Sebastian Kurz im Falschaussageprozess
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Kurz-Richter befangen?

Für Experten „weit hergeholt“

Als Richter ist Michael Radasztics schon vor und während des Prozesses gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Scheinwerferlicht gestanden. Nach dem – nicht rechtskräftigen – Schuldspruch ist es nicht anders: und zwar wegen einer Disziplinarstrafe, in der auch Ex-Politiker Peter Pilz (Grüne/Liste Pilz) erwähnt wird. Die ÖVP ortete am Mittwoch einen „Anschein der Befangenheit“, Experte Andreas Venier hält das für „weit hergeholt“.

Am Dienstag wurde über den „Kurier“ bekannt, dass Radasztics, im Mai 2023 zu einer Disziplinarstrafe verurteilt wurde, die Entscheidung aber erst am Montag, also drei Tage nach dem Schuldspruch gegen Kurz, im Rechtsinformationssystem (RIS) aufschien. Am Mittwoch rückte die ÖVP mit Kritik an dem Richter aus. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker ortete einen „Anschein der Befangenheit“, der von zweiter Instanz geklärt werden soll. Er wolle das nicht als Kritik an der Justiz und der Rechtsprechung verstehen.

Gleichzeitig stellte Stocker die Frage in den Raum, ob Radasticzs die Öffentlichkeit über den Disziplinarentscheid hätte informieren müssen. „Wahrscheinlich nicht. Hätte er sollen? Meiner Meinung nach schon“, sagte der Abgeordnete. Denn der Anwalt von Kurz habe schon am ersten Prozesstag einen Richterwechsel wegen eines Anscheins der Befangenheit beantragt. Radasticzs sei nicht objektiv, weil er Kontakte zu Pilz hatte, einem Gegner von Kurz, so die Verteidigung.

ÖVP ortet Anschein der Befangenheit bei Kurz-Richter

Am Montag wurde eine Disziplinarstrafe für Michael Radasztics öffentlich. Radasztics ist jener Richter, der den nicht rechtskräftigen Schuldspruch wegen Falschaussage gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz gefällt hat. Die ÖVP kritisiert nun, dass der Richter die Disziplinarstrafe nicht offengelegt hatte, und sieht zumindest den Anschein der Befangenheit.

Tatsächlich gab es diesen Antrag. Kurz-Anwalt Otto Dietrich sprach sogar von einem „freundschaftlichen“ Verhältnis. Radasticzs wies den Antrag zurück und betonte: „Ich habe weder ein freundschaftliches noch ein Vertrauensverhältnis zu Dr. Pilz.“ In der Eurofighter-Causa sei Pilz als Zeuge einvernommen worden, mehr habe nicht stattgefunden. Der Prozess wurde fortgeführt, Kurz wegen Falschaussage für schuldig befunden. Die Verteidigung legte Berufung gegen das Urteil ein.

„Kette von Vermutungen“

Der Disziplinarbescheid des Oberlandesgerichts (OLG) Graz behandelt zwei Sachverhalte, beide gehen auf Radasztics’ Zeit als Staatsanwalt zurück. Er ermittelte gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ/parteilos) und betreute dann bis 2019 das Eurofighter-Verfahren. Einerseits hatte er Grasser nicht über ein abgebrochenes Ermittlungsverfahren gegen ihn informiert, andererseits teilte er Pilz in einer Zeugeneinvernahme die Existenz einer Weisung im Eurofighter-Akt mit. Das hätte er nicht dürfen. Radasztics zahlte die Strafe.

Michael Radasztics, Richter im Falschaussageprozess gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz
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Radasztics urteilte als Einzelrichter im Kurz-Prozess

„Es müssten Beweise vorliegen, die objektiv daran zweifeln lassen, dass ein Richter nicht willens oder in der Lage ist, unparteiisch zu entscheiden“, sagte Venier vom Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht der Uni Innsbruck gegenüber ORF.at. Die Tatsache, dass der Richter in seiner früheren Funktion als Staatsanwalt einen Abgeordneten über die Existenz einer Weisung informierte, sage nichts darüber aus, ob es ein Naheverhältnis zwischen den beiden gebe.

