Polizei vor dem Gerichtsgebäude in Amsterdam
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Niederlande

Lebenslang für Kopf der Mocro-Mafia

Ridouan Taghi ist jahrelang als der meistgesuchte Kriminelle der Niederlande betrachtet worden: Er galt als Kopf eines Kokainkartells, der Mocro-Mafia, das er noch aus der Haft geleitet haben soll, und wurde des mehrfachen Mordes beschuldigt. Am Dienstag wurde Taghi zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, mit ihm standen 17 weitere Angeklagte vor Gericht. Das Verfahren fand in einer Art Ausnahmezustand statt, sogar der Richter blieb anonym.

Taghi wurde 1977 im nordmarokkanischen Tetouan geboren, 1980 ging seine Familie in die Niederlande. Er geriet erstmals als Jugendlicher wegen Einbruchsdelikten und illegalen Waffenbesitzes mit dem Gesetz in Konflikt, begann mit Drogen zu handeln. Später tauchte er unter und geriet erst 2013 wieder ins Visier der Polizei – vorerst in Spanien. 2019 wurde er in Dubai festgenommen.

Es folgte ein jahrelanger Prozess, in dem am Dienstag in einem Gericht nahe Amsterdam, wegen der enormen Sicherheitsvorkehrungen dort der „Bunker“ genannt, die Urteile gegen Taghi und 17 weitere Beschuldigte fielen. Taghi wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, seine Mitangeklagten zu Gefängnisstrafen zwischen neun Monaten, 29 Jahren und ebenfalls lebenslang für drei Angeklagte.

Prozess im Ausnahmezustand

Die Staatsanwaltschaft nannte Taghi und seine Mitangeklagten eine „gut geölte Killermaschine“. Der Prozess fand unter enormen Sicherheitsvorkehrungen statt, rund um den „Bunker“ waren maskierte Polizeikräfte mit automatischen Waffen postiert, über dem Gerichtsgebäude Hubschrauber und Drohnen im Einsatz. Taghi gilt als extrem gefährlich, wegen der ihm zur Last gelegten Morde bzw. Auftragsmorde wurde er in der internationalen Presse „Engel des Todes“ genannt.

Niederländischer Polizeihubschrauber
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Hubschrauber über dem „Bunker“

„Er verschonte niemanden“

„Wir verurteilen alle 17 Angeklagten. Ridouan Taghi bekommt lebenslange Haft“, sagte der Richter, dessen Identität aus Sicherheitsgründen nicht bekanntgegeben wurde, zum Abschluss des Verfahrens am Dienstag. Taghi sei der „unumstrittene Anführer“ einer „Mordorganisation“ gewesen. „Er entschied, wer getötet wurde – und er verschonte niemanden.“ Taghi selbst war bei der Verkündung nicht im Gerichtssaal. Der Richter sprach das Urteil hinter einem Sichtschutz, um nicht erkannt zu werden.

Taghi galt als Chef eines der größten Kokainhändlerringe in Europa. Bis zu seiner Festnahme 2019 in Dubai war er der meistgesuchte Verbrecher der Niederlande. Obwohl er in einem Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert war, soll er sein wegen der marokkanischen Herkunft vieler Mitglieder als Mocro-Mafia bezeichnetes Kartell auch nach seiner Festnahme weiter geleitet haben. Unter anderem wurde er für drei Morde verantwortlich gemacht, die während des Prozesses begangen wurden.

Anwalt und Bruder eines Kronzeugen erschossen

Diese drei Morde wurden vor Gericht aber nicht verhandelt, vielmehr ging es um sechs Fälle von Mord, vier versuchte Morde sowie weitere Mordaufträge zwischen 2015 und 2017. Bei den getöteten Opfern der Bande soll es sich hauptsächlich um mutmaßliche Informanten für die Polizei gehandelt haben. Der Prozess gegen Taghi und seine Gefolgsleute wurde möglich, weil ein Gangmitglied sich der Polizei stellte und als Hauptbelastungszeuge agierte.

Polizisten nahe Tatort, September 2019
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Ermittlungen am Tatort: 2019 wurde der Anwalt des Kronzeugen B. im Amsterdamer Viertel Buitenveldert ermordet

Nachdem sich der Kronzeuge Nabil B. an die Polizei gewandt hatte, erschütterte eine neue Welle der Gewalt die Niederlande: Sein Bruder wurde 2018 getötet, sein Anwalt 2019 Derk Wiersum 2019 vor seinem Haus erschossen. Und auch die Ermordung des bekannten Kriminalreporters Peter R. de Vries 2021 soll Taghis Kartell in Auftrag gegeben haben. De Vries war Vertrauensperson des Kronzeugen B., seine Ermordung auf offener Straße hatte in den Niederlanden und ganz Europa Entsetzen ausgelöst. B. wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt.

„Narco-Staat“ und Vergleiche mit Mafia-Morden

Die Rede war damals von einem „Narco-Staat“ (Drogenstaat), einer „Tötungsmaschine“ und einem „Anschlag auf den Rechtsstaat“, die Presse zog Vergleiche zu Italien in den frühen 1990er Jahren, als die dortige Mafia die italienischen Ermittlungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino mit Bombenanschlägen tötete.

Der Prozess gegen Taghi und die Mocro-Mafia dauerte fast sechs Jahre. Die nun verhandelten Morde und Mordversuche hatten sich zwischen 2015 und 2017 ereignet.

Führender Kopf im internationalen Drogenhandel

Die Angeklagten hatten während des Prozesses vor allem geschwiegen. Die meisten von ihnen werden wahrscheinlich Berufung einlegen. Über Jahre war Taghis Kartell führend im internationalen Kokainhandel, wobei die Niederlande als Europas Drehscheibe im Drogenschmuggel gelten.

Im Prozess belasteten vor allem entschlüsselte Chatnachrichten die Angeklagten. Taghi soll das Verfahren „Zeit- und Geldverschwendung“ genannt haben, da das Urteil ohnehin schon festgestanden sei. Das Urteil im Prozess wegen des Mordes an dem Journalisten de Vries soll im Juni fallen.