Mann im Parlament sieht auf sein Handy
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Soziale Netzwerke

Demokratie im „luftleeren Raum“

Noch nie war es so einfach, das internationale Geschehen mitzuverfolgen, Nachrichten zu teilen und zu kommentieren: Soziale Netzwerke bieten zwar viele Möglichkeiten, bergen aber gleichzeitig auch jede Menge Gefahren. Zu diesem Schluss kamen am Montag renommierte Fachleute im Parlament. Die mangelnde Kontrolle und eine „Empörungsbewirtschaftung“ hinterließen liberale Demokratien im „luftleeren Raum“.

Der Titel der Veranstaltung kam ganz ohne Fragezeichen aus: „Soziale Medien als Gefahr für die Demokratie“. Zumindest ein Besucher zeigte sich überrascht. Man müsse auch die Chancen durch soziale Netzwerke betonen, sagte er. Medienökonom Matthias Karmasin entgegnete: Man habe zig Studien analysiert, um ein differenziertes Bild zu zeigen. Es gebe kein Schwarz-Weiß, doch die Forschung bestätige: In Autokratien könnten soziale Netzwerke zwar positive Effekte haben, auf liberale Demokratien wirken sie sich allerdings „verstärkt negativ“ aus.

Karmasin zählt zu einer Arbeitsgruppe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), die sich mit der Frage beschäftigt hat, ob soziale Netzwerke eine Gefahr für „unsere Demokratie“ sind. „Die kurze Antwort lautet: Ja, mit einer differenzierten Stellungnahme“, sagte der Medienwissenschaftler der Universität Klagenfurt: Die Geschäftslogik sozialer Netzwerke fördert Polarisierung, extreme Ränder profitieren davon, das Vertrauen in Politik, Wissenschaft und Medien schwindet.

Aufmerksamkeit sticht alles

Am Montag präsentierten Karmasin, Wirtschaftsinformatiker Stefan Strauß und Staatsrechtlerin Magdalena Pöschl die Ergebnisse ihrer Studie im Parlament. Eingeladen hatte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der zu Beginn die Wechselwirkung zwischen Politik und sozialen Netzwerken in den Vordergrund rückte. ÖAW-Präsident Heinz Faßmann hingegen betonte die Relevanz von empirischen Fakten. „Selbstverständlich teilen wir unsere Studie auch in unseren Social-Media-Accounts.“

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Matthias Karmasin
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„Die liberale Demokratie ist gefährdet“, sagte Matthias Karmasin von der Universität Klagenfurt
Stefan Strauß
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Stefan Strauß beschrieb die Funktionsweise sozialer Netzwerke
Magdalena Pöschl
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Auf die rechtlichen Fragen sozialer Netzwerke ging Magdalena Pöschl von der Uni Wien näher ein
Heinz Faßmann
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ÖAW-Präsident Heinz Faßmann plädierte für mehr empirische Fakten

Wer die Ausführungen der Forschenden verfolgt hat, wird aber zum Schluss kommen: In sozialen Netzwerken hat die Studie keine Chance. Sachlichkeit und Meinungsvielfalt würden, „wenn überhaupt, nur eine sekundäre Rolle spielen“, sagte Karmasin in seinem Vortrag. In sozialen Netzwerken zähle die „Empörungsbewirtschaftung“. Das Geschäft der Plattformen basiere auf Aufmerksamkeit, und extreme Positionen würden mehr davon erzeugen. Menschen, die eine andere Meinung vertreten, würden sich deshalb zurückziehen.

Das Versprechen, soziale Netzwerke würden Meinungsvielfalt und die Teilhabe an Diskursen fördern, sei nicht nur nicht eingelöst worden, „sondern hat sich paradoxerweise ins Gegenteil verkehrt“, sagte der Medienforscher. Informatiker Strauß ergänzte: Aufgrund mangelnder Standpunkte verstärken sich vorgefertigte Meinungen. „Es bilden sich Echokammern, in denen der Diskurs verzerrt wird und hauptsächlich extreme Positionen abgebildet werden.“

Blick in den Elise Richter Saal im Parlament
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Medienökonom Karmasin schildert das Geschäft sozialer Netzwerke

„Lügen und Hass verbreiten sich schneller“

Soziale Netzwerke sind aus dem Alltag kaum mehr wegzudenken. Viele Menschen informieren sich auf diversen Plattformen wie X (Twitter), Facebook, Instagram und TikTok über das Tagesgeschehen. Vieles, was kursiert, ist falsch bzw. verzerrt. „In klassischen Medien existieren Kontrollen, es gibt rechtliche und ethische Grenzen sowie Diskursnormen, die sich etabliert haben“, sagte Strauß. In sozialen Netzwerken gebe es davon nichts. Es fehle an Klarheit, die Demokratie befinde sich deshalb in einem „luftleeren Raum“.

