Hilfslieferungen aus Großbritannien werden für ein jordanisches Spital im Gazastreifen verladen
Reuters/Jordan Armed Forces
Hilfe für Gaza aus der Luft

Verteilung von Hilfsgütern fast unmöglich

Mit der fortgesetzten Militäroperation der israelischen Armee gegen die Terrormiliz Hamas spitzt sich die humanitäre Lage im Gazastreifen weiter zu. Insgesamt seien die Hilfslieferungen in den vergangenen zwei Wochen nahezu zum Erliegen gekommen, warnt die UNO. Das nördliche Gaza ist auf dem Landweg nicht mehr zu erreichen, erstmals wurden dort nun britische Hilfsgüter aus der Luft abgeworfen.

Vier Tonnen Hilfsgüter, darunter Medikamente, Lebensmittel und Treibstoff, wurden laut BBC am Mittwoch mit einem Flugzeug der jordanischen Luftwaffe in den Gazastreifen gebracht. Im Norden sind besonders viele israelische Bodentruppen stationiert, ein Großteil der Bevölkerung wurde in den Süden vertrieben.

Dennoch leben schätzungsweise 300.000 Palästinenser im nördlichen Gazastreifen mit wenig Nahrung und Wasser, und die UNO warnt seit Monaten vor einer drohenden Hungersnot dort. Das World Food Programme (WFP) hatte Anfang der Woche mitgeteilt, dass „aufgrund des Zusammenbruchs der zivilen Ordnung mit völligem Chaos und Gewalt“ keine Hilfslieferungen mehr in den nördlichen Gazastreifen gebracht werden könnten. Die Teams hätten von einem „beispiellosen Ausmaß an Verzweiflung“ berichtet. Das WFP hatte die Lieferungen erst am Sonntag nach einer dreiwöchigen Unterbrechung wieder aufgenommen.

Palästinenser tragen Säcke mit Mehl, die sie von einem Hilfskonvoi bekommen haben
Reuters
Die Verteilung von Hilfslieferungen wird zunehmend schwieriger

Augenzeugenberichten zufolge demonstrierten am Donnerstag Hunderte Palästinenser für mehr Hilfslieferungen und gegen die Hamas. Ihren Angaben nach haben Polizisten, die von der Hamas gestellt werden, in Richtung der Demonstranten geschossen. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

UNO-Organisationen fordern sofortige Waffenruhe

Die Leiter der wichtigsten UNO-Hilfsorganisationen wie des Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), des Kinderhilfswerks (UNICEF), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der WFP forderten am Donnerstag erneut in einem gemeinsamen Appell eine sofortige humanitäre Waffenruhe.

„Krankheiten sind weit verbreitet. Es droht eine Hungersnot. Die Wasserversorgung ist miserabel. Die Basisinfrastruktur wurde dezimiert. Die Nahrungsmittelproduktion ist zum Stillstand gekommen. Krankenhäuser haben sich in Schlachtfelder verwandelt. Eine Million Kinder erleiden täglich Traumata“, mahnten sie.

Jede weitere Eskalation in der überfüllten Stadt Rafah ganz im Süden „würde zu einem Massensterben führen. Sie könnte auch den Todesstoß für die humanitäre Hilfe bedeuten, die bereits auf den Knien liegt“, fügten sie auch mit Blick auf eine von Israel angedrohte Bodenoffensive auf die Stadt hinzu.

Drastische Warnungen zu Situation der Kinder

Lebensmittel und sauberes Wasser seien in dem Palästinensergebiet „unglaublich knapp“ geworden, erklärten die UNO-Organisationen. Mindestens 90 Prozent der Kinder unter fünf Jahren litten an einer oder mehreren Infektionskrankheiten. WHO-Nothilfekoordinator Mike Ryan bezeichnete Hunger und Krankheit als eine „tödliche Kombination“.

Prekäre Situation für Kinder in Rafah

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Gaza ist in den letzten Wochen vor israelischen Angriffen in den Süden geflüchtet, in die Grenzstadt Rafah. Auch dort soll es Mitte März eine Offensive Israels geben; eineinhalb Millionen Flüchtlinge sollen über einen Korridor fortgebracht werden. Die Lage in Rafah wird immer schwieriger, vor allem für Kinder.

Untersuchungen im Norden der Region hätten ergeben, dass dort 15,6 Prozent der Kinder – oder jedes sechste Kind unter zwei Jahren – akut unterernährt seien. „Davon leiden fast drei Prozent unter schwerer Auszehrung, der lebensbedrohlichsten Form der Unterernährung“, teilte die WHO am Montag mit. Da die Daten im Jänner erhoben wurden, dürfte die Situation laut der Organisation gegenwärtig noch schlimmer sein. Insgesamt seien die Zahlen gegenüber der Zeit vor dem Krieg um ein Vielfaches gestiegen.

Verhandlungen über Waffenruhe gehen weiter

Von israelischer Seite gab es zuletzt kleine hoffnungsvolle Signale über Fortschritte bei den Verhandlungen über eine neue Waffenruhe und eine Freilassung der Geiseln der Hamas. Benni Ganz, Mitglied des israelischen Kriegskabinetts, sagte am Mittwoch, es gebe „vielversprechende erste Anzeichen“ für eine Einigung auf die Befreiung der Geiseln. Ohne eine Einigung werde Israel weiterkämpfen, bekräftigte er die Haltung der Regierung. Zudem reiste Hamas-Chef Ismail Hanija diese Woche zu Gesprächen mit ägyptischen Vermittlern nach Kairo – ebenfalls ein Signal, dass die Verhandlungen fortgesetzt werden.

Zerstörte und beschädigte Gebäude in Gaza laut UNOSAT-Satellitenanalyse von Oktober 2023 bis Jänner 2024

UNRWA wehrt sich gegen Vorwürfe aus Israel

Das UNO-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) wehrt sich weiter gegen Vorwürfe, man habe zu wenig gegen die von Israel behauptete Unterwanderung durch die Hamas unternommen. Neben eigenen Überprüfungen „schicken wir die Listen der Mitarbeiter einmal im Jahr an die israelischen Behörden, das letzte Mal am 23. Mai 2023“, erklärte UNRWA-Sprecher Mario Stumm in der „Presse“ (Freitag-Ausgabe).

„Bisher haben wir nie eine Antwort von israelischer Seite zu den Listen bekommen.“ Auch die von israelischen Soldaten präsentierten Tunnel der Hamas unter UNRWA-Gebäuden, speziell unter dem Hauptquartier der Organisation, habe man nicht bemerken können.

Israelische Offensive nach Terrorangriff am 7. Oktober

Am 7. Oktober waren Terroristen der radikalislamischen Hamas nach Israel eingedrungen und hatten dort Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt. Israelischen Angaben zufolge wurden dabei etwa 1.200 Menschen getötet und rund 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.

Israel hat als Reaktion auf den Angriff der Hamas deren Vernichtung als Ziel ausgegeben. Bei dem großen Militäreinsatz im Gazastreifen wurden laut jüngsten Angaben der Hamas-Gesundheitsbehörden, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, mehr als 29.100 Menschen getötet. Ziel der israelischen Offensive sind die Zerstörung der Hamas und die Befreiung der verbliebenen Geiseln, von denen nach israelischen Informationen höchstens noch hundert am Leben sind. Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und der katastrophalen Lage im Gazastreifen steht Israel jedoch international immer stärker in der Kritik.