Menschen gehen auf Straße mit zerstörten Häusern
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Tote bei Hilfslieferung

Druck auf Israel wegen Waffenruhe steigt

Nach dem Tod zahlreicher Menschen bei der Ankunft einer Hilfslieferung im Gazastreifen mehren sich die Forderungen nach einer Waffenruhe. Zugleich wurde Israel aufgefordert, die Umstände der tödlichen Katastrophe aufzuklären. Hilfsorganisationen wiesen auf die katastrophale humanitäre Lage der rund 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen hin.

Was der Vorfall für die zähen Verhandlungen über eine Feuerpause bedeutet, war zunächst nicht abzusehen. In israelischen Medien wurde die Befürchtung geäußert, der Vorfall könne die Verhandlungsposition der Hamas stärken und zum Wendepunkt in dem seit beinahe fünf Monaten andauernden Krieg werden. Mehrere arabische Länder warfen Israel vor, für die Toten verantwortlich zu sein. Israels Militär bestreitet das.

Was sich genau am Donnerstag bei der Ankunft eines Hilfskonvois abgespielt hatte, ist weiter unklar. Sicher ist nur, dass viele Menschen versucht hatten, sich mit Hilfsgütern zu versorgen. Mehr als hundert sollen nach Angaben des von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza dabei gestorben sein. Über 700 seien verletzt worden. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Israel: Soldaten fühlten sich bedroht

Während es von palästinensischer Seite hieß, israelische Soldaten hätten gezielt in die Menge geschossen, machte das israelische Militär Chaos und „Gedränge“ für die Toten verantwortlich. Es sei zu einem „Gedränge“ gekommen, als sich Tausende Menschen um einen Konvoi von 30 Lkws mit Hilfsgütern versammelten. Zwar seien Schüsse gefallen, aber dadurch habe es nur wenige Verletzte gegeben.

Armeesprecher Peter Lerner sagte dem Fernsehsender CNN, nach ersten Erkenntnissen habe sich eine Gruppe von Menschen israelischen Soldaten genähert. Das Militär habe daraufhin Warnschüsse in die Luft abgegeben. Die Gruppe habe sich den Soldaten jedoch weiter genähert und eine Bedrohung dargestellt, woraufhin die Soldaten das Feuer eröffnet hätten. Laut israelischen Medienberichten sollen sie auf die Beine gezielt haben.

Möglicher „Wendepunkt“ im Gaza-Krieg

Nachdem bei einem Vorfall in Gaza am Donnerstag Dutzende Zivilisten ums Leben gekommen sind, hat es aus aller Welt empörte Reaktionen und Rufe nach Aufklärung gegeben. Beobachter bezeichnen den Vorfall als möglichen „Wendepunkt“ im Gaza-Krieg, wie ORF-Korrespondent Tim Cupal aus Tel Aviv berichtet.

WHO: Versorgungslage „echtes Drama“

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt den Vorfall im Gazastreifen auf die katastrophale Versorgungslage zurück. Die Menschen seien so verzweifelt auf der Suche nach Nahrungsmitteln, Wasser und anderen Vorräten, dass sie ihr Leben riskierten, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier am Freitag in Genf. „Das ist das echte Drama, das ist hier die echte Katastrophe“, sagte er.

Hilfspakete werden mit Falschschirmen über Gaza Stadt abgeworfen
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In Gaza-Stadt wurden Hilfsgüter per Luft zu den Menschen gebracht

Einige Länder bringen inzwischen per Luft Hilfsgüter in den Gazastreifen, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Am Freitag warfen die jordanischen Luftstreitkräfte nach eigenen Angaben Hilfsgüter über dem Küstenstreifen ab. Humanitäre und medizinische Hilfsgüter sollten weiterhin über eine Luftbrücke zum ägyptischen Flughafen al-Arisch oder über Abwürfe in den Gazastreifen gebracht werden, hieß es.

Die USA kündigten an, gemeinsam mit Jordanien weitere Lebensmittel und Hilfsgüter aus der Luft abzuwerfen. Es müsse auch mehr Hilfe auf dem Landweg in den Gazastreifen gelangen, so US-Präsident Joe Biden. Die Hilfe, die derzeit nach Gaza komme, sei nicht genug. UNO-Organisationen weisen darauf hin, dass die Mengen, die durch Abwürfe geliefert werden können, eher gering sind. Zudem sei eine gerechte Verteilung schwierig.

EU gibt weitere Gelder frei

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich über den Vorfall „zutiefst beunruhigt“. Es müssten alle Anstrengungen unternommen werden, um die Geschehnisse zu untersuchen und für Transparenz zu sorgen, schrieb sie auf X (Twitter). Humanitäre Hilfe sei eine Lebensader für die Bedürftigen, und der Zugang dazu müsse gewährleistet sein.

