Menschen fliehen auf den Straßen von Port-au-Prince in Haiti
Reuters/Ralph Tedy Erol
Gewalteskalation

Haiti will Hilfe aus Kenia holen

Die ohnehin enorme Gewalt in Haiti eskaliert seit Jahresbeginn weiter. Zuletzt gab es UNO-Angaben zufolge dreimal so viele Straftaten wie im Jahr zuvor. Während einer Auslandsreise des Regierungschefs legten dieser Tage kriminelle Banden Teile der Hauptstadt Port-au-Prince lahm – sie wollen eine Rückkehr des verhassten Politikers verhindern. Kenia sagte indessen die Entsendung von Polizisten auf die gebeutelte Karibik-Insel zu.

Bei den Gewaltausbrüchen am Donnerstag wurden vier Polizisten und Polizistinnen getötet und fünf weitere verletzt, gab Lionel Lazarre, Leiter der Nationalen Gewerkschaft der haitianischen Polizei, bekannt. In einem in sozialen Netzwerken verbreiteten Video erklärte der Bandenchef Jimmy Cherisier alias „Barbecue“, dass „alle bewaffneten Gruppen handeln werden, um die Absetzung von Premierminister Ariel Henry zu erreichen“.

In mehreren Stadtteilen im Großraum Port-au-Prince waren Gefechte zu hören, Sicherheitskräfte versuchten Bandenmitglieder aufzuhalten, die unter anderem Polizeistationen, die Polizeiakademie und andere strategisch wichtige Orte wie den internationalen Flughafen Toussaint-Louverture angriffen. Schulen, Universitäten und verschiedene öffentliche und private Einrichtungen unterbrachen ihren Betrieb, Flüge wurden gestrichen.

Der haitische Premierminister Ariel Henry
APA/AFP/Simon Maina
Der Widerstand gegen Premier und Interimspräsident Henry hat sich zuletzt verschärft

Kein Präsident, kein Parlament

Die Ermordung von Präsident Jovenel Moise im Juli 2021 hatte den ohnehin von Kriminalität, politischer Instabilität und großer Armut geprägten Karibik-Staat in eine noch tiefere Krise gestürzt. Wahlen gab es seither keine, das Land hat weder einen Präsidenten noch ein Parlament.

Heute kontrollieren Gangs 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince. Henry versprach wiederholt, Wahlen abzuhalten, seit er nach Moises Ermordung als Premierminister und Interimspräsident vereidigt wurde. Die anhaltende Bandengewalt, sagte er, habe das bisher aber verhindert.

Gewalteskalation in Haiti

Die ohnehin enorme Gewalt in Haiti eskaliert seit Jahresbeginn weiter. Während einer Auslandsreise des Regierungschefs legten dieser Tage kriminelle Banden Teile der Hauptstadt Port-au-Prince lahm – sie wollen auf diese Weise den Premierminister stürzen.

Vereinbarung in Nairobi

In einer öffentlichen Vorlesung an der United States International University in Nairobi erklärte Henry aber am Freitag, dass in seinem Land so bald wie möglich Wahlen abgehalten werden müssten, um Stabilität zu schaffen. „Wir brauchen Wahlen, um das Land zu stabilisieren. Wir brauchen eine demokratische Regierungsführung, damit Menschen nach Haiti kommen und dort investieren können“, sagte er.

Henry hielt sich in Nairobi auf, um ein Abkommen über den Einsatz von Polizeikräften aus Kenia in Haiti zu unterzeichnen. Die Mission, die zunächst auf ein Jahr begrenzt ist, sieht die Entsendung von 1.000 Sicherheitskräften vor. Fünf Länder haben sich bereiterklärt, an der Mission teilzunehmen, die Bahamas, Bangladesch, Barbados, Benin und Tschad.

Ein ausgebrannter Schulbus in Port-au-Prince
AP/Odelyn Joseph
Brutal agierende Banden kontrollieren nach UNO-Schätzung rund 80 Prozent der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince

Hürden zur Hilfe

Der UNO-Sicherheitsrat billigte die Eingreiftruppe im Oktober. Im Jänner erklärte ein Gericht in Nairobi die Entscheidung der kenianischen Regierung jedoch für verfassungswidrig – unter anderem deswegen, weil die beiden Länder kein Abkommen zu dem Thema geschlossen hatten. Es war vorerst unklar, wie oder ob das Abkommen das Gerichtsurteil umgehen könnte, das auch besagt, dass Kenias Nationaler Polizeidienst nicht außerhalb des Landes eingesetzt werden kann.

Der kenianische Oppositionspolitiker Ekuru Aukot, der die Petition gegen den Einsatz beim Obersten Gerichtshof eingereicht hatte, schrieb auf X (Twitter), dass Henry rechtlich nicht befugt sei, Haiti zu irgendwelchen Vereinbarungen mit Kenia zu verpflichten.

Menschen fliehen auf den Straßen von Port-au-Prince in Haiti
AP/Odelyn Joseph
Die Krise in dem Karibik-Staat ist bodenlos

Gewalt nimmt weiter zu

UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk teilte unlängst mit, dass allein im Jänner in Haiti mehr als 1.100 Menschen getötet, verletzt oder entführt wurden. Damit sei in dem Karibik-Staat der gewalttätigste Monat seit zwei Jahren verzeichnet worden. „Die bereits katastrophale Menschenrechtslage mit anhaltender Gewalt und Bandenkriminalität hat sich noch verschlimmert. Das hat katastrophale Auswirkungen für die Menschen in Haiti“, sagte Türk.

Mehr als 313.000 Menschen mussten wegen der anhaltenden Gewalt ihre Häuser verlassen. Viele von ihnen leben nach UNO-Angaben in instabilen und überbevölkerten Vierteln ohne Zugang zu grundlegender Infrastruktur. Türk wies außerdem auf die wirtschaftlichen Folgen der Kriminalität in Haiti hin. Eine langfristige Verbesserung der Sicherheitslage in Haiti sei nur möglich, wenn der Ursprung der Probleme angegangen werde.