US-Präsident Joe Biden
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Embryonen

Biden kritisiert Alabama-Urteil

US-Präsident Joe Biden hat die Entscheidung des Höchstgerichts des Bundesstaats Alabama scharf kritisiert, wonach eingefrorene Embryonen als Kinder zu werten sind. Die Einmischung in die Möglichkeit von Frauen, selbst über ihre Familienplanung zu entscheiden, sei „empörend und inakzeptabel“, sagte Biden am Donnerstag (Ortszeit).

Vizepräsidentin Kamala Harris kritisierte das Urteil in Alabama ebenfalls, auch im Zusammenhang mit der Entscheidung des äußerst konservativ besetzten Obersten Gerichtshofs in Washington in Sachen Abtreibungsverbot. Es sei ironisch, dass mit der Gerichtsentscheidung einerseits Frauen das Recht abgesprochen werde, eine unerwünschte Schwangerschaft zu beenden, und andererseits Frauen die Möglichkeit genommen werde, durch Retortenbefruchtung schwanger zu werden, so Harris am Donnerstag.

Das oberste Gericht von Alabama hatte Ende vergangener Woche auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahr 1872 entschieden, dass gefrorene Embryonen als Kinder anzusehen sind. In dem Fall hatten drei Paare die Klinik geklagt, nachdem ihre gefrorenen Embryonen versehentlich von einer Patientin fallen gelassen und zerstört worden waren.

Container mit gefrohrenen Embryos in einer US-Klinik
AP/Lynne Sladky
Ein Container mit gefrorenen Embryonen in einer US-Klinik

Bibelzitate in Urteilsbegründung

Ein vorinstanzliches Gericht hatte entschieden, dass die eingefrorenen Embryonen nicht als „Personen“ oder „Kinder“ betrachtet werden könnten. Das oberste Gericht hob das Urteil mit sieben zu zwei Stimmen auf und erklärte, das mehr als 150 Jahre alte Gesetz sei auf „alle Kinder ohne Einschränkung“ anzuwenden.

Richter Jay Mitchell schrieb in einer mit Bibelzitaten gespickten Erklärung, das Gesetz gelte für „alle Kinder, geboren und ungeboren“. „Ungeborenes menschliches Leben ist heilig“, so der Richter unter Verweis auf das nahezu komplette Verbot von Abtreibungen in Alabama.

Universität von Alabama: Wir sind traurig

Mehrere Kliniken hatten daraufhin aus Furcht vor Klagen einen vorläufigen Stopp von In-vitro-Befruchtungen (IVF) verkündet, so etwa das Programm für künstliche Befruchtung der Universität von Alabama. „Wir sind traurig, dass das den Versuch unserer Patientinnen, durch IVF ein Baby zu bekommen, beeinträchtigen wird“, erklärte die Universität kurz nach dem Urteil.

US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump
Reuters/Seth Herald
Ex-US-Präsident Donald Trump besetzte den obersten US-Gerichtshof äußerst konservativ

Die Entscheidung des Gerichts, „dass ein kryokonservierter Embryo ein menschliches Wesen ist“, müsse evaluiert werden. Die Universität erklärte, sie müsse zunächst prüfen, ob „unsere Patientinnen und unsere Ärztinnen und Ärzte“ für die standardmäßige Anwendung von IVF-Behandlungen „strafrechtlich verfolgt werden könnten“.

Zusammenhang mit Abtreibungsurteil

Das Urteil steht im Zusammenhang mit der Entscheidung des vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump sehr konservativ besetzten Obersten Gerichtshofs der USA von 2022, der sein Grundsatzurteil Roe vs. Wade aus dem Jahr 1973 aufgehoben hatte, in dem das verfassungsmäßige Recht von Frauen auf Abtreibung verankert war.

Seitdem ist das Recht auf Abtreibung nicht mehr in der Verfassung garantiert, und die Entscheidung liegt bei den Bundesstaaten. Alabama ist einer von etwa zwei Dutzend Bundesstaaten, in denen Abtreibungen seitdem verboten oder stark eingeschränkt wurden.

Politisch heikel für Republikaner

Die republikanischen Kandidaten und Kandidatinnen hielten sich in diesem Wahlkampf bisher weitgehend aus der Abtreibungsfrage heraus. Das enttäuschende Abschneiden der Partei bei den Zwischenwahlen 2022 wurde als Reaktion der Wähler auf das Urteil zu Roe v. Wade gewertet. Für die Republikanische Partei wird das Thema der Embryonen zu einem politischen Spagat. Trump meldete sich zum Alabama-Urteil bisher nicht zu Wort, so US-Medien.

US-Präsidentschaftskandidatin Nikki Haley
Reuters/Alyssa Pointer
Die Herausforderin von Trump, Nikki Haley, liebäugelt mit dem Urteil im innerrepublikanischen Wahlkampf gegen Trump

Haley rudert zurück

Seine Herausforderin im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner, Nikki Haley, befürwortete allerdings am Mittwoch die Anerkennung von im Reagenzglas gezeugten und eingefrorenen Embryonen als Babys. „Für mich sind Embryonen Babys“, sagte Haley am Mittwoch in einem Interview mit NBC News. „Wenn man von einem Embryo spricht, ist das für mich Leben.“

Politologinnen und Politologen werteten das als gefährlichen Zug, um gegenüber Trump im innerrepublikanischen Rennen um die Präsidentschaftskandidatur aufzuholen. Doch am Donnerstag machte sie einen kleinen Rückzieher. Haley sagte gegenüber CNN, dass Embryonen geschützt werden sollten, dass Alabama jedoch „zurückgehen und sich das Gesetz ansehen muss. Wir wollen nicht, dass Fruchtbarkeitsbehandlungen eingestellt werden. Wir wollen nicht, dass sie aufhören, IVF-Behandlungen durchzuführen.“ Laut BBC nutzte Haley IVF-Behandlungen selbst, um ihre beiden Kinder zu bekommen.

Abtreibungsgegnerin: „Sehr komplexes Thema“

Auch republikanische Abtreibungsgegnerinnen und -gegner schienen laut BBC am Donnerstag auf der „Conservative Political Action Conference“, einer der größten jährlichen Versammlungen republikanischer Wähler und Wählerinnen, hin- und hergerissen zu sein.

Die BBC zitierte dazu Jessica Andreae, hochrangige Aktivistin der christlichen Organisation Pro-Life Ministries: Sie stimme mit dem Höchstgericht in Alabama überein, dass Embryonen als menschliches Leben betrachtet werden sollten. Das sei jedoch „für mich eine sehr komplexe Angelegenheit“, fügte sich hinzu und verwies auf eine Freundin, die durch IVF zwei „liebe Kinder“ bekommen habe. „Und jedes menschliche Leben, egal wie es auf die Welt gebracht wird, ist ein Geschenk“, so Andrae.