Ukrainische Panzerhaubitze
Reuters
Einigung nach Zwist

Europa will Munition für Ukraine zukaufen

Die Ukraine, nach dem Verlust von Awdijiwka in der Defensive, befürchtet, dass Russland im Frühjahr eine Offensive starten wird. Neben fehlender Luftraumüberwachung ist vor allem der drückende Mangel an Artilleriemunition das größte Problem. Europa produziert und liefert bisher viel weniger als versprochen, wie auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij am Montag erneut beklagte. Europa könnte Munition für Kiew nun aus Drittländern zukaufen.

Die Ukraine erhielt bisher nach Angaben Selenskijs weniger als ein Drittel der von der EU versprochenen Million Artilleriegeschoße. „Von der einen Million Granaten, die uns die Europäische Union versprochen hat, sind nicht 50 Prozent angekommen, sondern leider nur 30 Prozent“, sagte Selenskyj am Montag in Kiew vor Start des Ukraine-Gipfels in Paris.

Das russische Militär ist sowohl personell als auch, was Waffen und Munition betrifft, derzeit den ukrainischen Verteidigern weit überlegen. Ukrainische Stellungen müssen mit ihrer Munition sparen und können oft auf russische Attacken nicht oder kaum reagieren. Dass Europa so wenig Militärmaterial liefert, fällt angesichts der Blockade weiterer US-Hilfen durch die Republikaner doppelt ins Gewicht.

EU-interner Streit über Ankauf von Munition

Tschechien hatte – angesichts der zu niedrigen Produktionskapazitäten in Europa – zuletzt vorgeschlagen, Munition aus Drittstaaten aufzukaufen und an Kiew zu liefern. Mengen von rund 800.000 Schuss Artilleriemunition hat Prag laut den Angaben fündig gemacht, will den Ankauf aber nicht allein finanzieren. Dazu gab es seit Wochen keine Einigung. Nun lenkte Frankreich offenbar ein. Auf dem Gipfel in Paris wurde beschlossen, kurzfristig aus eigenen Beständen und aus Drittländern zusätzliche Munition für die Ukraine zu mobilisieren. Wie rasch das gehen wird, ist unklar.

Bisher hatten sich neben Frankreich vor allem Griechenland und Zypern quergelegt, Munition als Notmaßnahme von außerhalb Europas anzukaufen. Paris verwies dabei auf die Notwendigkeit, die eigenen Kapazitäten bei der Waffenproduktion zu steigern. Doch trotz partieller Anstrengungen – so produziert ein finnisches Munitionswerk seit Monaten rund um die Uhr – sind die europäischen Rüstungskonzerne noch länger weit davon entfernt, die von Kiew benötigten Mengen bereitstellen zu können.

„Angesichts der russischen Angriffe und der Destabilisierung Europas, die sie hervorrufen, muss die Unterstützung der Ukraine zunehmen“, sagte Frankreichs Außenminister Stephane Sejourne am Dienstag. Die Frage nach Munitionslieferungen sei dringlich. Man müsse koordiniert vorgehen, um mehr zu produzieren und neue Fähigkeiten liefern zu können, so Sejourne.

Aber ausgerechnet Frankreich, dessen Präsident Emmanuel Macron verbal die Ukraine immer wieder besonders entschlossen unterstützt, hielt sich laut einer jüngsten Berechnung des Kieler Weltwirtschaftsinstituts bei den tatsächlichen Ausgaben besonders zurück: Laut dem deutschen Institut gab Deutschland bisher 17,7 Milliarden Euro aus, Großbritannien 9,1 Milliarden Euro – Frankreich aber lediglich 635 Millionen Euro.

Ein Versprechen, das die EU nicht hält

Die EU hatte im vergangenen Jahr versprochen, Kiew bis Ende März dieses Jahres eine Million Artilleriegeschoße zu liefern. Im Jänner musste der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell jedoch zugeben, dass die Mitgliedsländer bis dahin nur 330.000 Schuss Munition geliefert hatten. Bis Ende März sollen es insgesamt rund 500.000 Schuss sein.

Hälfte der Lieferungen kommt verspätet

Generell beklagte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umerow zuletzt, dass die Hälfte der vom Westen versprochenen Waffenlieferungen nicht zeitgerecht ankämen. Laut Umerow braucht die Ukraine pro Monat rund 200.000 155-mm-Geschoße. Die Ukraine hatte Brüssel daher zuletzt aufgefordert, „dringende Maßnahmen“ für die Steigerung der Lieferungen zu ergreifen, etwa durch die Lockerung von Vorschriften.

Selenskij warnte auch davor, dass die geringen Waffen- und Munitionslieferungen dazu führen könnten, dass Russland erneut den Getreidetransport durch das Schwarze Meer verhindert. „Ich denke, die Route wird geschlossen … denn um sie zu verteidigen, braucht man auch Munition, Luftabwehr und andere Systeme“, sagte Selenskij dem US-TV-Sender CNN und appellierte erneut an den US-Kongress, das dort von den Republikanern bisher blockierte nächste Hilfspaket freizugeben.

Durch den Seekorridor konnten laut seinen Angaben bisher rund 30 Millionen Tonnen Getreide und andere Agrarprodukte exportiert werden. Nach Angaben der Vereinten Nationen gab es seit Beginn des Krieges vor zwei Jahren Dutzende Angriffe auf ukrainische Getreideproduktions- und Exportanlagen.

EU will spezielles Büro in Kiew einrichten

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte indes am Mittwoch die Einrichtung eines Büros für Innovation im Verteidigungsbereich in Kiew an. Das werde die Ukraine näher an Europa heranführen.

Durch das Büro könnten „alle Mitgliedsstaaten auf die Erfahrungen und das Fachwissen der Ukraine im Bereich der industriellen Verteidigungsinnovation zurückgreifen“. Von der Leyen betonte auch die bisher gemachten Fortschritte im Ausbau der Kapazitäten der europäischen Verteidigungsindustrie: Die europäische Munitionsproduktion solle bis Ende 2025 auf über zwei Millionen Granaten pro Jahr etwa verdoppelt werden.

Es sei zudem an der Zeit, über die Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte für den gemeinsamen Erwerb militärischer Ausrüstung für die Ukraine zu sprechen. Es gebe „kein stärkeres Zeichen und keine bessere Verwendung“, so die EU-Kommissionspräsidentin.