Die Verantwortlichen sollten zur Rechenschaft gezogen werden, so EU-Ratspräsident Charles Michel ebenfalls auf X, er sei „schockiert und abgestoßen von der gestrigen Tötung unschuldiger Zivilisten in Gaza, die verzweifelt auf humanitäre Hilfe warten“.

Reaktionen auf tödlichen Vorfall in Gaza

Nach der Katastrophe mit Dutzenden Toten bei einem Hilfsgüterkonvoi in Gaza ist es zu internationalen Reaktionen gekommen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres drängt erneut auf einen Waffenstillstand, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell spricht von einem „Blutbad“.

Die EU-Kommission will heuer weitere 68 Millionen Euro als Soforthilfe für die Palästinenser zahlen. Das Geld solle an internationale Partner wie das Rote Kreuz und den Roten Halbmond gehen, teilte die Brüsseler Behörde am Freitag mit. Bereits geplante 50 Millionen Euro sollen kommende Woche an das UNO-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) ausgezahlt werden.

Das Außenministerium in Wien zeigte sich „zutiefst entsetzt“ über die Bilder aus Gaza und forderte eine „rasche und unparteiische Untersuchung durch Israel“. Ziviles Leben müsse im Einklang mit internationalem Recht geschützt werden – überall und jederzeit, hieß es auf dem Account des Außenamtes auf X.

„Werden Erklärungen verlangen“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte in der Nacht auf Freitag eine sofortige Waffenruhe. Es gebe „große Empörung über die Bilder aus Gaza, wo Zivilisten von israelischen Soldaten ins Visier genommen wurden“. Macron sagte auf X, er „verurteile diese Schüsse scharf und verlange Wahrheit, Gerechtigkeit und Respekt für das Völkerrecht“. Die Situation in Gaza sei dramatisch.

Menschen während des Freitagsgebets inmitten Trümmern einer Moschee
Reuters/Mohammed Salem
Die Lage ist laut Beobachtern katastrophal

In einer Mitteilung des französischen Außenministeriums hieß es, Frankreich erwarte, dass der schwerwiegende Vorfall vollständig aufgeklärt werde. „In jedem Fall liegt es in der Verantwortung Israels, sich an die Regeln des Völkerrechts zu halten und die Verteilung humanitärer Hilfe an die Zivilbevölkerung zu schützen.“

USA: „Drängen auf Antworten“

Die US-Regierung steht mit der israelischen Regierung wegen des Vorfalls in Kontakt und verlangt ebenfalls Antworten. Es sei das Verständnis der USA, dass eine Untersuchung im Gange sei, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller. „Wir werden diese Untersuchung genau verfolgen und auf Antworten drängen.“ Man habe keine gesicherten Erkenntnisse über die Geschehnisse, so Miller.

Die „Tragödie“ könne die Verhandlungen über eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln in der Gewalt der islamistischen Hamas komplizierter machen. Das Weiße Haus machte Freitagabend deutlich, weiter an einer Einigung auf eine Waffenruhe zu arbeiten. Derzeit liege ein Vorschlag für eine sechswöchige Feuerpause auf dem Tisch. Allerdings sollen die jüngsten Ereignisse die Gesprächsbereitschaft bei der Hamas minimiert haben, berichtet das Nachrichtenportal Axios. Israel wolle bei der nächsten Gesprächsrunde in Kairo zudem nicht teilnehmen.

China zeigt sich „schockiert“

Auch China zeigte sich „schockiert über diesen Vorfall und verurteilt ihn aufs Schärfste“, sagte die chinesische Außenamtssprecherin Mao Ning. „Wir drücken unsere Trauer um die Opfer und unser Mitgefühl für die Verletzten aus.“ Sie rief die „betroffenen Parteien und insbesondere Israel“ auf, die Kämpfe zu beenden und die Sicherheit der Zivilbevölkerung „ernsthaft zu schützen“.

Partei ergriff auch die Türkei: Dass israelische Streitkräfte auf Palästinenser geschossen hätten, sei „ein weiteres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, hieß es aus dem Außenministerium in Ankara. Auch Brasilien übte einmal mehr scharfe Kritik an Israel. Italiens Außenminister und Vizepremier Antonio Tajani sagte, sein Land verurteile „jegliche Gewalt gegen die israelische und palästinensische Zivilbevölkerung“. Man fordere die „Freilassung der Geiseln und ein Ende des Massakers an palästinensische Zivilisten“ sowie einen Waffenstillstand.

Heftige Kritik an Israel kam von mehreren arabischen Staaten. Es habe sich um ein „abscheuliches Massaker“ gehandelt, das Israel verübt habe, hieß es in einer Mitteilung des katarischen Außenministeriums vom Donnerstagabend. Die internationale Gemeinschaft müsse Israel dazu zwingen, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten und das palästinensische Volk vor Verstößen schützen, so die Regierung in Doha, die eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen über eine weitere Feuerpause zwischen Israel und der Hamas spielt.