Mädchen geht in Tel Aviv an Plakaten mit Fotos der Hamas-Geiseln vorbei
Reuters/Dylan Martinez
Geiseldeal

Israel schickt offenbar Delegation nach Doha

Im Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas intensivieren die Vermittler ihre Bemühungen um eine Einigung auf eine Waffenruhe, mit der eine drohende israelische Bodenoffensive in Rafah zumindest vorerst abgewendet werden könnte. Das israelische Kriegskabinett beschloss am Samstagabend dem Vernehmen nach, in den kommenden Tagen eine Delegation zu weiteren Gesprächen nach Katar zu entsenden.

Wie der bekannte und gut vernetzte israelische Journalist Barak Ravid vom Nachrichtenportal Axios am Samstag am späten Abend via X (Twitter) mitteilte, habe das israelische Kriegskabinett am Abend beschlossen, eine Delegation mit begrenztem Mandat in das Emirat zu entsenden.

In Katar soll die Delegation in den kommenden Tagen Fragen technischer Art, zum Beispiel zur Menge der Hilfsgüter für den Gazastreifen, und anderes besprechen. Ravid berief sich auf israelische Quellen. Auch israelische Medien berichteten über eine fixierte Entsendung einer Delegation.

Am Sonntag hieß es aus ägyptischen Sicherheitskreisen, dass Katar in der kommenden Woche Vermittlungsgespräche zwischen Israel und der Hamas ausrichten werde. Ziel sei es, eine Vereinbarung über eine Waffenruhe zum Abschluss zu bringen, hieß es.

Erste Details durchgesickert

Israelischen Regierungsbeamten zufolge, auf die sich der israelische Sender Kan berief, könnten im Falle einer Vereinbarung in einer ersten Phase 35 bis 40 Geiseln freigelassen werden. Das wären vor allem Frauen, Kinder, ältere Männer und Männer mit schweren Krankheiten oder Verletzungen. Israel würde im Gegenzug dafür 300 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen freilassen. Die Hamas hält noch rund 100 Geiseln fest, von denen vermutet wird, dass sie am Leben sind. Die Waffenruhe würde etwa sechs Wochen dauern.

Zunächst blieb unklar, wie weit die Hamas ihre weitreichenden Forderungen – wie die einer unbefristeten Einstellung der Kampfhandlungen sowie den vollständigen Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem Gazastreifen – als Bedingung für eine Vereinbarung heruntergeschraubt hat.

Sicherheitsberater sprach von „Spielraum“

Der Nationale Sicherheitsberater von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Zachi Hanegbi, beließ es Samstagabend gegenüber dem Fernsehsender N12 hingegen noch bei entsprechenden Andeutungen: „Die Delegation ist aus Paris zurückgekehrt, es gibt offenbar Spielraum, um einem Abkommen näher zu kommen“, sagte der Sicherheitsberater.

Zachi Hanegbi (nationaler Sicherheitsberater von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu)
IMAGO/Pacific Press Agency/Lev Radin
Hanegbi, der Nationale Sicherheitsberater Israels, zeigte etwas Zuversicht

„Bedeutende Fortschritte“

Eine israelische Delegation hatte zuvor in Paris Vertreter aus Ägypten, Katar und den USA, die in dem Krieg zwischen Israel und der Hamas vermitteln, getroffen. Auch die Chefs des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad und des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet waren anwesend.

Dabei soll es Berichten zufolge „bedeutende Fortschritte“ gegeben haben. Die Gespräche seien „sehr gut“ gelaufen, meldete die israelische Zeitung „Haaretz“ am Samstag unter Berufung auf nicht näher genannte Personen, die mit den Einzelheiten des Treffens vertraut sein sollen. Auch der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, sagte am Sonntag gegenüber dem Sender CNN, man habe sich „auf die Grundzüge eines Geiselabkommens für eine zeitweise Feuerpause“ verständigt.

Einigung noch vor Ramadan?

