer seien später mittels einer Videoaufnahme identifiziert worden. Ein russischer Militärblogger hatte nach Angaben von CNN das Video am Freitag veröffentlicht. Darauf zu sehen seien nicht nur die Leichen, sondern auch Embleme russischer Truppen, die zuvor die Stadt und die Stellung „Zenith“ angegriffen hätten. Moskau hat sich zu den Vorwürfen nicht geäußert.

„Erbitterte Kämpfe“

Am Dienstag forderte Russlands Präsident Wladimir Putin nach der Einnahme von Awdijiwka aber ein weiteres Vorrücken seiner Soldaten. In der seit Monaten umkämpften Stadt im Osten der Ukraine seien die ukrainischen Verteidiger zu einem chaotischen Rückzug gezwungen gewesen, sagte Putin. Diesen Erfolg auf dem Schlachtfeld sollte das russische Militär ausbauen. Nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu geht die russische Offensive weiter, die Truppen bewegten sich nach Westen.

Das ukrainische Militär hatte vergangene Woche von „erbitterten Kämpfen“ in der ostukrainischen Kleinstadt gesprochen. „Unsere Truppen nutzen alle verfügbaren Kräfte und Mittel, um den Feind zurückzudrängen“, hatte General Olexandr Tarnawskij gesagt. Am 13. Februar wurden erste Stellungen verlagert, am 15. Februar zog man sich zum Teil aus Awdijiwka zurück. Zwei Tage später kündigte die Spitze des Militärs an, die Stadt zu verlassen, um „das Leben der Soldaten zu schützen“.

Symbol des ukrainischen Widerstands

Die kleine Industriestadt Awdijiwka war für die Ukraine ein Symbol des Widerstands gegen die Angreifer. Awdijiwka liegt etwa zehn Kilometer von der Regionalhauptstadt Donezk entfernt und ist größtenteils zerstört. Die meisten der einst 34.000 Einwohner und Einwohnerinnen sind längst geflohen. Die Stadt hat auch deshalb große Bedeutung für die Ukraine, weil die von Moskau gesteuerten prorussischen Separatisten Awdijiwka bereits im Juli 2014 eingenommen, ukrainische Einheiten sie aber kurz darauf wieder unter ihre Kontrolle gebracht hatten.

Der bekannte ukrainische Militärblogger Jurij Butusow veröffentlichte mittlerweile die Namen der Toten: „Diese Verwundeten waren nicht in der Lage, sich selbstständig fortzubewegen, und es standen keine Evakuierungsfahrzeuge zur Verfügung, um sie zu transportieren.“ Wegen der Einkesselung hätten keine Fahrzeuge durchkommen können. Butusow schrieb, das russische Militär habe „die hilflosen unbewaffneten Verwundeten hingerichtet“.