Darauf ging auch Staatsrechtlerin Pöschl von der Uni Wien ein. „Lügen und Hass verbreiten sich in sozialen Netzwerken schneller. Und die, die Hass und Lügen verbreiten, berufen sich auf die Meinungsfreiheit“, sagte sie. Doch mit der Meinungsfreiheit würden gewisse Pflichten und Verantwortung einhergehen. In der Staatengemeinschaft sei man sich aber noch nicht einig, was im digitalen Raum gesagt werden darf. Das sei ein Problem: Soziale Netzwerke werden grenzüberschreitend genutzt, egal woher Lügen und Hasskommentare kommen.

Nico Marchetti (ÖVP), Dagmar Belakowitsch (FPÖ), David Stögmüller (Grüne), Henrike Brandstötter (NEOS)
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Eine Veranstaltung im Parlament kommt selten ohne eine politische Runde aus

Doch selbst wenn es einen Konsens gibt, bestünde noch das Problem der Kontrolle. „Keine liberale Demokratie verfügt über Ressourcen, um die Inhalte im digitalen Raum zu kontrollieren“, sagte sie. Deshalb wird versucht, den Betreibern der Plattformen eine Art Selbstregulierung umzuhängen. Allerdings seien zum Beispiel die Kriterien, wann ein Kommentar zu löschen sei, vollkommen intransparent. „Wenn ein Staat so vorgeht, wären wir alarmiert“, sagte Pöschl. „Grenzüberschreitende Probleme brauchen grenzüberschreitende Lösungen.“

Der politische Blick auf soziale Netzwerke

Nach den Vorträgen diskutierten Abgeordnete der Parlamentsparteien (bis auf SPÖ) über die Folgen sozialer Netzwerke, auf die Erkenntnisse der Studie gingen sie kaum ein. Nico Marchetti (ÖVP) bezeichnete soziale Netzwerke als ein „neues Spielfeld“ in der Politik. Man erreiche damit Bevölkerungsgruppen, die man sonst nicht erreichen könne. Dagmar Belakowitsch (FPÖ) betonte, man dürfe den „sozialen Medien nicht immer den Schwarzen Peter zuschieben“. Sie habe den Eindruck, dass soziale Netzwerke nicht die Demokratie gefährden, „sondern die linke Meinungshoheit“.

David Stögmüller (Grüne) teilte die Meinung von Belakowitsch nicht. In sozialen Netzwerken würden Menschen „massiv manipuliert“, sagte er und verwies auf Videos über den Krieg zwischen den Hamas und Israel. Durch das Fortschreiten der künstlichen Intelligenz (KI) würden die Herausforderungen noch größer werden. Hingegen hob Henrike Brandstötter (NEOS) hervor, dass die KI auch Möglichkeiten biete. Allerdings sei Medienkompetenz das Gebot der Stunde.

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Wolfgang Sobotka (ÖVP)
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Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) lud zur Veranstaltung ein
Nico Marchetti (ÖVP)
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Nico Marchetti (ÖVP) befürtwortet auch auf sozialen Netzwerken den politischen Wettbewerb
Dagmar Belakowitsch (FPÖ)
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Dagmar Belakowitsch (FPÖ) kritisierte, dass man soziale Netzwerke immer negativ sehe
David Stögmüller (Grüne)
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David Stögmüller (Grüne) verwies mehrmals auf TikTok und manipulative Inhalte
Henrike Brandstötter (NEOS)
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Für Henrike Brandstötter (NEOS) ist klar, dass es mehr Medienkompetenz benötige

Während sich Stögmüller und Marchetti ebenfalls für eine bessere Medienkompetenz einsetzten, meinte Belakowitsch, dass sie der Bevölkerung diese Kompetenz schon zutraue. „Ich habe keine Angst vor sozialen Medien“, sagte sie. Stögmüller entgegnete: „Angst hat niemand. Die Frage lautet: Welche Informationen bekommen User?“ Dass es in sozialen Netzwerken nicht immer Sachinformationen sind, machte Brandstötter deutlich: „Wenn ich auf Instagram ein Bild der Veranstaltung teile, verliere ich Follower. Aber wenn ich eine Vase kaufe, interessiert das.“

Politik und Wissenschaft

Abschließend gingen die Forschenden auf die Aussagen der Abgeordneten ein. „Der ‚arabische Frühling‘ ist gescheitert, Machthaber haben die Menschen über soziale Medien überwachen lassen“, erwiderte Strauß auf eine entsprechende Äußerung. Dort hieß es, dass es ohne soziale Netzwerke den „arabischen Frühling“ (eine Welle von Protesten ab dem Jahr 2011, die viele arabische Länder in Afrika und dem Nahen Osten erfasste) nicht gegeben hätte.

Rechtswissenschaftlerin Pöschl zeigte sich überrascht, dass das politische Podium über eine mögliche Klarnamenpflicht im Internet debattierte, obwohl eine solche in der Studie gar nicht erwähnt wurde. Und Karmasin zitierte am Ende der Veranstaltung den Dunning-Kruger-Effekt: Inkompetente Menschen nehmen sich in der Regel kompetenter wahr, als sie eigentlich sind. Das dürfte ein Appell zu mehr Medienkompetenz gewesen sein.