Bäume auf der Wiener Ringstraße
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Baumhaftung

Neue Regeln gegen „Angstschnitte“

Wie können Bäume künftig besser geschützt werden? Geht es nach der Regierung mit einer neuen Haftungsregelung. Die Antwort mag überraschen, hat aber einen realen Hintergrund: Aus Angst vor Haftung wegen herabfallender Äste werden Bäume vorsorglich gestutzt und gefällt. Ein neues Gesetz soll das verhindern, die Begutachtung endete am Mittwoch.

Der Plan der ÖVP-Grünen-Regierung sieht ein neues Haftungsrecht für Bäume außerhalb des Waldes vor. Wird eine Person etwa durch einen herabfallenden Ast verletzt, haftet der Halter des Baumes. Freilich war das auch schon bisher so, allerdings unter anderen Vorzeichen: Da eine Baumhaftung im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) nicht existiert, wurde bisher für Schäden durch umgestürzte Bäume oder herabfallende Äste die Gebäudehaftung herangezogen.

Diese Norm bringt ein Problem mit sich: Sie sieht eine Beweislastumkehr vor. Bei Schäden durch Einsturz oder losgelöste Teile muss der Gebäudebesitzer beweisen, alles Zumutbare getan zu haben, um diesen Unfall zu vermeiden. Aus Angst vor einer Haftung hatten Baumhalter Bäume deshalb flächendeckend gefällt, selbst wenn das gar nicht erforderlich war.

Abgebrochener Ast auf einem Gehweg
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Ein explizites Haftungsregime für Bäume außerhalb des Waldes existiert bisher nicht

Als „Angstschnitte“ bezeichnet Umweltjuristin Erika Wagner diese Sicherungsmaßnahmen gegenüber ORF.at. „Die Baumeigentümer, wie etwa Gemeinden, mussten sich analog zu den Gebäudeeigentümern nach Personen- und Sachschäden entlasten. Der vermeintlich einfachste Weg sei gewesen, präventiv die Bäume zu fällen, um einer möglichen Haftung zu entgehen“, so die Vorständin des Instituts für Umweltrecht an der Johannes Kepler Universität.

Lange Vorbereitungen, viel Lob

Das soll sich künftig eben ändern. Die Beweislastumkehr entfällt, das heißt: Die Geschädigten müssen nun beweisen, dass der Baumhalter seinen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist. Dieser Aspekt wurde in der Begutachtung positiv aufgenommen. Die Neuregelung wird von Fachleuten begrüßt, unter den Unterstützern befinden sich auch die Bundesforste und NGOs. Die Wirtschaftskammer und die Landwirtschaftskammer regen wie das Finanzministerium Änderungen an, um die Rechtssicherheit für Baumbesitzer zu sichern.

Juristin Wagner bezeichnet den Entwurf des Justizministeriums als „höchst erfreulich“. Es sei ein „sehr langer Prozess“ gewesen, bis die Baumhaftung in Gesetzesform gegossen wurde. Wagner erzählt, dass die Vorarbeiten dazu bereits 2016 starteten. Damals habe sie eine Studie dazu erstellt und aufgezeigt, wie notwendig die Reform der Haftungsfragen sei. „Die Analogie mit der Gebäudehaftung stammt aus den 60er Jahren und ist angesichts des Klimawandels nicht mehr zeitgemäß“, sagt sie. Ein Baum sei ein „lebendes Objekt“ mit einem ökologischen Wert und eben kein Gebäude.

Eine Frau geht im Salzburger Mirabellgarten durch eine Allee
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Nicht immer ist der Baumschnitt von Angst getrieben

Nach Jahren der Diskussion schaffte es eine vage Andeutung einer Baumhaftung auch auf die politische Ebene: 2020 vereinbarten ÖVP und Grüne, dass die haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen evaluiert werden sollen, um auch unnötiges Zurückschneiden oder Fällen von Bäumen zu verhindern. Dass es bis zur Novelle doch einige Jahre gebraucht hat, begründet Wagner damit, dass es von „vielen Kreisen“ Bedenken gab, dass eine Baumhaftung verschärfte Regeln für Baumeigentümer mit sich bringe. „Dann haben sie gemerkt, dass dem nicht so ist.“

Ein weiterer Grund für die lange Dauer sei, dass viele Fachleute in den Prozess einbezogen wurden, schildert Wagner. Das sieht offenbar auch die Vereinigung der Österreichischen Richter und Richterinnen so. In ihrer Stellungnahme hielt sie einleitend fest, dass dem Entwurf „in wohltuendem Kontrast zu vielen anderen Gesetzwerdungsprozessen der letzten Jahre“ eine breite Diskussion vorangegangen sei.

Debatte über Haftungsprivileg

Die Baumhaftung gilt explizit nicht für Waldbäume. Hier greift nämlich das Forstgesetz. Darin ist festgehalten, dass Eigentümer grundsätzlich nicht für die allgemeinen Gefahren des Waldes haften, sondern nur für Baumgefahren auf Forststraßen und anderen öffentlichen Wegen – und das nur bei grober Fahrlässigkeit. Ein solches Haftungsprivileg wird in einigen Stellungnahmen auch für Bäume außerhalb des Waldes gefordert. Auch Juristin Wagner könnte sich eine Einschränkung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz vorstellen.

„Das Signal wäre noch deutlicher Richtung ökologische Wertigkeit des Baumes und Selbstverantwortung der Menschen bei aufgrund des Klimawandelns immer häufiger werdenden Stürmen gegangen“, sagt Wagner und ergänzt, dass es rechtlich durchaus möglich gewesen wäre. Es gibt aber auch andere Stimmen, die ein Haftungsprivileg anders sehen. Rechtsprofessor Ernst Karner von der Uni Wien nennt solche Forderungen etwa „dogmatisch verfehlt“ und „rechtspolitisch nicht zu befürworten“.

Der Entwurf sehe eine differenzierte Vorgehensweise bei der Baumhaftung vor, so Karner in seiner Stellungnahme. Ob das Justizministerium den Forderungen nach einem Haftungsprivileg nachgeben wird, ist unklar. Änderungen nach der Begutachtung sind möglich. Unter Berufung auf das Bundesverfassungsgesetz Nachhaltigkeit ließe sich das Haftungsprivileg der groben Fahrlässigkeit rechtfertigen, meint Wagner. Jedenfalls sei der Entwurf zur Baumhaftung ein „erster großer Schritt“.