Nawalnys Mutter, Lyudmila Nawalnaya
Reuters/Alexei Navalny Youtube Channel
Nawalny-Mutter

„Heimlich zur Leiche gebracht“

Nach tagelangem Warten hat die Mutter des in russischer Haft gestorbenen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny nach eigener Aussage Zugang zu dessen Leiche erhalten. Sie habe den Leichnam gesehen, sagte Ljudmila Nawalnaja in einem am Donnerstag von Nawalnys Team veröffentlichten Video. Man habe sie „heimlich zur Leichenhalle gebracht“, wo ihr Alexej gezeigt worden sei.

Sie habe 24 Stunden allein mit Ermittlern und Kriminalbeamten verbracht, sagte Nawalnys Mutter. Am Mittwochabend sei sie in die Leichenhalle in der Stadt Salechard im Norden Russlands gelassen worden. Die russischen Behörden hätten sie dazu gedrängt, einer geheimen Bestattung ihres Sohnes zuzustimmen.

„Sie erpressen mich, sie stellen mir Bedingungen, wo, wann und wie Alexej beerdigt werden soll“, sagte die Mutter. „Das ist illegal.“ Die Ermittler hätten gedroht, etwas mit der Leiche anzustellen, wenn sie einem heimlichen Begräbnis nicht zustimme. Deshalb habe sie sich an die Öffentlichkeit gewandt.

Keine Angaben über Zustand der Leiche

„Sie wollen, dass alles im Geheimen geschieht, ohne Zeremonie, sie wollen mich an den Rand eines Friedhofs bringen, in die Nähe eines frischen Grabes und mir sagen: ‚Hier ruht Dein Sohn.‘ Ich bin damit nicht einverstanden“, so Nawalnaja. Sie sagte auch, dass sie über den Abschluss der medizinischen Untersuchung informiert worden sei, auch über die Todesursache. Sie nannte diese aber nicht. Auch über den Zustand der Leiche ihres Sohnes äußerte sie sich nicht.

Kerzen neben Bild von Nawalny
Reuters/Benoit Tessier
Das Gedenken an Alexej Nawalny ist bei russischen Behörden unerwünscht

Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch schrieb auf X (Twitter) kurz nach Veröffentlichung des Videos der Mutter, dass die medizinische Expertise angeblich einen natürlichen Tod festgestellt habe. Dagegen warfen Nawalnys Frau Julia, sein Team und auch Menschenrechtler Kreml-Chef Wladimir Putin vor, er habe den Oppositionellen, der 2020 nur knapp einen Giftanschlag überlebte, ermorden lassen.

Kreml: Vorwürfe „unverschämt“

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte diese Anschuldigungen als „unbegründet und unverschämt“ zurückgewiesen. Vor dem Hintergrund, dass „Julia Nawalnaja gerade verwitwet ist“, wolle er sich mit Kommentaren zurückhalten. Zugleich verteidigte er das Vorgehen von Sicherheitskräften gegen Russen, die in vielen Städten des Landes zum Andenken an Nawalny Blumen niederlegten und Kerzen anzündeten. Die Uniformierten hätten ihre Aufgabe im Einklang mit den Gesetzen erfüllt, sagte Peskow.

Hunderte Menschen waren in den vergangenen Tagen festgenommen worden, weil sie öffentlich des Toten gedachten. In Eilverfahren haben Gerichte Arrest oder Geldstrafen verhängt. Trotzdem zeigten viele Russinnen und Russen weiter öffentlich ihre Trauer. Nawalnys Team kritisierte, dass Menschen in Russland nun schon wegen des Niederlegens von Blumen festgenommen werden.

Biden traf Julia Nawalnaja

US-Präsident Joe Biden traf am Donnerstag Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja und deren gemeinsame Tochter Darja in Kalifornien. Biden kündigte Sanktionen gegen Russlands Präsidenten Putin an, der für Nawalnys Tod verantwortlich sei. Er habe beide getroffen, um ihnen sein Beileid für ihren schweren Verlust auszudrücken, so Biden.

Zudem verkündeten die USA, kurz vor dem zweiten Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine, gegen mehrere russische Oligarchen in den USA vorzugehen. „Das Justizministerium setzt sich mehr denn je dafür ein, die illegalen Geldströme zu unterbrechen, die Putins Krieg anheizen, und diejenigen, die ihn weiterhin zulassen, zur Verantwortung zu ziehen“, erklärte US-Justizminister Merrick Garland am Donnerstag.

Rufe nach Freigabe

Inzwischen unterzeichneten mehr als 70.000 Menschen in Russland einen Aufruf zur Herausgabe des Leichnams an die Angehörigen. Am Donnerstag forderten auch Hunderte russisch-orthodoxe Geistliche und Laien laut Kathpress vom Moskauer Machtapparat die Freigabe der Leiche: „Wir fordern Sie auf, den Leichnam von Alexej Nawalny an seine Familie zu übergeben, damit seine Mutter, andere Familienangehörige und Gleichgesinnte sich von ihm verabschieden und ihm ein christliches Begräbnis bereiten können.“

Die Tragödie des Todes dürfe nicht dadurch verschärft werden, dass eine einfache menschliche Bitte abgeschlagen werde. „Denken Sie daran, dass vor Gott alle gleich sind.“ Es bestehe die Gefahr, dass durch Ungnade und Unmenschlichkeit die Spannungen in der Gesellschaft noch weiter zunähmen. „Zeigen Sie Barmherzigkeit und Mitgefühl für seine Mutter, seine Frau, seine Kinder und seine Angehörigen.“

Der Tod des seit Jahren in Russland inhaftierten Nawalny war am Freitag bekanntgeworden. Er starb in einem Straflager am Polarkreis im Alter von 47 Jahren. Nawalnys plötzlicher Tod löste international Bestürzung aus. Zahlreiche westliche Politiker sowie Nawalnys Witwe Julia machten die russische Führung und Präsident Putin für seinen Tod verantwortlich.