Die Mutter von Alexej Nawalny, Lyudmila Nawalnaya
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„Lassen Sie mich meinen Sohn sehen“

Nawalnys Mutter fordert seinen Leichnam

Fünf Tage nach dem Tod des bekannten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny verstärken seine Mutter Ljudmila Nawalnaja und seine Witwe Julia Nawalnaja ihre Appelle für die Herausgabe von Nawalnys Leiche. Seine Mutter wandte sich vor dem Straflager „Polarwolf“ in Sibirien per Videobotschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin: „Lassen Sie mich doch endlich meinen Sohn sehen!“

Die Entscheidung hänge nur von Putin ab, so Nawalnaja: „Ich fordere, unverzüglich den Körper Alexejs herauszugeben, damit ich ihn auf menschliche Weise beerdigen kann.“ Bisher erhalte sie weder den Leichnam, noch werde ihr gesagt, wo der Körper aufbewahrt wird. Versuche, die Leiche ausfindig zu machen, wurden von der Leichenhalle des Gefängnisses und den örtlichen Behörden wiederholt abgewiesen.

Noch am Montag hatte es vonseiten der Ermittler nach Angaben von Nawalnys Team geheißen, dass die Leiche für eine „chemische Analyse“ noch 14 Tage unter Verschluss gehalten werde. Das sei eine „völlige Lüge und Verhöhnung“. Nawalnys Leiche werde „versteckt, um die Spuren des Mordes zu verwischen“, so Nawalnys Sprecherin Kira Jarmisch.

Die Mutter von Alexej Nawalny, Lyudmila Nawalnaya
Reuters/Maxim Shemetov
Nawalnys Mutter Ljudmila (l.) wird vom Anwalt ihres toten Sohnes bei der Suche nach der Leiche begleitet

Kreml lehnt internationale Untersuchung ab

Eine von der EU geforderte internationale Untersuchung zum Tod des inhaftierten Oppositionspolitikers lehnte der Kreml am Dienstag ab. „Solche Forderungen akzeptieren wir überhaupt nicht“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Das sei eine Einmischung in innere Angelegenheiten.

Als „unbegründet und unverschämt“ wies Peskow die Anschuldigungen von Julia Nawalnaja zurück. Er habe aber wie Putin ihre Botschaft nicht gesehen und wolle sich mit Kommentaren zurückhalten, da sie „gerade verwitwet ist“. Die 47-jährige Nawalnaja hatte am Montag in einer Videobotschaft Putin direkt für den Tod ihres Ehemanns verantwortlich gemacht. Sie kündigte an, dessen Kampf gegen das System Putins fortzusetzen.

X-Konto von Julia Nawalnaja kurzzeitig gesperrt

Mit einer Nachricht auf X (Twitter) zeigte sie sich am Dienstag unbeeindruckt von der Reaktion des Kreml: „Es ist mir egal, was der Sprecher des Mörders zu meinen Worten sagt.“ Sie appellierte an den Kreml, Nawalnys Leiche zurückzugeben – „hindern Sie die Menschen nicht daran, von ihm Abschied zu nehmen“.

Kurz nach dieser Nachricht dürfte Nawalnajas erst am Montag eingerichtetes X-Konto vorübergehend gesperrt worden sein. Es erschien der Hinweis: „Konto gesperrt. X sperrt Konten, die unsere Regeln verletzen.“ Nach rund einer Stunde war das Profil wieder abrufbar. Der Abwehrmechanismus der Plattform gegen Manipulation und Spam habe den Account fälschlicherweise als Verstoß gegen die Regeln gekennzeichnet. Als der Fehler bemerkt worden sei, sei das Konto wieder freigeschaltet worden.