Man müsse ein solches schon beweisen können, so Venier, und selbst das reiche nicht aus, um einen Richter vom Verfahren auszuschließen. „Es ist eine Kette von Vermutungen, die ich für sehr weit hergeholt halte“, so der Experte. Es mag sein, dass Pilz als Gegner von Kurz gesehen wird. Aber das dienstrechtliche Verfahren gegen Radasztics habe mit dem Strafprozess gegen Kurz nichts zu tun. Hier einen Befangenheitsgrund zu konstruieren, hält der Rechtsprofessor für „schwierig“. Die Verteidigung von Kurz werde das aber versuchen.

Nächste Stufe im Prozess

Die ÖVP betonte, dass man sich mehr Transparenz erwartet hätte. „Es macht einen Unterschied, ob das zu Beginn transparent offengelegt wird oder es die zweite Instanz klären muss“, so Stocker in Richtung Radasztics. Venier entgegnete, dass es sich beim Disziplinarverfahren um ein nicht öffentliches Verfahren handelt. „Der Richter kann, muss aber nichts über das Verfahren oder die Entscheidung der Behörde sagen“, so der Experte. Im ORF-„Report“ äußerte sich Ex-Staatsanwalt Gerhard Jarosch ähnlich: Disziplinarrechtliche Verfahren würden „normal“ gar nicht öffentlich.

Dass Radasztics im Mai 2023 belangt wurde, die Entscheidung des OLG aber erst im Februar veröffentlicht wurde, erklärte der Richter damit, dass die Oberstaatsanwaltschaft als Ankläger und er selbst als Beschuldigter Rechtsmittel eingelegt hatten. Die Causa ging zum Obersten Gerichtshof, dann zogen aber beide Seiten die Rechtsmittel zurück. Deshalb sei die Entscheidung erst im Dezember rechtskräftig geworden. Die frühere Justizministerin Maria Berger (SPÖ) sagte im ORF-„Report“, dass es lange dauern kann, bis Entscheidungen im RIS veröffentlicht werden.

Justizfachleute zum Fall Kurz

Die frühere SPÖ-Justizministerin Maria Berger und der ehemalige Staatsanwalt und nunmehrige PR-Berater Gerhard Jarosch kommentieren den Fall Sebastian Kurz und die Folgen des erstinstanzlichen Urteils gegen den Ex-Kanzler.

Kurz’ Anwalt Dietrich hatte ebenso wie Bernhard Bonellis Anwalt Werner Suppan direkt im Anschluss an den Urteilsspruch am Freitag bekanntgegeben, Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe einzubringen. Das Oberlandesgericht Wien wird sich damit befassen. Die Verteidigung wird wohl argumentieren, dass Radasztics hätte ausgeschlossen werden sollen. „Ich sehe das als nicht sehr vielversprechend an“, sagte Berger. Jarosch: „Das muss man schon sehr geschickt machen, dass man da irgendwie draufbeißen kann.“

OLG Graz: Anonymisierung kostete Zeit

Das Landesgericht Wien stellte sich hinter Radasztics. „Das ist Teil einer PR-Litigation, die hier stattfindet, um die Person des Richters anzugreifen“, sagte Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts Wien, gegenüber Ö1. „Das Disziplinarverfahren hat überhaupt nichts mit der Führung des aktuellen Verfahrens gegen den ehemaligen Bundeskanzler Kurz zu tun.“ Dass die Entscheidung am Montag veröffentlicht wurde, war laut OLG Graz ein Zufall, die Anonymisierung habe viel Zeit in Anspruch genommen.

Die Grünen und die SPÖ richteten der ÖVP aus, „Zurufe aus der Politik an die unabhängige Justiz“ zu unterlassen. „Verschwörungstheoretische Pressekonferenzen“ kenne man eigentlich nur von den FPÖ, und auch davon sei jede einzelne zu viel, sagte Olga Voglauer (Grüne). Kai Jan Krainer (SPÖ) befand, die ÖVP untergrabe „in ihrem blinden Eifer, mit dem sie Kurz und das System Kurz verteidigt, die Fundamente der Republik“.