Es-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
ORF/Roland Winkler
Falsche Zeugenaussage

Entscheidung im Kurz-Prozess

Am zwölften Prozesstag wegen Falschaussage gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz dürfte am Freitag das Urteil fallen. Allerdings ist das Tagesprogramm ambitioniert: Der zweite russische Zeuge der Verteidigung steht auf dem Programm, zudem wird Belastungszeuge Thomas Schmid nochmals befragt. Dazu kommen die Plädoyers der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und der Verteidiger von Kurz und seines mitangeklagten Ex-Kabinettschefs Bernhard Bonelli.

Kurz wird wie Bonelli von der WKStA vorgeworfen, vor dem „Ibiza“-U-Ausschuss seine Rolle bei den Postenbesetzungen etwa für den Aufsichtsrat der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG) kleingeredet zu haben. Im U-Ausschuss gilt die Wahrheitspflicht, Falschaussage ist daher strafbar.

Beim Eintreffen im Landesgericht für Strafsachen in Wien ging Kurz – anders als an anderen Verhandlungstagen – an den wartenden Journalistinnen und Journalisten vorbei, ohne auf Fragen einzugehen. Der zweite russische Geschäftsmann, der als erster Zeuge geladen ist, wird aus der Moskauer Botschaft via Zoom zugeschaltet. Im Gerichtssaal sitzt ein Dolmetscher.

Die Angaben des Ex-Kanzlers widersprechen diametral jenen des Generalsekretärs im Finanzministerium mit Naheverhältnis zu Kurz und späteren Vorstands der Staatsholding ÖBAG, Schmid. Er sagte im Prozess als wichtigster Zeuge der Anklage aus.

Kurz: Informiert, nicht involviert

Kurz beharrt darauf, er sei zwar informiert gewesen, aber nicht involviert. Die WKStA stützt ihre Anklage bekanntlich zentral auf Chats zwischen Schmid, Kurz und mehreren damaligen Ministern und engen Mitarbeitern, die bei einer Hausdurchsuchung bei Schmid sichergestellt worden waren. Sie wirft Kurz vor, er habe deshalb falsch ausgesagt, um sich nicht politisch angreifbar zu machen. Sowohl für Kurz als auch für Bonelli gilt die Unschuldsvermutung.

Richter Michael Radasztics
ORF/Patrick Bauer
Richter Michael Radasztics führte den Prozess straff, gab aber Kurz immer wieder Raum, um Stellung zu nehmen

Eines von mehreren Verfahren

Erst durch die Hausdurchsuchungen war die gesamte ÖVP-Korruptionsaffäre im Zuge der „Ibiza“-Affäre um Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bekanntgeworden. Der Falschaussageprozess gegen Kurz ist das zweite Gerichtsverfahren im gesamten Komplex, in dem es mehrere Ermittlungsstränge und Beschuldigte gibt. Im Vorjahr war Ex-ÖVP-Ministerin Sophie Karmasin in erster Instanz wegen illegaler Wettbewerbsabsprachen zu 15 Monaten bedingt verurteilt worden. Die Berufungsverhandlung – Anklage und Verteidigung meldeten Rechtsmittel an – findet Anfang März statt.

In der zentralen Causa, der „Inseratenaffäre“ und dem „Österreich-Beinschab-Tool“, laufen die Ermittlungen noch – unter anderem gegen Kurz. Hier geht es um die Vorwürfe der Bestechung, Bestechlichkeit und Veruntreuung von Millionen an Steuergeldern für Inserate, um im Gegenzug in Boulevardmedien gesteuerte Berichterstattung zu bekommen.