Noch vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan könne eine Einigung erzielt werden, zitierte die Zeitung einen ausländischen Diplomaten. Der Ramadan beginnt in diesem Jahr um den 10. März.

Der Nationale Sicherheitsberater Hanegbi betonte: „So eine Vereinbarung bedeutet nicht das Ende des Krieges.“ Er wies zudem darauf hin, dass Israel keine Vereinbarung zwischen den USA und Saudi-Arabien über einen palästinensischen Staat akzeptieren werde.

Netanjahu sieht „Sieg“ in „einigen Wochen“

Netanjahu selbst sieht sein Land mit einer Offensive in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen nur „einige Wochen“ von einem „vollständigen Sieg“ entfernt. Selbst eine Einigung auf eine Feuerpause werde einen solchen Militäreinsatz „etwas verzögern, aber es wird geschehen“, sagte Netanyahu am Sonntag dem US-Fernsehsender CBS.

„Wenn wir keine Einigung erzielen, werden wir es trotzdem tun“, sagte Netanjahu weiter. „Es muss getan werden, denn der vollständige Sieg ist unser Ziel, und der vollständige Sieg ist in greifbarer Nähe – nicht erst in Monaten, sondern in einigen Wochen, wenn wir mit der Operation beginnen.“

Tausende bei Demos für Geiseldeal

Am Samstag gingen in mehreren Städten Israels Tausende Menschen für die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas und gegen Netanjahus Regierung auf die Straße. Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Protests in Tel Aviv trugen Transparente mit der auf Netanjahu gemünzten Aufschrift „Du bist der Leader! Du bist schuld!“.

Proteste: Zusammenstöße in Tel Aviv

Im Nahen Osten schreiten die Gespräche um eine Waffenruhe und einen Geiseldeal voran. In Tel Aviv gab es unterdessen bei Protesten gegen die Regierung Zusammenstöße.

Eine wachsende Zahl von Kritikern wirft dem Regierungschef vor, das Land vor und nach dem Terrorüberfall der Hamas schlecht regiert zu haben. Sie beschuldigen ihn, bei wichtigen Entscheidungen alles dem eigenen politischen Vorteil unterzuordnen.

Israels Armee setzt Angriffe in Gaza fort

Unterdessen ging Israels Armee in der Nacht auf Sonntag und Sonntagfrüh mit weiteren Angriffen gegen die Hamas im Gazastreifen vor. In der südlichen Stadt Chan Junis habe das Militär mehrere Kämpfer der Terrormiliz gefangen genommen, teilte die Armeeführung mit. Sie sollen sich unter Zivilisten versteckt haben, die sich anschickten, das Kampfgebiet zu verlassen. Weitere bewaffnete Männer seien in dem Gebiet getötet und Waffen gefunden worden.

Zerstörte und beschädigte Gebäude in Gaza laut UNOSAT-Satellitenanalyse von Oktober 2023 bis Jänner 2024

Außerdem habe ein Luftangriff eine Hamas-Zelle ausgeschaltet, die einen Drohnenangriff vorbereitete. Im Stadtteil al-Saitun in der Stadt Gaza führte das Militär einen Großeinsatz durch. Dabei stieß es auf Waffenlager und zerstörte eine Raketenabschussstellung. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Palästinensische Quellen berichten über viele Opfer

Palästinensische Quellen sprachen indes von vielen zivilen Opfern der jüngsten israelischen Angriffe. Im Stadtteil Sabra seien Sonntagfrüh bei einem israelischen Bombenangriff auf ein Wohnhaus drei Palästinenser getötet worden, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa.

Dutzende weitere Menschen, unter ihnen Frauen und Kinder, seien bei israelischen Artillerie- und Luftangriffen in Chan Junis und in der Stadt Gaza ums Leben gekommen. Auch diese Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Fast 29.700 Palästinenser sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen inzwischen seit Beginn des Krieges mit Israel getötet worden. 69.879 Palästinenser seien zudem seither in dem Küstengebiet verletzt worden.