Eine Frau geht vor einem Wahlplakat in Teheran über eine Straße
APA/AFP/Atta Kenare
Wahlen im Iran

Erster Stimmungstest nach Protestwelle

Eigentlich ist es eine Wahl der Superlative: Rund 15.000 Iranerinnen und Iranern kandidieren für die 290 Sitze des Parlaments, das am Freitag neu gewählt wird. Auch der mächtige Expertenrat wird neu gewählt. Doch in der Bevölkerung des „Gottesstaats“ ist die Resignation nach den gescheiterten Großprotesten groß, das Gewicht der Wahlstimme hingegen gering. Daher wird mit so niedriger Wahlbeteiligung wie nie zuvor gerechnet.

Zur Wahl aufgerufen sind rund 87 Millionen Menschen, heuer ist es der erste Stimmungstest nach den großen Protesten, die nach dem Tod der kurdischstämmigen Mahsa Amini im September 2022 aufflammten. Amini hatte gegen die strengen Bekleidungsvorschriften im Iran verstoßen und starb in Polizeigewahrsam. Die Folge waren monatelange Demonstrationen. Das Mullah-Regime in Teheran reagierte zunächst abwiegelnd und schaffte vorübergehend die Religionspolizei ab. Wenig später aber wurde sie wieder eingesetzt, die Gesetze wurden weiter verschärft und die Überwachung der Menschen ausgeweitet.

Die Demonstrationen für mehr Freiheiten und Rechte für Frauen, an denen auch zahlreiche Männer teilgenommen hatten, ebbten im Lauf der Monate ab. Nun ist die Resignation groß: Der Glaube, das Regime könne reformiert werden, scheint verschwunden.

Frauen gehen in Teheran an einer riesigen Wahlbox vorbei
APA/AFP/Atta Kenare
Im ganzen Land wird stark für den Urnengang geworben, hier: eine gigantische Wahlurne in Teheran

Daran wird die Wahl am Freitag gerade nichts ändern, denn alle Kandidatinnen und Kandidaten sind vom Regime handverlesen: Der erzkonservative Wächterrat, ein Gremium von zwölf islamischen Geistliche und Juristen, entscheidet vorab über die ideologische Qualifikation der Kandidaten und damit über ihre Systemtreue – rund 5.000 Bewerberinnen und Bewerber wurden im Vorfeld der Wahl abgelehnt.

Das Lager der Reformpolitiker ist äußerst geschwächt. Der Wächterrat habe die Republik demontiert, sagte der ehemalige Vizepräsident des Iran, Mohammed Ali Abtahi, zur dpa. „Eine große Anzahl von Fundamentalisten hat nun die Geschicke des Landes in der Hand.“ Die Menschen im Land hätten das Vertrauen in die Wahlen verloren. „Weil sie keine Wirkung darin sehen“, so Abtahi.

Aufrufe zum Boykott

Die Wahlbeteiligung dürfte daher auch einen Negativrekord verzeichnen. Besonders in der Hauptstadt Teheran, wo die Reformbewegung gleich gar keine Kandidatenliste aufgestellt hat, wird mit geringer Beteiligung gerechnet.

Grafik zeigt Daten zur Wahl im Iran
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: CIA Factbook, Foto: AFP

Bekannte Aktivistinnen und Aktivisten, darunter die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, riefen überhaupt zum Boykott der Wahl auf. Die Konservativen reagierten mit eindringlichen Appellen, „in Scharen“ an den Wahlurnen zu erscheinen, um gegen die „Feinde der Islamischen Republik“ zu stimmen. Ajatollah Ali Chamenei, politisches und religiöses Oberhaupt des Iran, sagte etwa: „Wer sich gegen die Wahlen stellt, hat sich gegen die Islamische Republik, gegen den Islam gestellt.“ Der frühere Parlamentspräsident Ali Larijani warnte gar, ein großflächiger Wahlboykott könne in die Diktatur führen.

Auch Wahl zum Expertenrat

Neben dem Parlament wird am Freitag auch der einflussreiche Expertenrat direkt gewählt. Dem auf acht Jahre gewählten Gremium gehören 88 schiitische Geistliche an, die im Todesfall die Nachfolge des Religionsführers bestimmen. Der Wächterrat bestimmt auch hier: Nur 144 Kandidaten wurden zugelassen, begründet wurde die geringe Zahl mit strengen theologischen Auflagen für eine Kandidatur.

Die Lage im Iran vor der Wahl

Im Iran finden am Freitag die ersten Wahlen nach den regimekritischen Protesten vor eineinhalb Jahren statt. Wegen Sanktionen, Korruption und Missmanagement verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage des Landes in den letzten Jahren.

Selbst der moderat-konservative Ex-Präsident Hassan Rouhani – einst Hoffnungsträger der Reformbewegung – wurde von der Wahl diesmal ausgeschlossen. Er war seit mehr als 20 Jahren Mitglied des Expertenrats. „Wir erleben einen neuen Ausmerzungsprozess seitens einer politischen Minderheit im Land, der ganz klar verfassungswidrig ist“, sagte Rouhani dazu.

Die Kluft zwischen der Staatsführung und der iranischen Bevölkerung dürften die Wahlen am Freitag jedenfalls nicht verringern. Insbesondere die Jugend, die mit sozialen Netzwerken aufgewachsen ist, kann sich kaum mit der Ideologie der Islamischen Revolution sowie der rigiden Auslegung von Geschlechterrollen identifizieren – gerade das zeigten die Massenproteste nach Aminis Tod.

Provokation als Außenpolitik

Doch nicht nur im Inneren des Iran scheint die nähere Zukunft einzementiert. Bei einem erneuten Erfolg der Hardliner dürfte auch die aktuelle Außenpolitik fortgesetzt werden, der durch den Gaza-Krieg eine besondere Rolle zukommt.

Eine Iranerin mit einem Bild von Ayatollah Ali Khamenei in der Hand
AP/Vahid Salemi
Ajatollah Ali Chamenei ist für die Konservativen das Bollwerk gegen die Reformbewegung

Militante Gruppen wie die Hisbollah im Libanon und die Huthi-Miliz im Jemen werden militärisch und finanziell vom Iran unterstützt, während die Bevölkerung unter der Wirtschaftskrise und den ausländischen Sanktionen leidet. Erst im Jänner hatte sich zudem ein Konflikt mit Pakistan gefährlich zugespitzt. Der Iran hatte Angriffe auf den Irak, Syrien und Pakistan geflogen, Islamabad quittierte mit Gegenangriffen und Drohungen.

Der Iran-Experte Walter Posch von der Landesverteidigungsakademie sagte dazu im Jänner gegenüber ORF.at, die Angriffe hätten das „Selbstvertrauen“ des Regimes im Iran gezeigt, das wegen der weiterentwickelten Rüstungstechnik „viel größer ist, als es noch vor zwei Jahren war“. Posch hielt eine weitere Eskalation in der Region für durchaus möglich. Es werde den Iranern nicht gelingen, das andauernde Spiel der Provokation „auf ewig weiterzutreiben“.