Staatsanwalt Roland Koch und Staatsanwalt Gregor Adamovic am Wiener Straflandesgericht
ORF/Lukas Krummholz
Die WKStA-Ankläger Roland Koch und Gregor Adamovic

Der Ausgang des Falschaussageprozesses und insbesondere, wie das Gericht die Aussagen Schmids bewertet – all das dürfte sich indirekt auch auf die anderen Verfahren auswirken und auf die Entscheidung, ob Schmid den Kronzeugenstatus im „Inseratenaffären“-Verfahren erhält. Der Prozess gegen den Ex-Kanzler dauerte aufgrund zusätzlicher Beweis- und Zeugenanträge deutlich länger als erwartet. Zum Start im Oktober 2023 hatte Richter Michael Radasztics drei Verhandlungstage anberaumt, letztlich wurden es zwölf. Die Höchststrafe für Falschaussage beträgt drei Jahre.

Zweiter russischer Geschäftsmann und Schmid

Am Freitag soll zunächst auf Antrag der Verteidigung der zweite russische Geschäftsmann befragt werden, der sich beim letzten Verhandlungstag Ende Jänner „unwohl“ gefühlt hatte. Dieser soll Schmid zusammen mit einem weiteren russischen Geschäftsmann – dieser wurde bereits zuletzt als Zeuge befragt – wegen eines Jobangebots in Amsterdam getroffen haben. In dem Gespräch soll sich Schmid beklagt haben, die WKStA übe Druck auf ihn aus.

Die Befragung des ersten Geschäftsmannes Ende Jänner verlief wohl anders als von der Verteidigung intendiert: Der Zeuge verstrickte sich bei der Befragung via Videokonferenz in Widersprüche. Wie die Anwälte von Kurz auf ihn gestoßen seien, konnte er nicht schlüssig erklären. Und es zeigte sich, dass Kurz’ Verteidiger Otto Dietrich dem Russen geholfen hatte, seine eidesstattliche Erklärung, die Grundlage für die Zeugenladung war, zu formulieren.

Danach soll Schmid, der ja am Beginn des Prozesses bereits zwei Tage im Zeugenstand war, nochmals befragt werden – speziell zu dem Treffen mit den russischen Geschäftsleuten.

Diversion für Glatz-Kremsner

Die dritte Angeklagte, Ex-ÖVP-Vizechefin und Ex-Casinos-Austria-Chefin Bettina Glatz-Kremsner, hatte am ersten Prozesstag ihrerseits Falschaussage vor dem U-Ausschuss (zu einem anderen Sachverhalt, Anm.) eingestanden und eine Diversion bekommen.

Belastendes und Entlastendes

Schmid hatte Kurz und Bonelli in seiner Aussage im Herbst schwer belastet. Andere Zeugen – vor allem Ex-Finanzminister Hartwig Löger und Ex-Kanzleramtsminister und Ex-Finanzminister Gernot Blümel (beide ÖVP) sowie die neu in den ÖBAG-Aufsichtsrat bestellten Personen – entlasteten Kurz dagegen grundsätzlich. Vor allem Löger und Blümel gaben zudem – ähnlich wie vor dem U-Ausschuss – immer wieder an, keine Erinnerung zu haben oder entschlugen sich einer Antwort.

Nicht auszuschließen ist, dass die Verteidigung weitere Beweisanträge stellt, auch wenn die Erfolgsaussichten gering sind. Denn geht es nach Richter Radasztics, soll am Freitag Schluss sein. Nach den letzten Zeugeneinvernahmen kommen die Plädoyers von WKStA und den beiden Verteidigern – und schließlich das Urteil für Kurz und Bonelli.

Variante Aussagenotstand

Kurz’ Verteidiger Dietrich hatte für den Fall einer Verurteilung für seinen Mandaten Kurz gleich zu Prozessbeginn die Möglichkeit der Berufung auf Aussagenotstand angedeutet. Denn eine falsche Zeugenaussage ist nicht strafbar, wenn der Angeklagte damit eine dadurch drohende weitere Anklage zu verhindern sucht – in Kurz’ Fall also eine mögliche Anklage in der Hauptcausa, der „Inseratenaffäre“. Egal aber, wie das Urteil lautet – man kann davon ausgehen, dass das Verfahren in die Berufung geht.