Fahndungsplakat von Jan Marsalek
IMAGO/Sven Simon
Wirecard-Recherchen

Marsalek tarnte sich als russischer Priester

Die Geschichte des untergetauchten Wirecard-Managers Jan Marsalek gibt Stoff für einen Spionagethriller her. Neue Recherchen legen nahe, dass sich Marsalek als russisch-orthodoxer Priester getarnt habe. Den Pass sollen ihm russische Geheimdienste besorgt haben. Eingefädelt soll alles ein Nacktmodell haben. Marsalek selbst hat wohl jahrelang für Moskau spioniert.

Marsaleks Verbindungen zu russischen Geheimdiensten hätten bereits 2013 begonnen, enthüllten gemeinsame Recherchen der Tageszeitung „Standard“, des deutschen Magazins „Spiegel“, des ZDF und der russischen Investigativplattform The Insider. Möglich wurden diese Enthüllungen laut APA-Informationen insbesondere durch ein großes Leak russischer Flugdaten.

Das damalige Vorstandsmitglied von Wirecard habe in Russland über einen Deal mit dem Verkehrsbetrieb der Moskauer Metro verhandelt. Ein russischer Geschäftsmann soll ihm als Unterstützerin eine junge Frau mit bewegter Vergangenheit sowie angeblich gutem Draht zur Verwaltung der russischen Hauptstadt vermittelt haben. Sie gilt als Schlüsselfigur für Marsaleks Verbindungen zu russischen Geheimdiensten.

Spionage mit der Identität eines Priesters

Die Geschichte des untergetauchten Wirecard-Managers Jan Marsalek gibt Stoff für einen Spionagethriller her. Neue Recherchen legen nahe, dass sich Marsalek als russisch-orthodoxer Priester getarnt habe. Den Pass sollen ihm russische Geheimdienste besorgt haben.

Nacktmodell als Schlüsselfigur

Die Frau soll Nacktmodell gewesen sein und in einem Billigsexfilm von 1996 eine Agentin gespielt haben, die ihre Opfer mit Nervengift ausschaltet. Gemeinsam mit ihr sei Marsalek dann auch 2013 nach Tschetschenien gereist, um Verwandte des dortigen Potentaten Ramsan Kadyrow zu treffen. 2014 habe Marsalek schließlich bei ihrer Geburtstagsfeier in Nizza einen Ex-Elitesoldaten getroffen, der Marsalek an den russischen Militärgemeindienst GRU übergeben habe.

2017 seien die beiden Männer gemeinsam mit dem Chef des internen Geheimdienstes der Wagner-Söldnertruppe nach Ostsyrien gereist, wo damals Wagner-Söldner mit russischen und syrischen Truppen gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat kämpften. Fotos zeigen, wie Marsalek mit Sturmgewehr und schusssicherer Weste posiert.

Nach Marsaleks Flucht in den Osten im Sommer 2020 habe die Russin im Herbst desselben Jahres mit einem russisch-orthodoxen Priester, der Marsalek „verblüffend ähnlich“ sehe, in einem Wellnesshotel auf der von Russland okkupierten Krim geurlaubt. Offenbar hatte Marsalek diese Tarnidentität angenommen – auch um reisen zu können. Dazu verholfen sollen ihm russische Geheimdienste haben. Teils vermuten Kenner des Falls, die Russin sei als „Honigfalle“ gezielt auf Marsalek angesetzt worden.

Marsalek-„Zelle“ im BVT

Bisher unbekannt war aber auch, dass österreichische Ermittler zwei ehemalige Beamte des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) mittlerweile einer „nachrichtendienstlichen Zelle“ zuordnen. Die „Zelle“ soll im Auftrag von Marsalek Geheimnisse nach außen getragen und den eigenen Arbeitgeber sabotiert haben.

Nachrichtendienstliche Informationen des BVT sowie jene von westlichen Partnerdiensten seien derart auf dem Tisch des Bankiers gelandet, heißt es im Bericht. Beide Ex-BVT-Beamte haben in der Vergangenheit diesbezügliche Vorwürfe bestritten. Das BVT selbst wurde Ende 2021 aufgelöst und in die neu geschaffene Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst überführt.

Zwei Ministerien betroffen

Marsaleks Netzwerk reichte laut „Standard“ nicht nur in den Verfassungsschutz, sondern auch in zwei Ministerien. Über das damals von Karin Kneissl geführte Außenministerium soll Marsalek an einen Bericht über das Nervengift Nowitschok und den Anschlag auf Sergej Skripal gelangt sein. Deshalb wird gegen Kneissls damaligen Generalsekretär ermittelt.

Beim Verteidigungsministerium habe Marsalek um Förderung für ein „Entwicklungsprojekt“ in Libyen angesucht, wo er Anteile an Betonwerken gekauft hatte. Doch das Projekt sei „rasch auf die schiefe Bahn“ geraten, so der „Standard“. Marsalek wäre „zu nah an den Russen dran“ gewesen, habe es geheißen.

Agenten in London

Aufgeklärt sind all diese Vorgänge kaum – obwohl Verfassungsschützer in Österreich nach wie vor fürchten, dass Marsaleks Netzwerk noch aktiv ist. So hatte im Februar 2023 die Londoner Polizei fünf Bulgaren verhaftet, die mutmaßlich sogar Entführungen und Attentate geplant haben sollen. Laut britischen Behörden soll die Gruppe zwischen August 2020 und Februar 2023 von Marsalek beauftragt worden sein, dem Kreml missliebige Personen in ganz Europa auszuforschen und zu verfolgen.

Hauptverdächtiger im Wirecard-Skandal

Marsalek war früher Vertriebsvorstand des Finanzdienstleisters Wirecard, ist seit Längerem abgetaucht und wird in Russland vermutet. Er gilt als Hauptverdächtiger im Wirecard-Skandal. Marsalek verantwortete das Geschäft mit „Drittpartnerfirmen“ – externen Zahlungsdienstleistern, die im Auftrag von Wirecard Kreditkartenzahlungen überwiegend in Asien abwickelten bzw. abgewickelt haben sollen. 1,9 Milliarden Euro sind verschollen.

Marsalek tauchte ab und wird mit einem internationalen Haftbefehl wegen Betrugs gesucht. Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ soll er im Villenviertel Meyendorff Gardens bei Moskau leben und unter ständiger Bewachung der russischen Geheimdienste stehen. Auch in Dubai wurde er vermutet. Per Brief meldete er sich im Sommer 2023 und wies die Vorwürfe von sich. Zur aktuellen Causa gibt es vom Anwalt Marsaleks kein Statement.