Die Witwe von Alexej Nawalny, Yulia Nawalnaya
AP
Julia Nawalnaja appellierte an die EU, die russische Präsidentschaftswahl nicht anzuerkennen

In einer Videobotschaft vom Dienstag appellierte Nawalnaja an die EU, die russische Präsidentschaftswahl nicht anzuerkennen: „Ein Präsident, der seinen politischen Hauptkonkurrenten ermordet, kann per Definition nicht legitimiert sein.“

Beförderung „Belohnung Putins für Folter“

Gegen Unterstützer Nawalnys – und sei es, dass Menschen nur öffentlich ihre Trauer bekundeten – ging das russische Regime in den vergangenen Tagen hart vor. Hunderte Menschen wurden wegen der öffentlichen Anteilnahme festgenommen und in Eilverfahren Arrest oder Geldstrafen verhängt. Gegen Nawalnys Bruder Oleg wurde ein neues Strafverfahren eröffnet, meldete die Nachrichtenagentur TASS, nicht aber, was ihm zur Last gelegt wird.

Peskow verteidigte am Dienstag die zahlreichen Festnahmen beim Gedenken anlässlich von Nawalnys Tod: „Die Strafverfolgungsbehörden handeln im Einklang mit dem Gesetz.“ Er verteidigte auch die Entscheidung Putins vom Montag, mehrere Strafvollzugsbeamte mit Orden auszuzeichnen. Das sei ein ganz gewöhnlicher Vorgang, und es gebe keinen Zusammenhang mit dem Tod Nawalnys.

Anders sehen das Vertraute von Nawalny. Befördert wurde etwa der Vizechef der Gefängnisbehörde FSIN, Waleri Bojarinew, zum Generaloberst des Innenministeriums. Er sei persönlich für die Folterungen Nawalnys im Gefängnis verantwortlich gewesen, stellte der Direktor des von Nawalny gegründeten Fonds zur Bekämpfung der Korruption (FBK), Iwan Schdanow, fest: „Das muss man wohl als offene Belohnung Putins für die Folter verstehen.“

Der inhaftierte russische Oppositionelle Ilja Jaschin
APA/AFP/Alexander Nemenov
Der inhaftierte Oppositionelle Ilja Jaschin wirft Putin die Tötung Nawalnys vor

Tötung Nawalnys von Putin „angeordnet“

Der inhaftierte russische Oppositionelle Ilja Jaschin sieht ebenfalls Putin für Nawalnys Tod verantwortlich. Er habe die Tötung „angeordnet“ und das habe er „demonstrativ“ getan mit Blick auf die im März bevorstehende Präsidentschaftswahl, damit „niemand an Putins Involvierung zweifelt“, schrieb Jaschin in einem am Dienstag verbreiteten Brief.

Kreml-Kritikerin Kara-Mursa im Interview

Jewgenija Kara-Mursa ist die Frau des inhaftierten Kreml-Gegners Wladimir Kara-Mursa, der bereits zwei Vergiftungen überlebt hat. Über ihn und den Tod den Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny spricht sie im ZIB2-Interview.

In Putins Verständnis äußere sich Macht durch „Mord, Grausamkeit und Rache“, so der Oppositionelle und ehemalige Mitarbeiter des 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow. Das sei nicht das Denken eines Staatsmannes, sondern eines „Bandenchefs“. Nawalny werde als „Mann mit außergewöhnlichem Mut“ in die Geschichte eingehen.

USA kündigen neue Sanktionen an

Die USA wollen unterdessen weitere Sanktionen gegen Russland verhängen. Es handle sich um ein „umfangreiches Sanktionspaket“, das die US-Regierung am Freitag bekanntgeben werde, kündigte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, am Dienstag an. Die Maßnahme sei eine Reaktion sowohl auf den Tod Nawalnys als auch auf den seit zwei Jahren andauernden russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Auch die EU wiederholte am Dienstag ihre scharfe Kritik in Richtung Russland. Laut dem diplomatischen Dienst der EU wurde der russische Vertreter bei der EU vorgeladen und eine unabhängige internationale Untersuchung des Todes des Kreml-Gegners Alexej Nawalny gefordert. „Die EU-Seite übermittelte die Empörung der EU über den Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, für den letztlich Präsident (Wladimir, Anm.) Putin und die russischen Behörden die Verantwortung tragen“, hieß es.